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Prim. Jan Di Pauli, Bernd Klisch (Caritas) und Landesrat Christian Gantner mit einer Bestandsaufnahme mit einer Bestandsaufnahme über die Situation von Flüchtlingen in Vorarlberg.
Prim. Jan Di Pauli, Bernd Klisch (Caritas) und Landesrat Christian Gantner mit einer Bestandsaufnahme mit einer Bestandsaufnahme über die Situation von Flüchtlingen in Vorarlberg.

Wie steht es um psychische Betreuung von Flüchtlingen?

Joachim Mangard (VOL.AT) joachim.mangard@russmedia.com
Würzburg, Wien, wie geht es weiter? Kriegstraumata, Psychosen oder radikale Tendenzen, auch hier in Vorarlberg? Eine kritische Bestandsaufnahme mit Stimmen von Caritas, Psychiatrie und Sicherheitslandesrat Christian Gantner.

Wenn es um das ewige Thema Flüchtlinge, Asyl und Integration von Menschen aus Krisengebieten geht, besteht schnell die Gefahr, mit simplen Verallgemeinerungen oder pauschaler Vorverurteilung konfrontiert zu werden. Zu schwer wiegen die schrecklichen Taten in Würzburg und Wien, die aktuell die Schlagzeilen bestimmen. Zu einfach drängen sich Lösungen auf, die Grenzen komplett dichtzumachen und Menschen Hilfe zu verweigern, die sie bitter nötig haben. Das soll die dramatischen Gewaltverbrechen aber in keiner Weise verharmlosen, es gilt, Schuldige zu überführen und vors Gericht zu bringen. Und auch abzuschieben, wenn die Täter ihr Recht auf Asyl damit verwirkt haben. Angesichts der neu entflammten Debatte um das humanitäre Bleiberecht und den damit einhergehenden Bedingungen, an die es geknüpft ist, hat sich VOL.AT in Vorarlberg umgehört.

"In solchen Fällen darf es
zu keiner Aufweichung des Asylgesetzes kommen"

Vor wenigen Wochen kursierte ein verstörendes Video auf den Vorarlberger Social-Media-Kanälen. Zu sehen war ein offensichtlich geistig verwirrter Mann, der am helllichten Tag mitten in der Dornbirner Innenstadt im Adamskostüm wild gestikulierend herumlief und schließlich von der Polizei in Gewahrsam genommen wurde. Es stellte sich heraus, dass es sich in besagtem Fall um einen Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft handelte, der bereits im Vorfeld aufgefallen war und offensichtlich psychische Probleme hatte. Dies zeigte sich auch in dem Umstand, dass er sich bereits zuvor selbst Schnittwunden zugefügt hatte. Im Interview mit Regierungsmitglied Christian Gantner gewährt der Sicherheits-Landesrat Einblick in die aktuelle Situation.

Das Video eines geistig Verwirrten machte auf den Vorarlberger Social-Media-Kanälen die Runde. ©Screenshot

VOL.AT: Angesprochen auf den Fall in Dornbirn: Welche Sicherheitsvorkehrungen herrschen in den Unterkünften, gerade in Bezug auf Waffen wie Messer?

Landesrat Christian Gantner

Landesrat Christian Gantner: Fest steht, dass es in den organisierten und von der Caritas betreuten Selbstversorger-Unterkünften im Land klare Regelungen (Hausordnungen) insbesondere betreffend das geordnete Zusammenleben und den respektvollen Umgang miteinander – vor allem in den Gemeinschaftsräumen wie Küche und Aufenthaltsraum – gibt, in die die Flüchtlinge bei ihrer Aufnahme fundiert eingewiesen werden. Dies beinhaltet auch die ordnungsgemäße Verwendung des Inventars. Zudem hat das Betreuungs- und Aufsichtspersonal ein besonderes Auge auf den korrekten Umgang der Asylwerbenden untereinander. Darüber hinaus ist es uns auch wichtig, dass weiterhin wiederholte Kontrollen seitens der Polizei in den organisierten Unterkünften stattfinden.

VOL.AT: Erneut rückte in Wien zumindest ein Täter in den Mittelpunkt, der bereits polizeibekannt war. Inwiefern muss sich die österreichische Bundesregierung, insbesondere das Innenministerium, Kritik gefallen lassen? Wie beurteilen Sie persönlich das Asylsystem und die Asylverfahren?

Landesrat Christian Gantner: Laut aktuellen Aussagen des Innenministers Karl Nehammer sind bei dem mutmaßlichen Mord an einer 13-Jährigen in Wien die Ermittlungen der Polizei nach wie vor im Gange. So sind die näheren Umstände ihres Todes noch unklar. Auch wurden bereits mehrere tatverdächtige, ausländische Staatsangehörige festgenommen, die Ermittlungen laufen. All jene, die Schutz und Hilfe in Österreich suchen, müssen sich an die bei uns geltende Rechts- und Wertordnung halten. Wer sich nicht daran hält, wegen schwerer Straftaten rechtskräftig verurteilt wurde und insbesondere, wer mit brutaler Gewalt gegen Mitmenschen vorgeht, muss mit aller Härte des Gesetzes zur Rechenschaft gezogen und letztlich auch in das Herkunftsland konsequent abgeschoben werden. Hier muss Null-Toleranz gelten und es darf zu keiner Aufweichung des Asylgesetzes kommen. Anhängige Asylverfahren sind in diesen Fällen rasch zu beenden.

Primar Jan Di Pauli (LKH Rankweil): "Prävention durch Integration"

"Flüchtlinge haben aufgrund Erlebnisse in ihren Heimatländern oder auf der Flucht ein hohes Risiko, an einer posttraumatischen Belastungsstörung zu erkranken. Die Symptome sind Depression, Angst, Flashbacks (das filmartige Wiedererleben des Traumas), Schlafstörungen und Suizidalität. Außerdem haben sie ein höheres Risiko, an Depressionen oder Psychosen zu erkranken", gewährt Prim. Jan Di Pauli, Chefarzt am LKH Rankweil Einblick in das Diagnoseprofil von manch einem Schutzsuchenden. Sollte eine stationäre Aufnahme erforderlich sein, stehe das LKH Rankweil selbstverständlich zur Verfügung. Wenn es um extramurale Betreuung gehe, stünde ein breites Angebot der Caritas in Absprache mit niedergelassenen Ärzten bereit.

Prim. Jan Di Pauli, Chefarzt am LKH Rankweil

"Wenn ein Patient, unabhängig davon, ob er Flüchtling oder Einheimischer ist, notfallmäßig aufgenommen wird, leiten wir schnellstmöglich eine Therapie und Diagnostik ein. Abhängig von der Diagnose wird dann über das weitere Vorgehen entschieden. Wichtig ist eine möglichst optimale und rasche Nachbetreuung nach der Entlassung. Hier kann die Sprachbarriere eine besondere Herausforderung darstellen", führt der gebürtige Konstanzer weiter aus. Außerdem sei es wichtig, auf gewisse Anzeichen von sich anbahnender Krankheit zu achten: "Je besser die Flüchtlinge integriert sind, desto geringer ist die Gefahr einer psychischen Erkrankung bzw. desto geringer ist die Ausprägung. Prävention durch Integration ist der wichtigste Ansatz. Wenn sich Symptome einer psychischen Erkrankung zeigen, sollte der Patient / die Patientin möglichst frühzeitig einem Arzt zugeführt werden. Frühwarnzeichen können Schlafstörungen, Gereiztheit und Konzentrationsschwierigkeiten sein." Abschließend spricht der Mediziner aber von einer geringen Zahl an Einzelfällen aus jenem Segment, die dann wirklich einer Einweisung und psychiatrischer Therapie bedürften.

Bernd Klisch (Caritas) warnt vor unnötiger Stigmatisierung

Im Interview mit Bernd Klisch von der Caritas warnt der Fachbereichsleiter für Flüchtlings- und Migrantenhilfe vor pauschalisierenden und stigmatisierenden Vorverurteilungen von Menschen mit Fluchthintergrund.

VOL.AT: Angesichts der schrecklichen Taten in Würzburg und Wien: Wie steht es um die Betreuung psychisch erkrankter oder traumatisierter Flüchtlinge in Vorarlberg?

Bernd Klisch, Fachbereichsleiter Flüchtlings- und Migrantenhilfe, Caritas Vorarlberg

Bernd Klisch: Asylwerber*innen haben, wenn sie erkranken, Zugang zu ärztlicher Behandlung. Wenn Flüchtlinge unter einer psychischen Krankheit leiden, werden sie also im Landeskrankenhaus oder bei niedergelassenen Fachärzten behandelt. Eine von der EU und dem BMI geförderte Fachstelle der Caritas Flüchtlingshilfe bietet zudem psychotherapeutische Behandlungen für Flüchtlinge, die in den Grundversorgungsunterkünften der Caritas leben. Weiters bieten Berater*innen sozialarbeiterische Unterstützung und Vermittlung zu anderen fachlichen Stellen an. Auch wenn der Großteil der Flüchtlinge ihre Schicksalsschläge gut bewältigen können, so leidet doch ein Teil der Flüchtlinge unter Ängsten, Depressionen, Traumatisierungen, aber auch Suizidgedanken und Suchtverhalten.

VOL.AT: Kürzlich verletzte sich ein Bewohner einer Unterkunft selbst mit einem Messer, bevor er völlig entkleidet am helllichten Tag auf den Straßen Dornbirns gesichtet wurde. Welche Schutzmaßnahmen herrschen in den Betrieben, sowohl um die Bewohner als auch die Betreuer zu schützen?

Bernd Klisch: Eine wichtige Rolle spielen hier die oben genannten präventiven Maßnahmen. Darüber hinaus wird jedes Ereignis mit psychischer oder physischer Gewalt analysiert und von der Gewaltschutzstelle der Caritas begleitet. Es werden Möglichkeiten der Deeskalation ausgelotet, Schutzmaßnahmen für Mitarbeiter*innen und Bewohner*innen ausgearbeitet und medizinische Behandlungen eingeleitet. Wichtig ist auch die gute Zusammenarbeit und Abstimmung mit der Polizei und den politisch Verantwortlichen.

VOL.AT:Welche Sicherheitsvorkehrungen herrschen in den Unterkünften, gerade in Bezug auf Waffen wie Messer?

Bernd Klisch: Waffen jeglicher Art sind laut Hausordnung der Caritas Flüchtlingshilfe in den Unterkünften grundsätzlich verboten.

VOL.AT: Flüchtlinge werden gerne in einen Topf geschmissen. Wie reagieren die Geflüchteten, wenn sie von Ereignissen wie jenen in Würzburg erfahren. Herrscht Angst, dass man sie ebenfalls für diese schrecklichen Taten mitverantwortlich machen könnte?

Bernd Klisch: Natürlich stört es sie sehr, wenn sie mit diesen schrecklichen Ereignissen in Verbindung gebracht werden, da sie diese Tat ja genau so verabscheuen wie wir alle.

Bernd Klisch warnt vor allgemeiner Vorverurteilung. Dies schadet gerade jenen Menschen, die Hilfe am nötigsten haben. ©Caritas

VOL.AT: Beim Täter in Würzburg wird neben seiner psychischen Erkrankung auch ein IS-Hintergrund nicht ausgeschlossen. Wie wirkt man bei der Caritas Radikalisierung oder Terror-Ideologien unter den Flüchtlingen entgegen?

Bernd Klisch: Unsere Mitarbeiter*innen wurden geschult, Anzeichen von Radikalisierungen zu erkennen. Wir haben auch eine Mitarbeiterin, die sich auf dieses Thema spezialisiert hat. Sie unterstützt gegebenenfalls Betreuer*innen in den Unterkünften und organisiert Radikalisierungspräventionsprojekte für geflüchtete Menschen in unseren Quartieren. Wir arbeiten natürlich auch mit der Polizei, dem Verfassungsschutz, der Landesregierung und mit anderen Organisationen zusammen.

VOL.AT: Welche Auswirkungen hat Corona auf die von Ihnen betreuten Unterkünfte?

Bernd Klisch: Aufgrund der Wohnsituation in Flüchtlingsunterkünften – es werden ja meist Küchen, Bäder und andere Gemeinschaftsräume von vielen Personen geteilt – mussten sehr strenge Schutzmaßnahmen eingehalten werden. Die Bewohner*innen hatten Verständnis für diese Maßnahmen. So konnten die Infektionszahlen niedrig gehalten werden. Es gab leider auch weit weniger Kontakte zur Bevölkerung als vor der Pandemie. Und Deutschkurse mussten analog über Handys durchgeführt werden. Auch wenn wir durch digitale Lernhilfen viele Pflichtschüler*innen unterstützen konnten, so müssen wir erkennen, dass Flüchtlinge aufgrund der fehlenden digitalen Ausstattung und der fehlenden digitalen Kenntnisse in dieser Pandemie eine zusätzliche Benachteiligung erfahren.

(VOL.AT)

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