Am 17. Juli 2025 kehrt ein Opernphänomen zurück, das im Sommer 2024 rund 200.000 Menschen an den Bregenzer Bodensee gezogen hat: Philipp Stölzls spektakuläre Inszenierung von Carl Maria von Webers romantischer Oper „Der Freischütz“ wird mit fast unveränderter Besetzung, aber unter neuer musikalischer Leitung wiederaufgenommen. Der Schwede Patrik Ringborg und der Deutsche Christoph Altstaedt übernehmen im Wechsel den Dirigentenstab. Was die Zuschauerinnen und Zuschauer erwartet, ist weit mehr als Musiktheater: Es ist ein schaurig-schönes Gesamtkunstwerk unter freiem Himmel, das sich tief in die kollektive Vorstellungskraft einschreibt.
Schon 2024 begeisterte die Produktion durch ihre radikal-poetische Ästhetik: Ein kahles, winterliches Ödland aus Baumgerippen, Pferdeskeletten und Nebelschwaden breitet sich über die monumentale Seebühne aus. Mittendrin steht ein baufälliger Kirchturm, der sich als Teufelsbühne entpuppt. Außerdem sind ein Skelettpferd als Fortbewegungsmittel des Bösen und eine feuerspeiende Riesenschlange zu sehen, die in den Himmel fährt. Stölzl hat für seine Version von „Der Freischütz“ eine albtraumhafte, von Mythen und Ängsten durchdrungene Welt erschaffen, die dem Publikum unter die Haut geht.
Pakt mit dem Teufel
Es ist eine düstere, beklemmende Märchenlandschaft, in der sich die Geschichte des jungen Amtsschreibers Max entfaltet. Er liebt Agathe, die Tochter des Erbförsters. Doch vor der Hochzeit steht eine Prüfung: Ein Probeschuss muss gelingen, sonst verliert Max nicht nur seine Braut, sondern auch die Aussicht auf das Amt. Doch Max ist kein guter Schütze. Überredet vom finsteren Kaspar, schließt er einen Pakt mit dem Teufel Samiel. In der sagenumwobenen Wolfsschlucht gießen sie gemeinsam Freikugeln, die ihr Ziel nie verfehlen – mit Ausnahme der siebten, die Samiel selbst lenkt.
Webers Musik ist wie geschaffen für diesen Stoff. Sie atmet Natur, sie raunt, sie grollt. Hörnerklänge, Jagdsignale, das Klirren des Unheils – all das webt sich zu einem klanglichen Panoptikum, das die Grenze zwischen Realität und Vision, zwischen Wahn und Wahrheit verschwimmen lässt. Der
Jägerchor klingt kraftvoll und bodenständig, während die Arien Agathes von feiner, beinah über-
irdischer Zartheit sind. In der Wolfsschlucht entfaltet das Orchester seine volle Dämonie: bedrohlich, pulsierend, apokalyptisch. Die Wiener Symphoniker liefern diese Intensität mit dramatischer Wucht, unterstützt von den Chören der Bregenzer Festspiele und dem Prager Philharmonischen Chor.
Mit Patrik Ringborg und Christoph Altstaedt stehen 2025 zwei musikalische Leiter am Pult, die beide als profilierte Operndirigenten bekannt sind. Ringborg, der unter anderem in Göteborg und am Staatstheater Saarbrücken dirigierte, bringt skandinavische Präzision und dramatische Spannungsführung mit. Altstaedt, der bereits bei renommierten Festivals und Opernhäusern engagiert war, steht für sensible Phrasierung und starke
erzählerische Bögen.
Moritz von Treuenfels
Die vielleicht markanteste Figur der Bregenzer Inszenierung ist der Teufel selbst: Samiel agiert nicht nur stumm aus dem Schatten, sondern tritt als sprechender, kommentierender und manipulierender Conférencier auf. In der Doppelrolle mit Moritz von Treuenfels und Niklas Wetzel verkörpert er den allgegenwärtigen Versucher: Er tanzt auf Dächern, reitet auf dem Skelettpferd, taucht im Wasser auf, schwebt über den Köpfen der Figuren und greift ins Geschehen ein. Samiel wird zur Instanz, zum Spielleiter zwischen Diesseits und Jenseits.
Die Sprechszenen, die in Webers Original ohnehin großen Raum einnehmen, wurden von Regisseur Stölzl in Zusammenarbeit mit dem Autor Jan Dvořák neu bearbeitet. Sie sind präziser, dramaturgisch dichter und ironisch gebrochen. Dadurch erhält der Abend eine zweite Ebene: Es wird nicht nur gesungen, sondern auch erzählt, gespiegelt und reflektiert. Samiel wird zur dunklen Stimme aus dem Off, zur zynischen Instanz und zur Gegenfigur jeder aufrichtigen Regung.
Donner und Blitze
Was diese Produktion so besonders macht, ist ihre visuelle Radikalität. Die Wolfsschlucht, berüchtigt als Ort des Bösen, wird auf der Bregenzer Seebühne zur düsteren Kathedrale aus Licht, Nebel und Feuer. Wenn Kaspar – etwa stimmgewaltig verkörpert von Christof Fischesser oder David Steffens – unter Donnern und Blitzen die Freikugeln gießt, kocht die Bühne. Die Luft vibriert, das Wasser leuchtet gespenstisch von unten und aus den Nebelschwaden steigen dämonenhafte Wesen empor.
Auch Agathe wird zur zentralen Gestalt dieser Bildsprache. Gespielt von Mandy Fredrich, Irina Simmes oder Anne-Fleur Werner tanzt sie in einer Schlüsselszene gespenstisch auf ihrem Bett: bleich, ahnungsvoll und mit Blicken in eine andere Welt. Sie ist keine schwärmerische Unschuld, sondern eine Frau, die das Dunkle spürt – und es dennoch nicht verhindern kann. Die körperliche Herausforderung dieser Inszenierung ist immens. Die Sängerinnen und Sänger bewegen sich knietief im Wasser, balancieren auf Plattformen, werden in Pyrotechnik gehüllt oder erhalten unter Wasser Sauerstoff. Spezielle Neoprenanzüge schützen vor Kälte, rutschfeste Schuhe vor Stürzen. Stunt-Regisseurin Wendy Hesketh-Ogilvie und ihr Team vom Wired Aerial Theatre sorgen für atemberaubende Effekte, Luftakrobatik und choreografierte Wasserballette. Ännchen – interpretiert von Mirella Hagen, Hanna Herfurtner oder Katharina Ruckgaber – singt ihre Arie beispielsweise auf einer winzigen Plattform, während um sie herum Stuntfrauen durchs Wasser wirbeln.
Kaspar, Max und Samiel steigen, tauchen und klettern. Max, gespielt von Thomas Blondelle, Attilio Glaser oder Mauro Peter, kämpft sich durch die Inszenierung – physisch wie emotional. Ein Sänger sagte nach der Premiere 2024: „Das ist kein Abend – das ist ein Elementarkampf.“
Wasser, Himmel, Sonne, Wind
Alle 28 Vorstellungen des Jahres 2024 waren ausverkauft und das Publikum zeigte sich berührt, erstaunt und überwältigt. Es ist eine Oper aus dem frühen 19. Jahrhundert, die mit den Mitteln des
21. Jahrhunderts erzählt wird und von szenischer Kühnheit, musikalischer Tiefe sowie einem Ensemble getragen wird, das sich mutig den Elementen stellt. Die Produktion ist zugleich ein Glücksfall für das Spiel auf dem See, das Jahr für Jahr zwischen Spektakel und Anspruch balancieren muss. Philipp Stölzl gelingt beides: Er liefert starke Bilder, verzichtet aber auf Effekthascherei. Er zeigt den Teufel nicht als Karikatur, sondern als dunkle Kraft in uns allen. Und er traut der Oper – der Musik, der Geschichte, der Sprache.
Für viele Beteiligte ist die Rückkehr an den Bodensee auch eine Rückkehr zu einem einzigartigen Erlebnis. Die Sängerinnen und Sänger, die Chöre, die Techniker – sie alle wissen: Es gibt kaum einen Ort, der Oper so unmittelbar, so gegenwärtig und so körperlich erfahrbar macht wie die Bregenzer Seebühne. Das Wasser, der Himmel, die untergehende Sonne, der Wind – all das wird Teil des Spiels.
Mit „Der Freischütz“ kehrt 2025 ein Werk zurück, das von Angst und Hoffnung, von Schuld und Gnade, von Verlockung und Erlösung erzählt. Es zeigt, dass große Oper keine historische Antiquität ist, sondern ein Spiegel dessen, was uns heute bewegt: Zweifel, Versuchung, Entscheidung. Wenn der Teufel seine Hand im Spiel hat, wird der Mensch sichtbar – und auf der Seebühne spürbar.
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