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Wenn Axl Rose persönlich zum Slalom-Titel gratuliert

Kurz vor dem Abflug zu den Olympischen Spielen besuchte WANN & WO Mathias Berhold in Gargellen.
Kurz vor dem Abflug zu den Olympischen Spielen besuchte WANN & WO Mathias Berhold in Gargellen. ©MiK
DSV-Cheftrainer Mathias Berthold aus Gargellen spricht kurz vor Olympia mit W&W über einen deutschen Sieg auf der Streif und seine Karriere.

WANN & WO: Wir sind hier in deinem Heimatort Gargellen. Wann wurde Skifahren zu deinem Lebensmittelpunkt?

Mathias Berthold: Wir haben jede freie Minute in der wunderschönen Bergwelt des Montafons verbracht. Sobald der erste Schnee lag, waren wir tagein tagaus in Vergalden auf den Skiern. Im Sommer war man den Skischuhen zwar fast entwachsen, trotz Schmerzen sind wir als Kinder zu Fuß immer rauf – es zählte nur der Gedanke ans Skifahren. Später kam dann die Skihauptschule, Stams und der Weg in den Profi-Zirkus.

WANN & WO: Welche Erinnerungen an Stams hast du heute, auch in Anbetracht der schweren Vorwürfe, die kürzlich laut wurden?

Mathias Berthold: Schule war immer etwas, das nebenher absolviert werden musste. Skifahren stand ganz klar im Fokus. Während der Rennsaison war ich auch nicht oft in Stams. Dafür kam meine Lernzeit immer ab Ostern, das haben meine Lehrer aber akzeptiert. Auf das Thema „Pastern“ angesprochen – ja, das gab es schon zu unserer Zeit. Auch bei mir haben ältere Schüler diesen Blödsinn versucht, ich konnte mich aber immer entsprechend zur Wehr setzen. Ich glaube aber, dass dieses Thema in anderen Mannschaftssportarten, wie z.B. Fußball, viel präsenter ist.

“Beziehungen innerhalb von Teams sind nie förderlich”

WANN & WO: Wie stehst du zu den Missbrauchsvorwürfen, mit denen sich der ÖSV gerade konfrontiert sieht?

Mathias Berthold: Ich war selber zwölf Jahre lang Damen-Trainer, und war erstaunt, in welchem Ausmaß sich dieser Skandal ausgebreitet hat. Wir haben immer peinlichst darauf geachtet, dass eine Beziehung zwischen Trainer und Athletin niemals über das Sportliche hinaus gehen darf. Menschen können sich verlieben, dann muss man in diesem Bereich aber klare Trennlinien setzen. Beziehungen innerhalb von Teams sind nie förderlich.

WANN & WO: Hattest du abseits des Trainingsalltags Zeit für „Wilde Jugendjahre“?

Mathias Berthold: Jein. Im Frühjahr gab es sicher das eine oder andere „Festl“ in Stams. Letzten Endes stand aber immer der Sport im Vordergrund. Das ist jetzt auch nicht anders. Ich bin heute froh, wenn ich abends nach den Athleten-Einzelgesprächen so schnell wie möglich ins Bett komme. In meinem Alter verkrafte ich auch nicht mehr so viel (schmunzelt).

WANN & WO: Was waren die schönsten Momente während deiner aktiven Zeit als Skifahrer?

Mathias Berthold: Natürlich die Erfolge. Ein Moment ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Ich hatte gerade den Profi-WM-Titel 1993 in Aspen gewonnen und saß beim Mittagessen. Als dann ein gewisser Axl Rose, Sänger von Guns n’ Roses, an meinen Tisch trat, um mir persönlich zu gratulieren, fühlte ich mich schon geschmeichelt. Letzten Endes denke ich aber wenig an jene Zeit, weder verbittert noch erfreut. Ich betrachte die Vergangenheit einfach als abgeschlossen und konzentriere mich gern auf neue Aufgaben.

WANN & WO: Wie hat sich der Sport im Vergleich zu damals entwickelt?

Mathias Berthold: Elementar, schon allein was den Trainingsbetrieb betrifft. Die Ski-Technik als solches hat sich meiner Meinung nach gar nicht so viel weiter entwickelt, ganz im Gegensatz zum Umfeld. Wir waren selber noch aktiver beim Materialtest und Service involviert. Die heutigen Athleten sind ebenfalls viel professioneller eingestellt.

WANN & WO: Gab es damals mehr „Wilde Hunde“?

Mathias Berthold: Bei den Abfahrern sicher, die haben uns Techniker oft nur belächelt (schmunzelt).

WANN & WO: Stichwort Bode Miller?

Mathias Berthold: Bode war ein „cooler Hund“, ich hatte als Trainer aber nie wirklich großen Spaß mit ihm. Schon allein deswegen, weil er sich seiner Rolle als Vorbild oft zu wenig bewusst war. Wenn in diversen Interviews zu lesen war, dass er besoffen an den Start ging, kann ich nur den Kopf schütteln. Von diesem Aspekt her schätze ich z.B. Aksel Lund Svindal enorm, sowohl vom Skifahrerischen als auch vom Menschlichen her, auch im Umgang mit den Jungen aus dem norwegischen Team oder mit den Medien.

WANN & WO: Skifahren – vom Breitensport zum puren Luxusgut. Wie kann man den österreichischen Nationalsport wieder der breiten Öffentlichkeit näher bringen?

Mathias Berthold: Das zeigt sich in den USA. In Aspen kostet eine Tageskarte 200 Dollar, das Gebiet ist aber längst nicht auf dem Stand eines modernen Skigebiets. Und um den qualitativen Ansprüchen der Wintersportler gerecht zu werden, muss man viel Geld in die Hand nehmen, auch in Anbetracht der Produktion von Kunstschnee, der Pistenpräparierung oder der Stromkosten. Unser aller Ziel muss aber sein, Kinder für den Sport zu begeistern und dort günstige und attraktive Angebote zu schaffen.

“Wir wollen vorne mitfahren”

WANN & WO: Gratuliere zum Sieg von Thomas Dreßen in Kitz – zählen die DSV-Athleten zu den Olympia-Favoriten? Was zeichnet deine junge Mannschaft aus?

Mathias Berthold: Wer Kitzbühel gewinnt, zählt zum Favoritenkreis. Thomas hat über die ganze Saison konstant gute Leistungen gezeigt. Wir wissen, wie wir mit der Situation umgehen müssen. In Korea haben wir uns etwas abseits des Rummels einquartiert und werden uns in aller Ruhe auf die Bewerbe vorbereiten. Wir sind nicht unbedingt wegen des „Olympic Spirits“ in Korea, wir wollen vorne mitfahren.

WANN & WO: Wie hast du persönlich den deutschen Sieg auf der Streif miterlebt?

Mathias Berthold: Ich war damals Coach, als Hannes Reichelt die Durststrecke der ÖSV-Abfahrer in Kitzbühel beendet hat. Das war schon einzigartig, auch weil wir damals im Vorfeld viel Kritik durch die Medien einstecken mussten. Heuer war die Situation eine andere. Weniger, dass ich als Chef des deutschen Teams diesen Erfolg miterleben durfte, viel mehr, weil wir ihn aus dem Nichts heraus aufgebaut hatten. Vor allem, weil wir im Vergleich diesen Erfolg mit so einem „kleinen“ Team errungen haben.

WANN & WO: Wie hat es das Team geschafft, Verletzungen von Top-Stars wie Felix Neureuther oder Stefan Luitz zu kompensieren?

Mathias Berthold: 90 Prozent der Athleten waren schon in einer ähnlichen Situation, das bringt unser Sport mit sich. Zeit spielt eine große Rolle, im normalen Alltag ist ein gerissenes Kreuzband kein großes Ding mehr. Viel schwieriger ist der Umgang mit Todesfällen, wie wir sie heuer leider hinnehmen mussten. Das beschäftigt jeden.

WANN & WO: Du hast heuer die Umstellung auf das neue Riesentorlauf-Material kritisiert. Wie schwierig ist generell der Spagat zwischen der Sicherheit für die Athleten und der spektakulären Show für das Publikum?

Mathias Berthold: Das Material im RTL halte ich nach wie vor für einen Fehler. Um eine professionelle Umstellung zu ermöglichen, hätte ich mir ausgiebige Tests, auch aus dem sportwissenschaftlichen Bereich, gewünscht. Was die Show betrifft, sind wir uns als Team oft nicht wirklich bewusst, was wir für das Publikum liefern. Bei uns steht der sportliche Erfolg im Mittelpunkt. Vor zwei Jahren in Kitzbühel war es extrem. Wenn Top-Läufer wie Svindal oder Reichelt an derselben Stelle scheitern und der Hubschrauber im Minutentakt fliegt, stimmt etwas nicht mehr. Ich stand damals an dieser Stelle und die Sicht war schlecht. Wir haben uns dann entschieden, unseren Läufer nicht mehr starten zu lassen. So eine Entscheidung ist im ersten Moment schwierig nachvollziehbar für den Jungen, im Nachhinein dankt es einem der Sportler aber. Wenig später wurde das Rennen dann sowieso abgebrochen. Das Vertrauensverhältnis zwischen Trainer und Athlet ist elementar für ein funktionierendes Team.

“Kommunikation ist ein Schlüssel zum Erfolg”

WANN & WO: Wie würdest du deinen Stil als Trainer beschreiben?

Mathias Berthold: Ich versuche, auf jeden Athleten individuell einzugehen, egal ob er Neureuther oder Schmid heißt – jedem Teammitglied wird die gleiche Wertschätzung zuteil. Kommunikation ist ein Schlüssel zum Erfolg.

WANN & WO: Du warst auch lange Jahre im ÖSV – wie viel Österreicher steckt denn im deutschen Cheftrainer?

Mathias Berthold: 100 Prozent Österreicher – das führt dann schon auch zur einen oder anderen Diskussion, gerade wenn es z.B. mal um Fußball geht (schmunzelt). Peter Stöger ist ein guter Freund von mir und hält die rot-weiß-rote Flagge in den deutschen Landen ebenfalls hoch – ein gesunder Schmäh rennt da immer mit.

WANN & WO: Wie oft siehst du deine Familie?

Mathias Berthold: Meine Tochter Isabella weniger oft, wir pflegen aber ein ausgezeichnetes Verhältnis und genießen die gemeinsame Zeit. Durch meinen Beruf bin ich leider sehr selten in Gargellen. Umso mehr schätze ich meine Heimat als Rückzugsgebiet. Frederic als aktiven Fahrer sehe ich natürlich öfter, wir telefonieren auch viel miteinander. Er hatte heuer nach seiner Verletzung kein einfaches Jahr, hat sich aber wieder gut herangetastet.

WANN & WO: Was bedeutet Olympia persönlich für dich?

Mathias Berthold: Sportlich gesehen ein herausragendes Ereignis. Es gibt sicher viele Dinge, die man kritisch betrachten kann. Ich glaube, dass viele Dinge teilweise überholt sind. Das gesamte Drumherum mit speziellen Sponsoren, die aufgrund dieses Bewerbs Millionen scheffeln, sehe ich kritisch. Die olympische Idee im ursprünglichen Sinne ist großartig. Auf die Spiele in Pyeongchang freue ich mich besonders, gerade auch, weil hier im vorliegenden Fall der Gedanke der Völkerverbindung zwischen Süd- und Nordkorea eine Chance bekommen könnte.

WANN & WO: Falls du in Gargellen eingeschneit wirst, würde dich der deutsche Verband ausfliegen?

Mathias Berthold: Natürlich, keine Frage (schmunzelt).

WORDRAP

Marcel Hirscher vs. Hermann Maier: Hirscher auf ganzer Linie. Skifahren: Früher reine Passion, heute viel mehr Job und Berufung – schade. Deutschland: Berufliche Heimat. Österreich: Meine Heimat, mein Land. Montafon, Gargellen: Extrem wichtig für mich persönlich. Frauen: Schätze und liebe ich. Als Damentrainer habe ich gelernt, dass Frauen belastbarer sind als Männer. Sieg/Niederlage: Ich bin ein extrem schlechter Verlierer, in jeder Hinsicht.
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