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Washington: Fischer zügelt seinen Zeigefinger

Für den Umgang zwischen den Regierungen innerhalb der transatlantischen Gemeinde gilt die strikte Devise: Keine Einmischung in interne Angelegenheiten.

Und deswegen war auch nicht zu erwarten, dass der deutsche Außenminister Joschka Fischer und die anderen deutschen Regierungsvertreter, die in dieser Woche in Washington zu Besuch waren, Empfehlungen für die Zukunft von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld abgeben würden.

Zwar wurde der Skandal um die Folter irakischer Gefangener in der Serie bilateraler Gespräche durchaus nicht ausgespart. Doch zu sehr mit dem moralischen Zeigefinger deuten wollten die deutschen Besucher lieber nicht, um nach dem mühsam ausgestandenen Streit um den Irak-Krieg nicht möglicherweise neue Irritationen zu erzeugen.

„Dies ist eine Frage, die die Innenpolitik der Vereinigten Staaten berührt, nicht uns“, hielt sich Fischer an die diplomatischen Gepflogenheiten, als er am Dienstag bei einem gemeinsamen Presseauftritt mit dem Kollegen Colin Powell nach Rumsfeld befragt wurde. Und von einer Belastung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses durch den Skandal wollte er schon gar nichts wissen – stattdessen lobte er den „exzellenten“ Zustand der Beziehungen. Auch Innenminister Otto Schily, der zusammen mit Justizministerin Brigitte Zypries an einer Ressorttagung der G-8-Gruppe in Washington teilnahm, betonte, gerade jetzt sei besondere Solidarität mit den Amerikanern gefragt: Denn eine Freundschaft bewähre sich dann, „wenn der befreundete Partner in Schwierigkeiten ist“.

Andererseits verstanden sich die deutschen Besucher aber durchaus auch als Sprachrohre der öffentlichen Entrüstung, die in Deutschland und Europa über die Misshandlungen der Häftlinge durch US-Soldaten herrscht. „Schauerlich“, „schockierend“, „Grauen erregend“ – Schily schien um die passende Beschreibung zu ringen und sprach auch von einem „schweren Rückschlag“ für den „Kampf gegen den Terrorismus“. Dies sieht die US-Regierung allerdings wohl durchaus ähnlich.

Auch mit ihren Aufforderungen an die US-Partner, den Skandal gründlich aufzuarbeiten und die Schuldigen zu bestrafen, liefen die deutschen Besucher offene Türen ein: Nichts anderes verspricht die US-Regierung schon seit Tagen. Fischer verpackte den Appell zudem geschickt so, dass die USA in ihrem Selbstverständnis als moralische Instanz für die Welt angesprochen wurden: Durch Bereinigung des Skandals sollten die Vereinigten Staaten ihre „moralische Glaubwürdigkeit“ zurückgewinnen und damit ihre Führungsrolle neu legitimieren.

Bei ihren Bekundungen des Entsetzens hatten die deutschen Gäste aber nicht zuletzt auch das heimische Publikum im Auge, das ein allzu zahmes Auftreten in Washington sicherlich missbilligen würde. Und schließlich setzt die Koalition aus SPD und Grünen in ihrer Kampagne für die Europawahl darauf, mit kritischer Distanz zu den USA punkten zu können – eine Anknüpfung an das Rezept der Bundestagswahl 2002, als die Opposition gegen den Irak-Krieg zum Erfolgsschlager wurde.

Diese kritische Distanz mit klaren Worten zu markieren, blieb aber den Parteienvertretern daheim in Deutschland überlassen, wo die Gesetze des Wahlkampfes die Gesetze der Diplomatie überwiegen: Für den Folterskandal sei letztlich US-Präsident George W. Bush „politisch verantwortlich“, verkündete die Grünen-Chefin Angelika Beer. Und ihr SPD-Kollege forderte gar unmissverständlich den Rücktritt des US-Verteidigungsministers: Gäbe es einen ähnlichen Skandal in Deutschland, würde er für „eine personelle Veränderung“ sorgen, sagte Franz Müntefering dem Fernsehsender N24.

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