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Walsers neuer Roman "Angstblüte"

Wenn Pflanzen kurz vor dem Eingehen noch einmal ihre ganze Pracht entfalten, dann stehen sie in "Angstblüte".

Dieses letzte Aufbäumen der Natur hat Martin Walser zum Titel seines neuen Romans gemacht, der an diesem Freitag (21.) bei Rowohlt erscheint. In dem 480-Seiten-Werk erzählt der 79-jährige Autor die Geschichte des alternden Anlageberaters und Devisenspekulanten Karl von Kahn, der von seinem besten Freund hereingelegt wird, in die Fänge der Frauen gerät, die Lächerlichkeit des greisen Liebhabers erfährt und seine Todesangst durch erotische Abenteuer und Geldvermehren zu übertünchen sucht. „Bergauf beschleunigen“, lautet Karls Credo.

In „Angstblüte“ wagt sich Walser, oft „Chronist des Mittelstands“ genannt, auf ungewohntes Terrain. Mit dem Finanzdienstleister hat er einen neuen Helden gefunden, der nicht von Anfang an auf der Verliererstraße wandelt. Im Gegenteil: Der Finanzjongleur im Alter von “70 plus“ ist mit allen Wassern gewaschen und hat einen Riecher für erfolgreiche, millionenschwere Transaktionen.

So lässt der Autor seinen Protagonisten das Hohelied von Zins und Zinseszins singen, erklärt das Geldvermehren sogar zum Sinn des Lebens. „Verbrauch ist banal. Das Leben will die Wieder- und Wieder- und Wiederanlage des Erworbenen“, verkündet sein Held. Die Geldanlage wird zur Leidenschaft, die Zahlen zu Musik und sogar Religion, Geld scheffeln soll die einzige Kunst sein, die etwas einbringt. Über allem steht der Markt, der gerecht und ausgleichend ist. Und Geld garantiert Unabhängigkeit. Karl kann also auf die Moral pfeifen.

Doch seine heil scheinende Zahlenwelt ist voller Lug und Trug. Gleich zu Beginn der Handlung erfährt er, dass sein Freund, der ebenso ein- wie hochgebildete Kunsthändler Diego, nach einem Schlaganfall auf der Intensivstation liegt. Dessen Frau Gundi, eine grelle TV-Talkshow-Königin, drängt ihn als letzten Freundschaftsdienst zur Unterschrift unter den Verkaufsvertrag der gemeinsamen Tennisschlägerfirma.

Als der Finanzexperte erkennt, dass er kräftig übers Ohr gehauen wurde, stürzt sich der Enttäuschte in eine Liebesaffäre mit der 38 Jahre jüngeren Schauspielerin Joni. Das Filmsternchen aus Ennepetal wird vom ausgebufften Regisseur Theodor Brabanzer ausgelegt wie ein Köder, um Karl die zwei Millionen abzuluchsen, die für die Finanzierung des nächsten Filmprojekts noch fehlen – und Karl beißt an. Die glücklose Liebe zu der Orgasmen vortäuschenden Joni wirft ihn dermaßen aus der Bahn, dass darüber seine Ehe mit Helen, einer Traumtherapeutin und Eheberaterin, in die Brüche geht.

Mit gewohnter Formulierungskunst und genialen Wortschöpfungen führt Walser den Leser durch die Münchner Schickeria, in der sich skurrile Großbürger zu Hauf tummeln, unter seinen Kunden ebenso wie in der „Kulturfraktion“ um Diego und Gundi. Meisterhaft, mit feiner Ironie und bissigem Spott, skizziert er die Figuren. Nur dass das kleine Luder Joni als Wunschberuf Lyrikerin angibt, wirkt wenig überzeugend. Walsers exakte Schilderung der internationalen Finanzmärkte lässt staunen, seine Beschreibung von Alltagsdramen erlaubt viel Identifikation.

Doch machen Walsers überbordende Fantasie, seine ausschweifende Erzählweise, die Traumsequenzen und Rückblenden die Lektüre mitunter beschwerlich. Das bloße Aneinanderreihen der Episoden verhindert, dass sich Spannung aufbaut. Und die Grundfrage eines alten Menschen, ob das nun schon alles gewesen sein soll und was am Ende eines Lebens eigentlich bleibt, lässt auch Walser unbeantwortet. Wie schon in früheren Romanen flüchtet er sich in erotische Fantasien und derbes Sex-Vokabular.

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