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Wagner-Neuauflage: Welser-Möst als Herr des "Ringes"

Die Neuinszenierung des "Rings des Nibelungen" von Richard Wagner fand gestern durch den letzten Teil "Götterdämmerung" ihren krönenden Abschluss. Bilder vom "Rheingold":

Als heftig umjubelte Feierstunde für Opernmusik auf allerhöchstem Niveau wird die erste Gesamtaufführung des neu inszenierten “Ring des Nibelungen” in der Wiener Staatsoper in Erinnerung bleiben. Am gestrigen Sonntag schloss die “Götterdämmerung” den ersten Zyklus ab, und in der Gesamtschau wurde klar: Der “neue Ring” war der Moment, an dem sich der künftige Musikgeneraldirektor der Staatsoper, Franz Welser-Möst, das Haus endgültig und nachhaltig erobert hat. Bei “Rheingold” (5.5.), “Walküre” (6.5.), “Siegfried” (8.5.) und der gestrigen “Götterdämmerung” badete der Dirigent im euphorischen Jubel. Doch ebenso wurde klar: So sehr sich Welser-Möst mit einem unglaublichen Kraftakt des “Rings” musikalisch bemächtigt hat, so sehr ist Regisseur Sven-Eric Bechtolf vor dem Mammutwerk in die Knie gegangen.

Voll aufgegangen ist hingegen die Sängerbesetzung. Nach langen Abenden in geballter Form bleibt eine Unzahl an herausragenden Momenten in Erinnerung, die manche Schwäche hintanstellen. So etwa bei Juha Uusitalo, dem als Wotan bei der “Walküre”-Premiere 2007 die Stimme weggeblieben war: Unglaublich berührend sein sensibler, hoch lyrischer Dialog mit Brünnhilde im dritten “Walküren”-Aufzug, wenn er auch bei vielen mächtigen Passagen nicht überzeugte. Adrian Eröd natürlich, als schauspielerisch und stimmlich hochflexibler Loge das Zentrum im “Rheingold”. Tomasz Konieczny, der als schlängelnder, getriebener Alberich schlicht in allem überzeugte. Eva Johansson und Nina Stemme als glänzende Brünnhilden.

Abseits der großen Rollen so etwas wie der heimliche Held des “Rings”: Ain Anger, der als Fafner und als Hunding hochpräzise, punktgenaue, bravouröse Auftritte lieferte. Stephen Gould als Siegfried löste zwar nun die stimmlichen Versprechen auf höchstem Niveau ein (was er bei der “Siegfried”-Premiere 2008 nur bedingt schaffte), doch könnte er exemplarisch für das prinzipielle Problem der Darstellung von Jugendlichkeit im gehobenen Opernumfeld stehen: Da treffen sich Glaubwürdigkeit und die nötige stimmliche Reife nur selten. Boaz Daniel war ein eleganter Gunther, Eric Halfvarson ein stimmstarker, auch heftig bejubelter Hagen, Ricarda Merbeth hat man schon stärker gesehen als gestern als Gutrune.

Welser-Möst aber hat sich als Herr des “Ringes” gezeigt und das Orchester an vier Abenden zu jener Leistung animiert, für die es weltweit berühmt ist. Überwältigend die dramatischen Dynamik-Autobahnen des “Walküren”-Vorspiels, tief erschütternd, wenn gegen Ende der “Götterdämmerung” Siegfrieds Trauermarsch die schwarzverhüllte Bühne mit hellstrahlendem Blech und heftigster Emotion anspielt. Stunde um Stunde machte Welser-Möst die Musik zum packenden Drama, von wenigen Ermüdungserscheinungen bei den Bläsern am Ende der “Götterdämmerung” abgesehen, war die Orchesterdarbietung nicht so sehr makellos als dauerfantastisch.

Doch die musikalische Glanzleistung muss in Zukunft immer wieder erarbeitet werden – was bleibt, auf Jahre hinaus im Repertoire, ist die Inszenierung. Bechtolf hat sich selbst versagt, dem “Ring” eine große Interpretation mitzugeben. Das ist natürlich ein legitimer Zugang, eigentlich der ursprünglichste. Doch die Konzentration auf die menschlichen Konflikte der großen Götter, auf Familienzwist und Inzestdrama mutet auch in der Gesamtschau an wie Dienst nach Vorschrift. Bechtolf erzählt den “Ring” nahe am Existenzminimum, und was man vorher noch nicht über dieses Werk gewusst hat, weiß man auch nachher nicht. Dabei weiß der Regisseur viel über den “Ring”, er ist voller Anekdoten über die Aneignung des Wagner-Stoffes. Auf der Bühne zeigt er so gut wie nichts davon.

Dafür schafft er einige der intensivsten zwischenmenschlichen Szenen, die man derzeit auf der Staatsopernbühne sehen kann. Etwa das gegenseitige Angiften von Hunding und Siegmund (Johan Botha) in der “Walküre”, den Zusammenbruch Brünnhildes nach Siegfrieds Verrat in der “Götterdämmerung”. Wer aber hinter die allzumenschlichen Konflikte blicken will, wer Inspiration, erstaunliche Einsichten oder etwa gar Konfrontation ersehnt, wird enttäuscht sein: Dieser “Ring” lässt das Publikum in Ruhe. Das mag ein großer Teil der Opernfans durchaus begrüßen – interpretatorische Gestaltung ist in diesem Kontext meist nur in der Musik gefragt.

Wenige Wellen wirft neben der Regie-Sprache (allzu oft ist Rampensingen angesagt) auch die Ausstattung von Rolf und Marianne Glittenberg. Symptomatisch der Auftakt zum “Rheingold”: Wogende Stoffbahnen umwallen die Rheintöchter, wie man sie schon immer im Theater gesehen hat, und man glaubt kaum, in der Staatsoper des 21. Jahrhunderts zu sitzen. Das Leading Team hat an der Optik noch ein wenig gefeilt, Felsliegen und Goldköpfe ergänzen als Leitmotive jetzt die erstarrte Tierwelt, dafür fehlen abgerissene Puppenköpfe und der Puppenwagen. Doch diese optische Motivik verläuft sich im Laufe der Abende, ebenso wie die Tier-Videos. Anderes weiß jedoch zu bestehen – das multimediale Finale von “Walküre” und “Götterdämmerung”, die steifen Tierkörper, die wie auf der Flucht die Bühnenwände bevölkern, überhaupt die Distanz zur Natur, die sich immer wieder äußert, auch das Todesaufbäumen Fafners zur meterhohen Schlangenfigur.

Doch wenn am Schluss, nach dem Niedergang der Götter, Bechtolf nur den nackten Menschen überlässt, wenn also Gott tot ist und die Menschen sich nun als die besseren Götter zu erweisen hätten, dann geht man weniger inspiriert als mit dem Bewusstsein aus dem Haus, dass hiermit die Fragen erst anfangen. Denn wie gut die Menschen ihr eigenes Schicksal zu meistern verstehen, ist allgemein bekannt.

 

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