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Wachgeküsst

©Alexander Ess
In dem jahrhundertealten Arzthaus Dr. Seeger in Ludesch pulsiert wieder Leben – nach höchst traditionsbewusster Modernisierung.

Das große alte Arzthaus Dr. Seeger in Ludesch ist wieder in Betrieb. Nicht als Bauernhof oder Dichterwerkstatt, auch nicht als Arztpraxis – die ist seit dem 19. Jahrhundert um ein paar Hausnummern weitergewandert – sondern als Wohnhaus und Lebensmittelpunkt einer mehrköpfigen Familie. Vorangegangen war eine umfassende Sanierung, unter der erstmals im Haus Badezimmer installiert wurden. Anbauten aus der Mitte des 20. Jahrhunderts mussten weichen und bleiben doch lesbar.

Geschichte bleibt lesbar: Wo eine Waschküche und Bäder angebaut waren, sind jetzt wieder Fenster. Die Wiederherstellung eines ursprünglichen Zustandes kommt ohne historisierende Verkleidung aus.
Den Passanten zeigt sich der Einfirsthof als gepflegtes, frisch renoviertes Gebäude. Inzwischen sind auf der Dachfläche über dem Wirtschaftstrakt Sonnenkollektoren angebracht.

Der etwa 300 Jahre alte Einfirsthof begleitet mit seiner Traufseite die Walgauer Straße, der Wirtschaftstrakt samt Auffahrt liegt im Norden und der Wohntrakt im Süden. Er zeigt sich als gepflegtes, frisch renoviertes Gebäude, aber außer den Solarpaneelen am Dach deutet nichts auf Modernisierungen hin. Die Gebäudekante bildet mit dem Straßenverlauf einen spitzen Winkel. Dadurch gibt es zwischen der Südhälfte und der Straße zunehmend Platz, der als Vorgarten gestaltet ist und den Zugang zum Wohntrakt mit Blumen und Sträuchern säumt. Die Modernisierung spielt sich im Inneren und auf der Rückseite ab und beschränkt sich nicht auf moderne Haustechnik. Die Tenne zum Beispiel, der schmale Gebäudeteil zwischen Wohntrakt und Hoftor, wurde vermutlich ab dem 19. Jahrhundert als Pferdestall genutzt. Neu definiert dient sie, parallel zur Querflurerschließung des Wohntrakts, als Nebeneingang und Schmutzschleuse. Da sie breit genug ist, wurde auch eine moderne Nasszelle eingestellt, Vergleichbares gab es vorher nicht. Die innere Verbindung zum Wohntrakt geht über drei Stufen hinauf in die Küche.

Im Winkel zwischen dem Wohntrakt und dem Wirtschaftstrakt liegt der Eingang zur Tenne, früher Pferdestall, jetzt dem Wohntrakt zugeordnete Schmutzschleuse mit Nasszelle.

Der jetzige Besitzer hatte das Haus von seiner Großtante geerbt. Die alleinstehende Frau war schon länger mit der Wirtschaft überfordert gewesen, ihr Aktionsradius wurde immer geringer, bis sie von einer Pflegerin begleitet wurde. Gleichzeitig wuchs das Haus zu mit nicht mehr gebrauchten Gegenständen. Als ihr Erbe dort als Junggeselle sein Lager aufschlug, sah er erst einmal keinen Grund für Veränderung, nicht einmal, als gleich nach seinem Einzug die Heizung ausfiel. Ein Bett, Wasser und ein Dach, mehr brauchte er nicht. Bis es einen guten Grund gab, das Haus wieder aufzuwecken.

Der Querflur mit dem Treppenhaus wurde auf der Westseite zum Tageslicht geöffnet. Außen gehen die schützenden Lamellen durch vom Boden bis unter die Traufe, der Gartenausgang ist optisch integriert.

Das sollte aber nicht irgendwie geschehen, sondern in einer Synthese aus Traditionsbewusstsein und Fortschrittlichkeit, voll Hochachtung für den berühmten Vorbesitzer Ludwig Seeger, Mundartdichter, Arzt und Begründer eines heilgymnastischen Privatinstituts in Wien.

Restaurierter Holztäfer und Türen in stimmiger Proportion. Zwei Kachelöfen im Erdgeschoß wurden für die Übergangszeit instandgesetzt, im Obergeschoß wurden sie nicht gebraucht und machten daher Platz.

Architekt Christian Albrecht sah die Schönheit und die guten Qualitäten des mächtigen Hauses, so - wohl in handwerklicher Hinsicht als auch mit Blick auf die Materi - alien und Proportionen. Er fand Alternativen zur entstellenden Außendämmung, neue Fenster wurden in der alten Optik ange - fertigt, mit schmaler Ansicht und den alten Beschlägen. Er plädierte erfolgreich dafür, die Türstöcke in ihrer lichten Höhe von 1,85 Metern zu erhalten. Holztäfer wurden abgenommen, restauriert, ergänzt und wieder angebracht.

Das Bad im warm ausgebauten Dachgeschoß steht wie eine große Schachtel im Winkel unter den Kehlbalken. Es ist farbig abgesetzt und eine willkommene Alternative zum Familienbad im ersten Stock.

Beim Ausbau des Dachbodens wurden die konischen Massiv - holzdielen herausgenommen, gesäubert und auf dem neuen Untergrund in Trockenaufbau mit Fußbodenheizung wieder verlegt, passgenau, auch ohne sie vorher nummeriert zu haben — Handwerkskunst. Selbst die Dachziegel wurden alle abgenommen, gewaschen und als Beitrag zur Nachhal - tigkeit wieder verwendet, obwohl man sich da ein anderes Material hätte vorstellen können. Auf der Westseite des Hauses war im 20. Jahrhundert eine Waschküche angebaut worden. Später wurde sie mit Bädern aufgestockt. Diese Zubauten wurden jetzt abgerissen, wodurch die Küche und das Zim - mer über ihr erst wieder zu Tageslicht kamen. Die aufs Neue erstan - denen Fensteröffnungen sind mit ihren durchgehenden Glasflächen klar von den historischen Fenstern unterschieden, ohne Vertuschen der Vergangenheit wieder hergestellt. Als echte Neuerung wurde der Querflur gartenseitig dem Tageslicht geöffnet, Materialität und Gestaltung bezeugen auch dies.

Das Treppengeländer wurde durch handwerklich perfekten Nachbau fortgeführt bis ins ausgebaute Dachgeschoß. Man sieht keinen Unterschied, nicht einmal im hellen Licht der neuen Fenster.

Obwohl es nahe lag, am Ende des breiten Flurs im Obergeschoß eine Nasszelle einzubauen, fiel die Entscheidung zugunsten des Tageslichts und der Erhaltung der alten räumlichen Gliederung. Das Bad kam stattdessen in eines der vier großen Zimmer. Es macht den Eindruck, als wäre der Raum mit der freistehenden Wanne und dem Waschtisch lediglich neben - bei möbliert, so sehr hat er seinen Charakter als Zimmer bewahrt. Das dritte Bad steht im warm ausgebauten Dachboden wie eine große, farbige Schachtel unter den Kehlbalken.

Obwohl es nahelag, am Ende des breiten Flurs eine der neuen Nasszellen einzubauen, entschieden sich Bauherr und Architekt für Tageslicht und die Erhaltung der alten räumlichen Gliederung.

Als reine Privatangelegenheit wird das Haus Seeger an der Lutz nicht betrieben. Das Dachgeschoß bietet Platz für Training, auch in Gruppen, und unter einem der drei Kellergewölbe darf wieder jede Menge Alpkäse vom Ludescherberg reifen.

Daten und Fakten

Objekt Haus Burtscher, Ludesch
Bauherr Bernhard Burtscher
Architektur Albrecht Bereiter. Architekten, Dornbirn, www.albrecht-bereiter.at
Statik Mader Flatz, Bregenz
Fachplanung Bauphysik: Bernhard Weithas, Lauterach; Elektro: Licht&Wärme, Raggal
Planung 01/2018–07/2019
Ausführung 06/2018–07/2019
Grundstück 3523 m²
Nutzfläche 221 m²
Besonderheiten Sanierung 300 Jahre alter Bestand
Ausführung Holzbau: Gerhard Sutter, Ludesch; Spengler: Thomas Burtscher, Ludesch; Elektro: Licht & Wärme, Raggal; Instal - lateur: Küng, Thüringen; Tischler: Klaus Engstler, Dalaas; Täfelungen/Türen: Günter Martin, Raggal; Möbel: Reiter Rankweil; Küche: Impuls 3, Bludesch; Raumausstattung: Berle, Thüringen; Böden: Christian Greussing, Bezau; Hel - mut Fink, Au; Schlosser: VMZ, Ludesch & Alexander Gruber, Raggal; Treppe: Kaspar Türtscher, Batschuns; Trocken - bau: Burtscher, Ludesch; Fenster: Claus Schwarzmann, Schoppernau
Energiekennwert 75 kWh/m² im Jahr (HWB)
Baukosten 600.000 Euro

Text: Claudia Rinne | Fotos: Alexander Ess, Stefan Hauer

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