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Vorratsdatenspeicherung in Deutschland verfassungswidrig

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Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat die umstrittene Vorratsdatenspeicherung gekippt.
Geteiltes Echo nach Urteil
Urteilsverkündung zur Vorratsdatenspeicherung
EU- Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung

Die anlasslose Speicherung der Telefon- und Internetdaten verletze das Grundrecht auf Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses, sagte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier am Dienstag in Karlsruhe. Die Regelungen seien daher nichtig. Die bisher gespeicherten Daten müssten unverzüglich gelöscht werden.

Nach Ansicht der Richter handelt es sich bei der Speicherung aller Telefon- und Internetverbindungsdaten für sechs Monate um einen “besonders schweren Eingriff in das Fernmeldegeheimnis”, weil die Verbindungsdaten inhaltliche Rückschlüsse “bis in die Intimsphäre” ermöglichten.

Eine Speicherpflicht sei zwar nicht von vorneherein verfassungswidrig, erklärte Papier. Die Regelungen seien jedoch nicht verhältnismäßig, da sie weder die Datensicherheit ausreichend gewährleisteten noch die Verwendung der Daten genügend begrenzten. Außerdem gingen die Regelungen weit über das in der zugrundeliegenden EU-Richtlinie geforderte Maß hinaus. Eine Klärung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) sei nicht nötig, da die die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ohne Verstoß gegen deutsches Recht umgesetzt werden könne.

Auch für die Verwendung der Telekommunikationsdaten stellten die Richter hohe Hürden auf. Zur Strafverfolgung dürften die Daten nur bei Verdacht einer schwerwiegenden Straftat abgerufen werden, urteilten sie. Die Richter schränkten auch den Zugriff der Geheimdienste erheblich ein. Die Daten bestimmter Behörden, sozialer Einrichtungen und Kirchen dürfen dem Urteil zufolge gar nicht übermittelt werden.

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) erwartet Folgen des Verfassungsgerichts-Urteils zur Datenspeicherung für die EU. Sie betonte: “Diese Entscheidung wird auch auf Europa ausstrahlen.” Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sprach sich für eine zügige Umsetzung des Urteils zur Vorratsdatenspeicherung aus. Leutheusser-Schnarrenberger müsse entsprechende Vorschläge vorlegen. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sieht im Urteil “ein Stück mehr Freiheit für die Bürgerinnen und Bürger”. Die betroffene Wirtschaft dürfe bei der Neuformulierung “nicht mehr als nötig belastet” werden. “Auch die EU sollte die bisherige Richtlinie im Lichte dieser Ausführungen überprüfen.”

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast sprach von einer schallenden Ohrfeige für die Verdachtspolitik. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Peter Altmaier, bedauerte dagegen das Urteil. Verbraucherschutz-Verbandschef Gerd Billen sagte, der Staat müsse in der Informationsgesellschaft Vorbild sein. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßte, dass die Richter die Vorratsdatenspeicherung für die Zukunft nicht ausgeschlossen hätten.

Die Deutsche Telekom gibt den Strafverfolgungsbehörden ab sofort keine Auskünfte mehr zu den gespeicherten Vorratsdaten. Das Unternehmen ziehe damit die Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der bisherigen gesetzlichen Regelung, sagte ein Konzernsprecher am Dienstag der Nachrichtenagentur DAPD. Eine Sprecherin des deutschen Internet-Branchenverbandes eco zeigte sich indes unzufrieden mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

Das deutsche Urteil erregte auch in der österreichischen Politik großes Interesse. Infrastrukturministerin Doris Bures (S) sieht im Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichtshofs eine Bestätigung ihres eigenen Wegs. “Im Unterschied zu Deutschland habe ich eine weitaus restriktivere Umsetzung vorgeschlagen”, meinte sie am Dienstag in einer Aussendung. Auch die FPÖ und die Grünen zeigten sich erfreut über das deutsche Urteil. Das BZÖ rief die Bundesregierung zum Boykott bei der Vorratsdatenspeicherung auf.

Seit März 2006 schreibt die EU-Richtlinie 2006/24/EG die systematische Speicherung von Telefon- und Internetdaten vor. Anbieter von Telekommunikationsdiensten müssen demnach EU-weit Verbindungsdaten zwischen 6 und 24 Monate lang auf Vorrat speichern. Die Datensammlung soll bei der Fahndung nach Terroristen und anderen Verbrechern helfen.

Die Vorschriften hatten Telekommunikationsanbieter in Deutschland seit 2008 verpflichtet, die Verbindungsdaten von Telefon, Handy, E-Mail und Internet auf Vorrat für ein halbes Jahr speichern und Polizei sowie Geheimdiensten zur Strafverfolgung und Gefahrenabwehr zur Verfügung zu stellen. Dagegen hatte eine Rekordzahl von 35.000 Bürgern geklagt, unter ihnen die heutige Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger.

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