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Vor 70 Jahren: "Ich wurde zweimal verschüttet!"

Franziska Gorbach war die letzte Lebend-Geborgene nach dem Bombenabwurf auf Feldkirch.
Franziska Gorbach war die letzte Lebend-Geborgene nach dem Bombenabwurf auf Feldkirch. ©Rupp
 14-jährige Schülerin aus Hörbranz überlebte die Bombenabwürfe in Feldkirch   Die Hörbranzerin Franziska („Fanny“) Gorbach erinnerte sich ihr Leben lang an den 1. Oktober 1943, als sie als letzte Verschüttete aus den Trümmern des Mädchenheimes in Feldkirch gerettet wurde.
1943 - Bomben auf Feldkirch

In ihren schriftlichen Erinnerungen, die sie ca. 55 Jahre nach dem schrecklichen Ereignis verfasste, werden die Erlebnisse dieses Tages wieder „lebendig“:

 „Ein strahlend schöner Herbsttag, azurblau der Himmel, im Herzen die Vorfreude auf den ersten Heimfahrsonntag! Die Heimschüler/innen der LBA (Lehrerbildungsanstalt)-Feldkirch warten auf das Mittagessen. Es ist kurz vor 12 Uhr 30. Die freudige Stimmung wird plötzlich getrübt. Die Sirenen heulen. Fliegeralarm!

 Schon zeigen sich ‚silberne Vögel’ in großer Höhe, die wir unbekümmert zu zählen versuchen. Niemand denkt ernsthaft an eine Gefahr. Im Ländle sind ja noch nie Bomben gefallen! Auch der Luftschutzkeller ist zu dieser Zeit noch nicht fertig ausgebaut. ‚Rasch in den Keller oder ins Stiegenhaus’, heißt es. Die Mädchen strömen in das mehrstöckige ‚Heim’ in der Carinagasse. Darunter ist auch ein 14-jähriges Bauernkind (ich) mit zwei schwarzbraunen Zöpfen. Ich laufe zuerst in Richtung Keller, sehe die riesigen Rohre und es kommen mir Bedenken. Wenn da etwas wäre…? Ich ziehe es vor, ins Stiegenhaus zu gehen. Dort kommen immer mehr Schülerinnen dazu, sodass wir ziemlich dicht beisammen stehen.

 

Plötzlich – ein unheimliches Rauschen, ein Krachen und Bersten der Fensterscheiben, Staub wirbelt auf und trübt die Sicht.  Die erste Bombe! Sie detoniert auf dem Schulhofe und verfehlt ihr Ziel, das große Schulgebäude, in dem auch das Knabenseminar untergebracht ist, um nur wenige Meter. Nicht auszudenken, welche Folgen auch dieser Treffer gehabt hätte. Den riesigen Bombentrichter sehe ich erst später.

 Im Abstand von Sekunden ein markerschütternder Schrei: ‚Mama!’

Für viele unserer Heimschülerinnen wird es Nacht, unheimliche, todbringende Nacht! Die zweite schwerere Sprengbombe hat das Mädchenheim direkt getroffen. Verzweifelte Hilfeschreie unter den Trümmern, eine unbeschreibliche Enge – immer weniger Luft!

 Da – ein Kratzen und Scharren mit primitivsten Werkzeugen, ein aufgeregtes Stimmengewirr! Unsere mutigen Lehrer und Schüler versuchen verzweifelt, kostbare junge Menschenleben zu retten. Unter den Verschütteten wird es immer stiller. Mit dem Tode ringendes Keuchen. Letzte Hilferufe verstummen. Ich versuche, noch ruhig zu bleiben und ringe um das bisschen Luft. ‚Ruhe bewahren, um möglichst wenig Sauerstoff zu verbrauchen’, hieß es bei Unterweisungen für den Luftschutz. Das geht mir durch den Kopf. ‚Leichter gesagt als getan’, denke ich bei noch klarem Verstande. Gott sei Dank bewahre ich meine Nerven.

 Auf einmal vernehme ich das Hämmern eines Pressluftbohrers über mir. Soldaten der Deutschen Wehrmacht sind herbeigeeilt, um rasche Hilfe zu bringen. ‚Jetzt musst du rufen, damit sie dir den Kopf nicht anbohren’, denke ich mir und mit sehr viel Mühe kommt ein hörbares ‚Hilfe’ zustande, aber gefährlicher, kratziger Sandstaub dringt in meinen Mund. ‚Da ruft doch jemand’ höre ich die Retter über mir sagen und mit größter Anstrengung wird nach mir gegraben und gesucht. Endlich sind Kopf und Oberkörper frei, zwei uniformierte Helfer versuchen, mich hochzuziehen. Es ist nicht möglich. Wie eingemauert stecke ich zwischen Schutt und scharfkantigen Mauerteilen. Ein Hand ragt vor mir aus den Trümmern. Sie ist kalt! Ich lege meinen verschundenen Ellbogen darauf, denn Sylvia spürt es nicht mehr. O Gott, sie ist tot!

 Mein Blick schweift in die Höhe. Blauer Himmel! Unwillkürlich erinnere ich mich an die Verse in Schillers Lied von der Glocke ‚In den öden Fensterhöhlen wohnt das Grauen und des Himmels Wolken schauen herein.’ Neben mir sehe ich eine Mauer, die einzustürzen droht. Ungeachtet dessen versucht ein Professor, daran hochzuklettern, um eine Schülerin zu bergen, die oben im Baustahlgewebe hängt. (Sie soll auf dem Dachboden den Luftschutzdienst gehabt haben, höre ich später sagen.)

 Ein Schüler der 4. Klasse schreit den Professor noch an und schon bricht ein neues Unheil herein – ich werde zum zweiten Mal verschüttet. Bis ich das Tageslicht wieder erblicke, scheint es eine Ewigkeit zu dauern, denn die Lage ist noch bedrohlicher und die Luft noch knapper. Gott sei Dank – wieder gerettet! Doch für das arme Mädchen da oben, kommt jede Hilfe zu spät.

 Es ist 16 Uhr 30! Die letzte noch Lebend-Geborgene!

 Am liebsten würde ich gleich heimfahren. Daran ist aber nicht zu denken, ich sinke zusammen wie ein Waschlappen. Ich werde auf eine Bahre gehoben und sehe auf einem Platze draußen die vielen Toten. Direktor Kunkel irrt – den Kopf in die Hände vergraben – wie ein Verzweifelter umher und ich höre ihn fortwährend klagen: ‚Meine Mädels! Meine Mädels!’ 40 Schülerinnen (Anmerkung: nach anderer Quelle: 41) und 3 Lehrerinnen ihr Leben lassen. Wahrlich eine traurige Bilanz!

 

Als ich auf der Bahre ins Schulgebäude hinübergetragen werde, habe ich ein Erlebnis, das mir in tiefer Erinnerung bleibt. Meine Mutter erlebte diesen 1. Oktober auf besonders dramatische Art:

 Sie ist an jenem Unglücksnachmittage zu Besuch bei meinem Bruder, der sich im Lazarett Riedenburg befindet. Auch in Bregenz gibt es Fliegeralarm und sie muss das Lazarett verlassen. Dabei sieht sie die Männer der  Deutschen Wehrmacht vorbeirasen. Eine Frau sagt, dass Feldkirch bombardiert worden sei und dass es das Antoniushaus und das Lehrerseminar besonders schwer getroffen habe. Die Frau bemerkt, wie meine Mutter erschrickt und versucht zu trösten: ‚Dem Knabenseminar ist nichts geschehen, aber das Mädchenheim erhielt einen Volltreffer!’

 In aller Eile telefoniert meine Mutter nach Hause und fährt mit dem nächsten Zug nach Feldkirch. Die Fahrt scheint ihr ewig zu dauern. Endlich kommt meine Mutter an und hastet mit bangem Herzen an jene Stätte, an die sie mich vor knapp zwei Wochen hinbegleitet hat. Ein Bild des Schreckens bietet sich ihr! Man zeigt ihr die 1. Liste – die Liste der Geretteten. Der Name ‚Fanny Gorbach’ steht nicht darauf. Man zeigt der leidgeprüften Frau die 2. Liste – die Liste der Toten. Aber auch auf dieser Liste befindet sich mein Name nicht. ‚Gebt mir bitte eine Schaufel!’ fleht meine Mutter in ihrer Verzweiflung. Da ist gerade der Zeitpunkt, in dem ich ins Schulgebäude hinübergetragen werde. Meine Mutter kommt traurig und ratlos die Stiege herunter. Ich sehe sie, zupfe sie am Ärmel, versuche ein Lächeln und sage: ‚Mama, do bin i; kennscht mi it?’Ihre Freude brauche ich wohl nicht zu schildern. Nun wird mein Name an die letzte Stelle der 1. Liste eingetragen. Gott sei Dank!“

So weit die Erinnerungen von Fanny Gorbach.

 

Franziska Gorbach wurde 1929 in Hörbranz geboren. Gemeinsam mit ihren sechs Geschwistern musste sie von frühester Jugend an auf dem Bauernhof ihrer Eltern mitarbeiten. „Es war damals üblich so.“ Nach dem Besuch der Volksschule kam die 14jährige Fanny nach Feldkirch, wo sie bei besagtem Bombenangriff verschüttet wurde: „Um 12 Uhr 30 fiel die Bombe, gegen 15 Uhr 30 war ich bis zur Hüfte freigelegt, wurde dann erneut verschüttet und erst gegen 16 Uhr 30 als letzte Überlebende endgültig gerettet.“

Nach dem Abschluss der Ausbildung zur Volksschullehrerin unterrichtete Fanny Gorbach zunächst drei Jahre in Gaschurn, dann drei Jahre in Hard, anschließend vier Jahre in Lochau, bis sie schließlich nach Hörbranz kam. Dreißig Jahre lang unterrichtete Frau Gorbach – als äußerst beliebte Lehrerin – an der Volksschule Hörbranz. 1989 trat Fanny Gorbach in den Ruhestand. Sie starb am 9. August 2011.

 

Willi Rupp

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