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Von der Funkenhexe zum Sündensack

ritterORDEN der musischen tonsurkrähe
ritterORDEN der musischen tonsurkrähe ©Andreas Ender - www.grossartig.at

Wir leben in und mit Selbstlügen, um uns das Dasein zu erleichtern, um den Realitätsdruck zu meistern. Wir pflegen Brauchtum, als ob es gebraucht würde, als ob es Funktion hätte, als ob es sinnvoll wäre. Es ist wie der verzweifelte Versuch, im sturen, bornierten Festhalten an etwas, das vorbei und vergangen ist, meist zurecht und gut, etwas besonders Authentisches zu sehen, das dann herhalten muss für Identifikationsleistungen, für Sinnstiftung. Alter und Herkunft verbürgt Güte, Echtheit. Die meisten fragen nicht nach Hintergründen, nach eigentlicher Bedeutung. Sie folgen, laufen mit, sind mit dabei. Adabeis und Mitläufer als Kulturbereicherer.

Nicht jeder Brauch ist wert, bewahrt und bedacht oder museal inszeniert zu werden. Die Bräuche der Herren, für die die Unteren, der Aussatz, das Menschenmaterial, die Leibeigenen nur organische Dinge waren, die sie “gebrauchten”, die ihnen zu Dienst stehen mussten, die keine Freiheit hatten, die froh sein durften, wenn ihnen die Obrigkeit einmal im Jahr die kurze Narrenfreiheit ließ in der Fastnacht, im Fasching, um sie dann reumütigen Haupts nach dem Aschermittwoch wieder in der Zwangsgemeinschaft zur Fron zu versammeln, wären heute nicht alle opportun: das Recht der Entjungferung, der grundlosen Züchtigung, der Folter usw. – für wen wäre das inszenierenswert?

Den Pranger, die Auspeitschungen würden viele heute wünschen. Aber dafür gleich ein Programm im Namen der Kultur? Der Fasching wird immer noch organisiert und gepflegt, obwohl es seiner in einer permissiven Gesellschaft nicht mehr bedarf. Aber die Sehnsucht nach den alten, schlimmen Zeiten, als man unfrei war und sich freute, einmal “frei” sein zu dürfen, was als “närrisch” gelten musste für die Unteren, das scheint die unbedarften Kurzdenker und Konsumenten von heute immer noch zu beglücken.

So auch viele heidnischen Bräuche, die von der katholischen Kulturwelt absorbiert wurden, etwas entschärft, im Kern aber immer noch atavistisch, primitiv, böse. Das Hexenverbrennen zum Beispiel. Auch im Zusammenhang mit dem Winteraustreiben.

Allein, dass solche Bräuche, die in einer aufgeklärten Gesellschaft überhaupt keinen Sinn mehr ergeben, gepflegt werden, zeigt das zähe Festkleben von Früherem, wider besseres Wissen, wider moderne Entwicklung. Sie wollen sich suhlen. Aber nur in ausgewählten Bereichen. Der Rest, der damals real war, in diesem dunklen Sinngefüge, den würden sie, müssten sie ihn konkret verspüren, doch zurückweisen. Eine doppelte Lüge.

Also wird als Brauchtum heutzutage zwar keine Hexe, keine Frau, mehr verbrannt, aber ihr Sinnbild, das effigie, die Puppe. Ein Ersatz. Aber einer, der als Zeichen auf etwas Reales verweist, das seinen Sinn im Kommunikationsakt einfordert. Auch wenn viele heute das verneinen oder entrüstet von sich weisen, sie kollaborieren, sie machen mit, sie drücken etwas aus. Es ist die alte Verbindung von Weib und Sünde, von Weib und Teufel, von der Hexe, die getötet werden muss. Das Weibliche als der Winter, der verjagt werden muss, das Weibliche als das Böse, das im reinigenden Feuer geläutert, verwandelt wird und als Rauch in den Himmel steigt. Es ist der anmaßende Kraftakt jener, die meinen gut zu sein, Recht zu haben.

Der Sündensack, der an Stelle der Hexe verbrannt werden soll, ist ebenfalls ein Ersatz. Einer, der helfen soll, vom Weibertöten, vom alten Hass gegen das Weibliche, wegzuführen. Erfolgreich wäre die Aktion, wenn, vielleicht nach Generationen, diese Brauchtumspflege überhaupt ausstürbe, weil obsolet. Entweder wird etwas gesellschaftlich gepflegt, dann brauche ich keine eigene Brauchtumspflege, oder es ist überwunden, ausgestorben, dann hat es höchstens noch historischen, musealen Wert. Nicht alles ist bewahrenswert. Und das, was überhaupt keine Funktion, keinen Sinn macht im herrschenden Weltbild, ist ein Fremdkörper, eine Täuschung oder Lüge. Man soll sich nichts vormachen.

Und jene, die sagen, sie machen sich nichts vor, sie vertreten die Werte, wofür dieses oder jenes Brauchtum steht, die sollen nach diesen Werten be- und verurteilt werden. Denn eigentlich kollidieren ihre Wertvorstellungen mit unseren, und zwar wesentlich.

Infobox: “verbrennen : sündensack”, Hittisau, Platz, Samstag, 12. März, 20:30 Uhr

im torkel 2,bludenz, Austria

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