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Vom Zanzenberg zum Ararat

„Woher kommen die höchsten Berge? so fragte ich einst. Da lernte ich, dass sie aus dem Meere kommen. Dies Zeugnis ist in ihr Gestein geschrieben und in die Wände ihrer Gipfel. Aus dem Tiefsten muss das Höchste zu seiner Höhe kommen“. So spricht Nietzsche am Zanzenberg.

Sofort verlasse ich den Moränenhügel (512 m), zu dessen ehemals eisnassen Füßen sich heute das Dorngebirn als ein großer und plumper Siedlungshaufen ausbreitet, nachdem sich der Rheingletscher zurückgezogen hat. Besser, er wäre geblieben, ästhetischer wär‘s, denn auf den biotopischen folgte ein verhüttelter kleinstädtischer Sumpf biederer Gefälligkeitsarchitektur: vom Handel zerfressene Dörferhaufen winseln nach Umsatz, gesichtslose Durchzugsstraßen zerschneidern letzte dörfliche Zusammenhänge. In der vermuteten Stadtmitte brüllt ein von Bierkesseln umgebener Postklotz ins Ratloshaus. Die Bewohner sind Sparefrohs, hängen in Tankstellen herum und halten das alles für ihre Heimat.
Weg hier.

Wien, Budapest, Belgrad, Sofia, Dimitrowgrad, Istanbul Sirkeci Gar. Ich istanbule kurz, um dann mit König Adaradatscha, der ja sagt, in Ankara in den Trans-Asia-Express zu steigen, der uns zum Van-See bringt. „Miyav, miyav” (Miau auf türkisch). Eine Vankatze mit einem grünen und einem braunen Auge streicht um mein Gebein. Gespenstisch. Aus dem See taucht Van Canavari auf, das Seeungeheuer, schnaubt wie ein LKW und bietet Platz auf seinem Rücken. „Evet“ sagt Adaradatscha und hockt auf. „Kurtuluş” sag ich (Heilä auf Türkisch) und hau ab. Vor mir erhebt sich der legendäre Berg, auf dem die Arche Noah laut Genesis gestrandet sein soll. “Schmerzensberg” nennen ihn die Türken, “Mutter der Erde” die Armenier, “Feuriger Berg” die Kurden, „Berg Noahs“, die Perser: der 5.137 Meter hohe Stratovulkan Ararat. Im kurdischen Dorf Eili schlag ich die Genesis auf:

„Als sich die Menschen über die Erde hin zu vermehren begannen und ihnen Töchter geboren wurden, sahen die Gottessöhne, wie schön die Menschentöchter waren, und sie nahmen sich von ihnen Frauen, wie es ihnen gefiel. Da sprach der Herr: Mein Geist soll nicht für immer im Menschen bleiben, weil er auch Fleisch ist; daher soll seine Lebenszeit 120 Jahre betragen. In jenen Tagen gab es auf der Erde die Riesen, und auch später noch, nachdem sich die Gottessöhne mit den Menschentöchtern eingelassen und diese ihnen Kinder geboren hatten. (…) Der Herr sah, dass auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm und dass alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war. Da reute es ihn, auf der Erde den Menschen gemacht zu haben, und es tat seinem Herzen weh. Er sagte: Ich will den Menschen, den ich erschaffen habe, vom Erdboden vertilgen, mit ihm auch das Vieh, die Kriechtiere und die Vögel des Himmels, denn es reut mich, sie gemacht zu haben. Nur Noah fand Gnade in den Augen des Herrn.“ Gelb die Königskerzen, blau der Himmel, weiß der Berg. Das Wasser steigt.

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