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Völlig verrückter Kiss-Auftritt in Wien

Kiss ist nicht nur Musik: Die Fans wollen den Bassisten der US-Band Feuer speien, den Rhythmusgitarristen über das Publikum fliegen, den Gitarristen Raketen abschießen, den Drummer mit seinem Schlagzeug abheben sehen - und dazu Gassenhauer hören. Genau das gab es am Donnerstagabend Wien zu erleben.

Seit 1973 kennt die Welt die schwarz-weiß geschminkten Gesichter und die Fantasykostüme der New Yorker, die mit knackigen Gitarrensongs ihre bis heute ununterbrochene Karriere starteten. Später passte man sich dem populären Disco-Sound an. Es wurde ein erbärmliches Konzeptalbum produziert, es kam zu Umbesetzungen im Streit und schließlich wurden die Masken für einige Jahre abgelegt. Nach einer über Strecken uninspirierten Glam-Hairspray-Metal-Phase erfolgte die Rückbesinnung auf frühere Tugenden und eine Reunion der Originalbesetzung.

Zwei Musiker der Ur-Mannschaft, Gitarrist Ace Frehley und Drummer Peter Criss, sind mittlerweile wieder ausgestiegen. Mit Tommy Thayer und Eric Singer haben die Chefs Gene Simmons (Bass) und Paul Stanley (Rhythmusgitarre) soliden und verlässlich musizierenden Ersatz gefunden. Dass die Neuen die Rollen ihrer Vorgänger übernehmen mussten (und sogar deren Gesten 1:1 wiedergeben), stört dabei eigentlich niemanden mehr. Nach der umjubelten “Alive 35 Tour” präsentierten Kiss nun sogar mit “Sonic Boom” (Roadrunner) ihr erstes Studiowerk seit zehn Jahren. Und wie das Motto “Sonic Boom Over Europe: From The Beginning To The Boom” versprach, führte die Songauswahl beim Österreich-Gig durch fast alle Episoden der “Kisstory”.

Zum neuen, gelungenen Stück “Modern Day Delilah” erschienen Kiss, wie es sich für Rock ‘n’ Roll-Entertainer gehört, auf einem über die Bühne schwebenden Steg, dazu züngelten Flammenwände hoch. Sehr laut, druckvoll und kompakt rockte das Quartett durch altes Material (“Deuce”, “100.000 Years” und – besonders stark – “Black Diamond”), aktuelle Nummern (“Say Yeah” und das doch zu klischeehaft aufgetragene Simmons-ich-bin-super-Lied “I’m An Animal”) und sogar Reminiszenzen an die ungeschminkten 80er (“Crazy Nights”, das allerdings aus der Distanz etwas parodistisch anmutete). Auch wenn Stanleys Stimme die Töne mittlerweile nicht immer richtig trifft, so beschallten Kiss doch ordentlich die Gehörgänge. Die Stimmung kochte phasenweise über.

Aber so richtig Spaß macht der Zirkus eben nur mit Attraktionen: wenn Simmons z. B. Blut spuckt und in schwindelerregender Höhe mit seinem einer Axt gleichenden Instrument “I Love It Loud” anstimmt, Thayer Raketen aus seiner Gitarre abfeuert und Stanley nach einem Ritt über die Köpfe der Stehplatzbesucher mit “I Was Made For Lovin’ You” zum Tanz bittet. Und weil das alles so schön war, gab es noch ein hymnisches “God Gave Rock ‘n’ Roll To You” und zum Schluss ein fulminantes “Rock And Roll All Nite” im nicht enden wollenden Konfettiregen samt Indoor-Feuerwerk. Während Simmons, Singer und Thayer per Hydraulik gegen Deckenrand emporstiegen, zertrümmerte Stanley seine Gitarre – auch das gehört zum Zirkus. Es muss nicht alles hinterfragt werden, es darf schon mal pures Entertainment sein!

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