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Viennale: Cronenberg hat "keine Checklist" für seine Filme

David Cronenberg präsentierte im Rahmen der Viennale seinen neuen Film.
David Cronenberg präsentierte im Rahmen der Viennale seinen neuen Film. ©APA
David Cronenberg gilt als Altmeister des subtilen und erotischen Horrors. In seinem jüngsten Film "Eine gefährliche Methode", basierend auf dem Theaterstück "The Talking Cure" von Christopher Hampton, hat sich der Regisseur bei der Dreiecksgeschichte von Sigmund Freud, C.G. Jung und dessen Patientin Sabina Spielrein vor allem auf die innere Spannung der Akteure gesetzt. Zu seiner Wahl auf Keira Knightley in der weiblichen Hauptrolle steht er voll und ganz.
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Nicht zuletzt das überzogene Spiel von Keira Knightley hat dem Psychoanalyse-Drama einiges an Kritik eingebracht, doch anlässlich der Österreich-Premiere bei der Viennale verteidigte der kanadische Regisseur David Cronenberg die Besetzung und sprach vor Journalisten über die “schwarze Kunst” des Castings und den Einfluss von Julia Roberts auf den Film. 

Ursprünglich war Christoph Waltz für die Rolle des Sigmund Freud vorgesehen. Wie sind Sie mit seinem Ausfall und dem neuen Hauptdarsteller Viggo Mortensen umgegangen? Cronenberg: Vor jedem Film, den man macht, verliert man Schauspieler. Aber man versucht eben, das Beste daraus zu machen – und in gewisser Weise war es gut so. Ich hatte ursprünglich Viggo für die Rolle vorgesehen, aber er hatte das Gefühl, dass er nicht der Richtige wäre. Erst danach ging ich zu Christoph, der vielleicht eine offensichtlichere Wahl für Freud gewesen wäre. Aber mit Viggo haben wir einen ungewöhnlicheren Aspekt von Freud, der aber immer noch sehr präzise ist. Freud mit Mitte 50 wurde als gut aussehend, maskulin, witzig und kräftig beschrieben, und ich denke, das bekommen wir auch. Es ist nicht der Großvater-Typ, an den man sonst denken würde, aber wenn man Freud liest, merkt man, dass er auch ein witziger Kerl war.

Auch Keira Knightley war eine ungewöhnliche Wahl…

Cronenberg: Das finde ich gar nicht. Ich weiß, dass die Engländer eine sehr seltsame Einstellung ihr gegenüber haben, weil sie zu hübsch und zu erfolgreich ist, aber das ist wohl ein Klassenproblem, wie meistens ins England. Aber sie war, ehrlich gesagt, die einzige, die ich für die Rolle überlegt hatte. Denken Sie nur: Das Alter muss stimmen, sie muss schön und attraktiv sein, sie muss als jüdische Russin überzeugend sein und sie muss sehr gut artikulieren können, denn diese Leute waren damals sehr gebildet, sehr kultiviert, sprachen eine komplizierte Sprache. Ich war von Beginn an überzeugt, dass Sie die Richtige sein würde.

Wie gehen Sie mit etwaiger Kritik am Casting um?

Cronenberg: Casting ist wie eine “schwarze Kunst”, ein unsichtbarer, aber sehr zentraler Teil des Regieführens, denn wenn man als Regisseur die falsche Wahl trifft, kann man einen Film schon vor Beginn der Dreharbeiten zerstören. Und da gibt es auch keine Regeln. Wie sollte ich etwa wissen, ob Keira Knightley und Michael Fassbender eine Chemie vor der Kamera entwickeln würden, wenn sie noch nie gemeinsam gespielt haben und sich nicht kennen? Da muss man ein gutes Gespür haben und auch ein bisschen Glück. Und je nach Finanzierung hängt es dann auch noch davon ab, aus welchem Land ein Schauspieler stammt. Grundsätzlich mag ich es aber sehr gerne, mit den gleichen Leuten zu arbeiten – sowohl bei Schauspielern als auch bei der Crew.

In Ihren Filmen geht es oft um Sexualität und Gewalt. Haben Sie diesmal bewusst einen kultivierteren Zugang gewählt?

Cronenberg: Mein Zugang zum Filmemachen ist ein völlig anderer als der eines Kritikers. Ein Kritiker wird, wenn er einen Film von mir sieht, beginnen, ihn mit meinen bisherigen Filmen zu verknüpfen und Schlüsse zu ziehen. Das tue ich überhaupt nicht, das ist völlig irrelevant für mich. Wenn ich einen Film mache, ist es so, als hätte ich vorher noch nie einen gemacht. Da gibt es ein neues Projekt, ich bin begeistert von Christopher Hamptons Stück – und dann denke ich nur noch daran, wie ich dieses Projekt umsetze, ohne dabei an meine anderen Filme zu denken. Ich habe keine Checklist: hier muss ein bisschen Körperhorror rein, hier ein bisschen Blut… Es tut mir leid, aber aus kreativer Sicht würde mir das gar nichts geben.

Der Körper spielt dennoch eine große Rolle, wenn auch stärker verinnerlicht als in früheren Filmen.

Cronenberg: Was Freud gemacht hat, war, dass er die Realität des menschlichen Körpers zu einer Zeit ins Spiel gebracht hat, als diese völlig verleugnet wurde. Menschen haben hohe Krägen und viele Kleiderschichten getragen, sie haben nicht über Penisse, Vaginas, Anusse und Exkremente, über Inzest oder Sexualität gesprochen. Er sprach darüber, er sah dies als reale Dinge an, die man nicht einfach ignorieren könne, nur weil wir eine abstrakte Vorstellung haben, was Humanität und Zivilisation betrifft. Er sagte, wir müssen diese Dinge akzeptieren und erkennen, dass sie einen großen Einfluss auf unser Leben haben. Man könnte also sagen, wenn es schon keinen Körperhorror gibt, dann zumindest ein starkes Körperbewusstsein.

In letzter Zeit begegnen uns immer häufiger Theaterstücke auf der Kinoleinwand. Sehen Sie eine stärker werdende Verbindung zwischen den beiden Kunstformen?

Cronenberg: Es gab immer eine starke Verbindung zwischen Film und Theater. Die ersten Filme, die gemacht wurden, waren abgefilmte Theaterstücke. Aber ich kann Ihnen sagen, dass das Theaterstück “The Talking Cure” ursprünglich auf einem Drehbuch basierte. Vor siebzehn Jahren trat Julia Roberts’ Firma an Christopher Hampton heran und fragte ihn, ob er aus dem Buch “Eine gefährliche Methode” ein Drehbuch machen könnte. Er schrieb “Sabina” für sie, aber der Film wurde nie gemacht, weswegen er dann darum bat, ein Theaterstück daraus machen zu dürfen. Wenn die Menschen heute also von den theatralischen Ursprüngen des Films reden, liegen sie völlig falsch – ursprünglich war der Stoff nämlich für das Kino gedacht.

(Interview: Austria Presse Agentur).

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