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Verfassung: Pattsituation vor EU-Gipfel

EU - Einen Tag vor dem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs zur Reform der EU-Verfassung hat sich an der Pattsituation nichts verändert.

Polen beharre auf seiner Forderung, bei der Überarbeitung des Verfassungstextes auch die Stimmgewichtung zu diskutieren, hieß es am Mittwoch in Brüssel aus Kreisen der deutschen Ratspräsidentschaft. Als Knackpunkte gelten nach Aussagen der Ratspräsidentschaft zudem auch die britischen Bedenken gegen eine rechtliche Verbindlichkeit der Grundrechtecharta sowie zuletzt gegen den geplanten EU-Außenminister.

Ein hochrangiger Berliner Regierungsvertreter dämpfte die Erwartungen an den Gipfel: Auch wenn es bei dem Treffen keine Lösung gebe „geht die Welt nicht unter“. Die Präsidentschaft würde es „schon als Erfolg bewerten, wenn die Mitgliedstaaten sagen, das ist der richtige Weg“.

Im Streit um die Stimmengewichtung in der EU hatte Polens Premier Jaroslaw Kaczynski in einem Zeitungsinterview zuletzt neue Kompromissbereitschaft angedeutet. Polens Vorschlag, die Stimmen der Einzelstaaten mit der Quadratwurzel aus der Bevölkerungszahl zu gewichten, müsse nicht zwingend zu einem Patt in den Verhandlungen führen, sagte Kaczynski der deutschen „Bild“-Zeitung (Mittwochausgabe). Der polnische Verhandler Marek Cichocki deutete gegenüber dem deutschen RBB-Inforadio gar eine Abkehr Polens von der „Quadratwurzel-Formel“ an.

Unterdessen will Tschechien nach Angaben aus EU-Kreisen die polnische Regierung für einen Kompromissvorschlag gewinnen, wie die Nachrichtenagentur AFP am Mittwoch erfuhr. Die erforderliche Bevölkerungsmehrheit bei der Stimmengewichtung soll dabei von 65 Prozent auf 62 Prozent reduziert werden. Außerdem sollen für eine Sperrminorität fünf Länder notwendig sein und nicht nur vier, wie im Verfassungsentwurf vorgesehen. Europaminister Alexandr Vondra wollte die Vorschläge am Mittwoch in Warschau vorlegen.

Ungeachtet der schwierigen Ausgangslage setzt der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf einen erfolgreichen Abschluss des EU-Gipfels zur Vertragsreform. „In gewisser Weise sind wir ja fast schon zum Erfolg verdammt“, sagte Steinmeier am Mittwoch in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. „Ich will mir gar nicht ausmalen, wo wir in Europa am Tag nach einem gescheiterten Gipfel stehen würden“, fügte Steinmeier hinzu.

Auch die österreichische Bundesregierung stellt sich auf schwierige Verhandlungen ein. Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (S) sagte am Mittwoch nach dem Ministerrat in Wien, er sehe „eine 50:50-Chance“ für eine Einigung. Vizekanzler Wilhelm Molterer (V) meinte dazu, das Ja jener Länder, die der Verfassung zugestimmt hätten, dürfe nicht weniger wert sein als das Nein der Gegner.

Die EU-Chefs sollen bei dem Treffen ein Mandat für eine Regierungskonferenz beschließen, die noch im Juli spätestens aber im Herbst zusammentreten soll um den neuen EU-Vertrag zu verhandeln. Dieser müsste dann neuerlich von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden, was 15 bis 18 Monate in Anspruch nimmt. In dem Textentwurf für den Verhandlungsrahmen, der am Dienstagabend an die Mitgliedstaaten verschickt wurde, wird der polnisch-tschechische Wunsch in einer Fußnote erwähnt. Die Grundrechtecharta soll Rechtsverbindlichkeit erhalten, es soll aber eine „Lösung“ für Großbritannien geben.

Sollte es beim Gipfel zu keiner Lösung kommen, wäre es nach Ansicht von Berliner Kreisen unwahrscheinlich, dass bald ein Sondergipfel dazu einberufen würde. Technisch sei das zwar möglich, praktisch wäre aber eine „Abkühlungsphase“ notwendig. Von einer Krise der EU könne man in einem solchen Fall nicht sprechen, betonte der Regierungsvertreter.

In Brüssel demonstrierten indes Gewerkschaftsvertreter dafür, die Grundrechtecharta als Teil des neuen EU-Vertrages rechtsverbindlich aufzunehmen. Auch wenn das Arbeitsrecht weiter nationale Angelegenheit bleibe, wäre mit dem Vertrag trotzdem „einiges außer Frage gestellt“, sagte der Präsident des österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB), Rudolf Hundstorfer, zur APA. Aus Sicht der Gewerkschaft brauche es ein Signal an die europäischen Bürger, „dass der EU soziale Grundfragen extrem wichtig sind“.

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