Die alte Hauptstraße durch Wolfurt drängt sich ganz an den Hanganstieg zum Massiv des Bregenzerwaldes und verbindet die Gemeinden von Wolfurt bis Rankweil. Ihr Straßenverlauf verdichtet sich zwischen den eigentlichen Ortskernen mit Kirche, Gasthaus, Schule immer wieder zu kleinen Weilern mit eng aneinander gedrängten Rheintalhäusern. Daraus ergibt sich ein Rhythmus von Orten und Identitäten, die auch heute noch spürbar sind und gemeinsam mit historischer Bausubstanz ein merkbares Ortsbild schaffen.
Die alten Rheintalhäuser müssen sich aber schon seit geraumer Zeit dem Wandel der Gesellschaft und ihrer Wohnbedürfnisse stellen. Waren es früher Landwirtschaft, Industrie und die Stickerei in Heimarbeit, die die Rahmenbedingungen für die Siedlungen der Gemeinden im Unteren Rheintal bildeten, so ist es heute die dramatische Nachfrage nach Grundstücken, die auf die alten, relativ locker bebauten Grundstücke drängt. Die traditionell enge Verbundenheit mit dem eigenen Stück Boden und der hartnäckige Wunsch nach dem Einfamilienhaus stellen sich noch einer rasanten und dichten Verbauung entgegen. So kommt der Entscheidung jedes Bauherrn große Bedeutung zu. Sind die Ansprüche an das neue Gebäude rein wirtschaftlicher Natur oder werden Ort und Umfeld respektiert? Wolfurt selbst bietet ein Panoptikum von möglichen Verdichtungen und Revitalisierungen. Der Bauherr hatte dort ein Grundstück mitsamt altem Rheintalhaus gekauft und wollte Wohnraum in angemessener Form schaffen. Die aktuellen Bauvorschriften belohnen den Erhalt der Bestandes, in dem man binnen sieben Jahren nach Abbruch eines Hauses in dessen Kontur wieder neu bauen darf, auch wenn Bauabstände überschritten wurden.
Das traf sich. Der Bauherr beauftragte Christian Tonko, der damals noch in Wien studierte, einen geeigneten Vorschlag für das geneigte Grundstück zu machen. So entstand das heutige Haus aus dem Vorgängerbau. Durchaus vorteilhaft, denn der knappe Abstand zu den beiden Straßen schuf Freiraum für den Garten. Der Entwurf schlägt einen in der Typologie bewährten Lösungsweg ein. In die Firsthöhe von knapp elf Meter passten jedenfalls drei Geschoße. Wohnen ganz oben und ganz unten, in der Mitte wird geschlafen. Zwei maisonettenartige Wohnungen links und rechts haben Zugang zum Garten. Dazwischen führt von der Straße ein Treppenlauf hoch zur dritten Wohnung, die sich ganz oben im Dachraum zur offenen Wohnlandschaft ausbreitet und ihre Schlafräume darunter, ebenfalls im ersten Stock unterbringt.
Zur Straße hin ist das Gebäude an der Längsseite um eine Fahrzeugtiefe ausgenommen. So wird nachteiliger Wohnraum knapp an der Straße vermieden. In der Mitte ist der Eingang in die Wohnung im Dachgeschoß und zieht direkt über die Treppe hinauf zum Dach hinaus. Dieser weit ausladende Einschnitt zur Straße und das Untergeschoß sind in Stahlbeton errichtet. Das übrige Haus wurde vollständig in Holz vorgefertigt und in kurzer Bauzeit vor Ort montiert.
Ein Stück Wohngenuss – Garten oder Aussicht – für jeden und das Lebensgefühl eines Einfamilienhauses in ein einziges Volumen verpackt. Jeder hat ein Stück Gehsteig zum Schneeschaufeln, jeder einen Eingang zur Straße und einen eigenen Keller, in dem man Fahrräder unterbringen oder auch sein Büro einrichten kann. Zur Südseite hat jeder einen Garten – oder eine große Dachterrasse mit Blick ins Alpenpanorama, Platz für Liegestühle, die Sandkiste oder den eigenen Kräutergarten.
Der Außenraum im zweiten Stock ist als viereinhalb Meter breite Terrasse in das Dach eingeschnitten. Ein Zimmer halb im Freien ungestört von nachbarlichen Blicken. Über 85 m2 Wohnraum, der sich über vier Meter hoch in den First aufrichtet und 30 m2 Terrasse haben Loft-Charakter. Da ist ein durchaus städtischer Maßstab zu spüren und der Architekt weist jede Frage nach einer möglichen Zwischenebene entschieden von sich. Da soll es Luft und Freiraum haben. Die Familie mit zwei Kindern begnügt sich mit zwei geräumigen Schlafzimmern und das passt gut für sie. Sie sind im Grunde auch in Städten sozialisiert und schätzen den großen Raum über alles. Hier wird gespielt, gegessen und gelesen. Zwei fixverglaste Gauben schneiden in das Dach noch zwei Aussichtspunkte ein. Die Terrassen gegenüber und die Straße sind geschickt ausgeblendet.
Vielleicht gerade weil jeder seine Rückzugsmöglichkeiten hat, funktioniert auch die Hausgemeinschaft gut. Die Kinder spielen gemeinsam in den Gärten und einen Zaun braucht es auch nicht. Die drei Familien passen gut zum Haus und seinen zahlreichen Möglichkeiten. Alle drei kennen das Leben in Städten und schätzen zugleich das soziale Miteinander und die Identität und den Maßstab der Dorfgemeinde.
Daten und Fakten
Objekt: Haus für drei Familien, Wolfurt
Architektur: Arch. Christian Tonko, Wolfurt/Wien; www.christiantonko.com
Generalunternehmer: Alpina Hausbau, Hard
Planung: 2010–2012
Ausführung: 4/2013–6/2014
Grundstücksgröße: ca. 800 m²
Wohnnutzfläche: ca. 380 m²
Keller: ca. 150 m²
Bauweise: Keller, Carport und Auskragung im Erdgeschoß aus Stahlbeton; Obergeschoße: Holztafelbau in Rahmenbauweise: Vorgefertigte Wand- und Deckenelemente aus Massivholz; thermische Hülle mit über 30 cm Wärmedämmung; Fassade: Schirm aus unbehandeltem Lärchenholz, stehend in drei Brettbreiten mit offenen Fugen. Fenster: Lärchenholz mit Dreifachverglasung. Heizung mittels Luftwärmepumpe sowie Schwedenöfen. Innen: Gipskartonständerwände. Fußböden aus Eichenholzdielen
Besonderheiten: Altes Stickerhäuschen im Garten wurde erhalten und wird als Gartenhaus genutzt.
Ausführung: Baumeister: Zimmermann Bau, Bregenz; Holzbau, Fenster, Türen und Innenausbau: Alpina Hausbau, Hard; Heizung/Lüftung: Dorf-Installateur, Wolfurt; Elektro: Kirchmann, Langen Energiekennwert: 32 kWh/m2 im Jahr
Errichtungskosten: ca. 800.000 Euro
Leben & Wohnen – Immobilienbeilage der VN
Für den Inhalt verantwortlich:
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