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Verbraucherschützer kritisieren EZB-Leitzinssenkung

EZB senkte Leitsinz auf neues Tief - Deutscher Bund der Versicherten: Sparen fürs Alter wird bestraft.
EZB senkte Leitsinz auf neues Tief - Deutscher Bund der Versicherten: Sparen fürs Alter wird bestraft. ©dpa (Themenbild)
Kaum jemand hat mit einer weiteren Leitzins-Senkung der EZB gerechnet. Das historische Zinstief feuert die Rekordjagd beim Dax weiter an. Zu den möglichen Folgen gibt es aber ein geteiltes Echo. Gerade Verbraucherschützer haben die Leitzinssenkung teils heftig kritisiert.
EZB senkt Leitzins auf neues Tief

Mit ihrer historischen Leitzins-Senkung haben Europas Währungshüter die Märkte weltweit überrascht. Die Europäische Zentralbank (EZB) drückte den Zins am Donnerstag von 0,5 Prozent auf das neue Allzeittief von 0,25 Prozent. Ob das nochmals verbilligte Geld das niedrige Preisniveau nun anheben und die Konjunktur zusätzlich anschieben kann, ist unter Experten jedoch umstritten.

Auch wenn Notenbankpräsident Mario Draghi eine “längere Phase niedriger Inflationsraten” in der Eurozone erwartet, sehen manche Beobachter die Fortsetzung der extrem lockeren Geldpolitik mit gemischten Gefühlen. Kritik kommt vor allem aus Deutschland – denn für die größte Volkswirtschaft Europas mit ihrer relativ robusten Konjunktur galt schon das bisherige Zinsniveau als zu niedrig.

“Hoffnung auf Altersvorsorge sinkt”

Damit sinke die “Hoffnung auf eine vernünftige Altersvorsorge”, sagte der Vorstand des deutschen Bundes der Versicherten, Axel Kleinlein, dem Berliner “Tagesspiegel” (Freitagsausgabe). Auf diese Weise würden diejenigen bestraft, die für das Alter etwas ansparen wollten.

Kleinlein befürchtet dem Bericht zufolge, dass mit der Leitzinssenkung weitere Lebensversicherer aus dem aktiven Geschäft aussteigen werden. Das Geschäftsmodell der Branche werde damit “final auf den Prüfstand gestellt”.

“Kommt Enteignung gleich”

Der Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes BdB, Michael Kemmer, warnte vor den möglichen Auswirkungen einer anhaltenden Geldschwemme. Mittel- bis längerfristig nähmen “die Risiken der Niedrigzinspolitik weiter zu”, sagte er. Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon sprach von Nachteilen für die ohnehin gebeutelten Sparer: “Niedrigzinsen führen zu dauerhaften Verlusten der Sparer, die quasi einer Enteignung gleichkommen, weil sie bei ihren Anlagen negative Realzinsen hinnehmen müssen.”

Deflationäre Sorgen hinter vorgehaltener Hand?

Der Chefökonom der VP Bank in Liechtenstein, Thomas Gitzel, wies auf mögliche Ähnlichkeiten zur Lage in Japan hin, das über Jahre mit einer Deflation zu kämpfen hatte: “Wenngleich Mario Draghi bei der Pressekonferenz keine Parallelen zur japanischen Entwicklung sieht, dürften in den Gängen des Euro-Towers deflationäre Sorgen hinter vorgehaltener Hand die Runde machen.” Kritiker bemängeln auch, dass die Niedrigzinspolitik nicht für alle Euro-Länder gleichermaßen geeignet sei.

Im gesamten Euroraum war die Teuerung im Oktober überraschend deutlich auf 0,7 Prozent und damit den tiefsten Stand seit vier Jahren gesunken. Das hatte Forderungen nach noch billigerem Geld Nahrung gegeben: Die EZB solle eine Abwärtsspirale aus fallenden Verbraucherpreisen und schwachem Wirtschaftswachstum verhindern.

Draghi dämpfte die Sorgen: “Wenn wir Deflation verstehen als einen weit verbreiteten Verfall von Preisen in vielen Warengruppen und in mehreren Ländern – das sehen wir nicht.” Ob die Zinssenkung positive Folgen für die Realwirtschaft hat, ist aber offen. Das seit längerem günstige Geld wird von den Banken oft nicht in Form günstigerer Kredite für neue Investitionen an die Unternehmen weitergegeben.

Leitzinssenkung sorgt für Kurzfeuerwerk

Am deutschen Aktienmarkt sorgte die EZB-Entscheidung dennoch für ein Kursfeuerwerk. Der Dax schoss auf zwischenzeitlich 9193 Punkte in die Höhe. Im späten Handel büßte er im Zuge einer fallenden Wall Street dann den Großteil seiner Gewinne ein. Am Ende verbuchte der Dax mit 9081,03 Punkten aber immer noch einen Rekord-Schlusswert.

Andere wichtige Börsen in Europa wie der EuroStoxx 50 oder die Leitindizes in Paris und London rutschten dagegen ins Minus. In den USA lag der Dow Jones Industrial zum europäischen Handelsende rund 0,3 Prozent unter dem Schlusskurs vom Mittwoch. Der Euro war zuvor bis auf ein Tagestief von 1,3296 US-Dollar abgestürzt.

Unterdessen hob der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt die Bedeutung Draghis im Kampf gegen die Schuldenkrise hervor. “Man kann sich auf Mario Draghi verlassen”, sagte Schmidt am Donnerstagabend in Hamburg. Draghi sei Kopf der einzigen Institution, die momentan etwas tue. Die Effizienz anderer europäischer Institutionen wie EU-Kommission und Parlament kritisierte Schmidt hingegen. “Viel Reden, wenig Handeln”, sagte er in einem Podiumsgespräch mit Draghi beim Wirtschaftsforum der “Zeit”.

EZB senkt Leitzins auf Rekordniveau

Der EZB-Rat hatte am Donnerstag überraschend den Leitzins für die 17 Staaten der Währungsgemeinschaft auf 0,25 Prozent herabgesetzt. Die Währungshüter begründeten ihre Entscheidung mit der extrem niedrigen Inflation. Die Europäische Zentralbank (EZB) will mit niedrigen Zinsen der kriselnden Wirtschaft in der Eurozone neuen Schub geben.

Der Leitzins ist der Zinssatz, zu dem sich Geschäftsbanken bei der Zentralbank mit Geld versorgen können, um es etwa in Form von Krediten an Verbraucher und die Wirtschaft weiterzureichen.

“Längere Phase niedriger Inflation” erwartet

Der EZB-Rat gehe davon aus, dass die Zinsen im Euroraum für einen längeren Zeitraum auf dem aktuellen Niveau oder darunter liegen werden, sagte EZB-Präsident Draghi. Die Notenbank erwarte eine “längere Phase niedriger Inflation”, erklärte Draghi.

Kredite so billig wie nie

Niedrige Zinsen verbilligen tendenziell Kredite und Investitionen und kurbeln so die Wirtschaft an – das stärkt den Preisauftrieb. Die EZB sieht Preisstabilität bei knapp unter 2,0 Prozent Jahresteuerung. Zuletzt lag die Inflationsrate im Jänner bei 2,0 Prozent, seither teils deutlich drunter. Üblicherweise orientiert sich die EZB nicht an einzelnen monatlichen Inflationsdaten, sondern am mittelfristigen Ausblick. Und: Zum Teil ist der geringe Preisdruck eine Folge der politisch gewollten Sparmaßnahmen in einigen Krisenländern.

Überraschender Zinsschnitt

Der historische Zinsschritt kommt auch deshalb überraschend, weil die Wirtschaft im Euroraum die Rezession verlassen hat und 2014 – auch nach EZB-Prognosen – wieder wachsen wird. Allerdings sei die wirtschaftliche Erholung “schwach, fragil und ungleichmäßig”, wie das deutsche EZB-Direktoriumsmitglied Asmussen kürzlich betonte.

(APA/dpa/red)

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