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USA: Fünfjährige in Handschellen

Der Rigorismus der US-Polizei ist berüchtigt: "Zero-Tolerance" ist beliebte Methode zur Volkserziehung. Das fünfjährige schwarze Mädchen jedenfalls wird sein erstes Erlebnis mit der Staatsgewalt wohl nie vergessen.

Dank einer Videoaufnahme in der Grundschule in Fairmount Park nahe St. Petersburg (US-Bundesstaat Florida) sahen Millionen Amerikaner im Fernsehen, wie drei Polizistinnen dem weinenden, angeblich ungezogenen Kind Handschellen anlegen.

Das Video, das zur Hebung der Schuldisziplin gedreht wurde, ist nur ein Aufsehen erregendes Beispiel für den Rigorismus von US-Behörden und Polizei. In der Hauptstadt Washington warf ein Polizist kürzlich eine Schwangere zu Boden, weil sie angeblich zu laut mit ihrem Handy telefonierte – und legte ihr Handschellen an. Ein Jugendlicher wurde gefesselt abgeführt, weil er im U-Bahnhof einen Schokoladenriegel aß – Essen und Trinken sind hier strikt verboten.

In den Schulen, wo Waffendetektoren und Polizisten zum Alltag gehören, wird hart durchgegriffen. Kay Hymowitz schildert in ihrem Buch über die Gefahren von „Zero-Tolerance“ (Null-Toleranz) Fälle von hysterischen Reaktionen auf kindlichen Ungehorsam und auffälliges Verhalten. „Null-Toleranz ist mehr ein Symptom als eine Lösung für die Undiszipliniertheit an unseren Schulen“, schreibt Hymowitz. US-Medien berichteten von einem Neunjährigen in Ocala (Florida), der in Handschellen abgeführt wurde, nachdem er ein angeblich gewalttätiges Bild gemalt hatte. Mit wenigen Strichen hatte er einen Schwertkampf zwischen Kindern gezeichnet. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Ric Ridgway, verteidigt das Vorgehen. „Vor vierzig Jahren wäre der Junge zum Direktor gerufen und verhauen worden – nun leben wir aber in der Ära von wachsender Gewalt an den Schulen und von Columbine“ – wo 1999 das schreckliche Schulmassaker stattfand.

„Zero-Tolerance“ ist in den USA eine beliebte Methode zur Volkserziehung. In New York gelang es aus Sicht der Polizei in den neunziger Jahren, im Kampf gegen Graffiti-Sprayer und Kleinkriminelle auch die Schwerstkriminalität zurückzudrängen.

Allerdings treibt diese Politik beängstigende Blüten. Relativ harmlos sind die harten Strafen für Ordnungsvergehen. Viele Bundesstaaten begrüßen am Straßenrand den Autofahrer mit einem „Herzlich Willkommen“ – 50 Meter weiter wird auf Plakaten gewarnt: 2.500 Dollar (1.913 Euro) Strafe für wildes Müllabladen. In vielen US-Städten wird Parksündern, die die Parkzeit nur wenige Minuten überschreiten, 100 Dollar Strafe aufgebrummt. Wer nicht zahlt, muss 200 Dollar blechen. In TV-Reality-Shows – wie „Cops“ – zeigen Polizisten, was für harte Kerle sie sind. Zwar müssen US-Polizisten – jährlich sterben über 100 im Einsatz – mit Gewaltkriminalität in Metropolen und Gettos fertig werden, doch kann man häufig sehen, wie Autodiebe oder Einbrecher brutal dingfest gemacht werden.

Die Politik des Rigorismus bestimmt auch den US-Alltag. Besonders sensibel reagieren die Behörden auf Alkohol und Sex bei Minderjährigen. 1999 wurde in Colorado der elfjährige US-Schweizer Raoul aus dem Bett geholt, in Handschellen abgeführt und sechs Wochen von den Behörden verwahrt, weil er seine kleine Schwester sexuell missbraucht haben sollte – was sich als Unsinn erwies.

Jugendliche, die Alkohol trinken, werden in den USA zuweilen wie Kriminelle behandelt. In Maryland forderten die Behörden Schulkinder und Bürger auf, Partys zu melden, auf denen unter 21-Jährige Alkohol trinken. Bei Razzien werden die Kinder – in Handschellen – auf die Wache gebracht. „Wir dürfen zwar in den Krieg ziehen, töten und für unser Land unser Leben lassen, aber wegen eines Glases Bier werde ich hier als Verbrecher behandelt“, schimpft Greg (19) in Potomac. Seine deutsche Freundin Marie (19) beschreibt den Unterschied zwischen amerikanischen und deutschen Polizisten. „In Frankfurt hat doch keiner Respekt vor Polizisten, die dürfen einem ja gar nichts – hier genügt ein falscher Ton, und man hat richtige Probleme.“

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