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Unter einem Dach

©Darko Todorovic
Gemeinschaftliches Bauen und Wohnen ist eine gute Alternative, wenn die Bedürfnisse der Bewohner(innen) am Wohnungsmarkt nicht gedeckt werden. Die Umsetzungsmöglichkeiten sind vielfältig und knüpfen auch an bewährte Wohnmodelle an.
Unter einem Dach

Wirklich neu ist es nicht: das Zusammenleben im Verband von Familie, Freunden, Wahlgemeinschaften. Gemeinschaftliches Bauen und Wohnen erlebt in unregelmäßigen Abständen immer wieder eine Renaissance. Wo einst die Großfamilie oder das Dorf der soziale Bezugsrahmen waren, sind es heute vor allem Wahlverwandtschaften: Freunde, Gleichgesinnte, einzelne Familienmitglieder, die gemeinsam bauen und wohnen. Dabei sind die Ansätze vielfältig wie diese Gemeinschaften selbst. Es wird selbst gebaut – oder auch nicht; mitgeplant – oder auch nicht; das Thema „Gemeinschaft“ hat über separate Räume einen sichtbaren Platz – oder auch nicht. Oberstes Credo und Klammer all dieser Projekte ist Selbstbestimmung. Ursache und Wirkung dieses Phänomens sind eine Individualisierung des Wohnens und ein konsequentes Reflektieren sozialer Verantwortung beim Erstellen neuer Räume, auch über die eigenen vier Wände, idealerweise auch über die Grundstücksgrenze hinaus.

Vorarlberg hat eine gute Tradition im gemeinschaftlichen Bauen und Wohnen. Die „cooperative“, eine Planungsgemeinschaft, hat bereits in den 1980er-Jahren Projekte verwirklicht, die kostengünstig, mit hohem Selbstbauanteil und veränderbar in vielen Details Wohnraum für Gemeinschaften schuf. Auch jüngere Projekte zeigen, dass diese Entwicklung nie abgerissen ist.

Die Vielfalt des gemeinschaftlichen Bauens zeigt sich in seinen Erscheinungsformen: von der Einfamilienhaussiedlung, dem Mehrfamilienhaus, kleineren bis größeren Wohnhäusern bis hin zu ganzen Quartieren ist das Phänomen vor allem dort spürbar, wo der Wohnungsmarkt eine Beschränkung kennt: Knappheit des Grundes, zu wenig verfügbare Wohnungen in Miete wie Eigentum, zu wenig kostengünstiger Wohnraum, vor allem: zu wenig kostengünstiger Wohnraum für individuelle Bedürfnisse. Das Phänomen zeigt sich am deutlichsten in Städten, vermehrt aber auch in ländlichen Regionen. Die Ansprüche sind dabei sehr ähnlich. Maßstab und Wohntypologien wechseln. In Vorarlberg sind es vor allem Mehrfamilienhäuser bzw. kleinere Wohnanlagen. Versuche gab es viele. Nur wenige schaffen eine Realisierung. Planen und Bauen ist aufwendig. Gemeinschaft macht vieles leichter, nicht alles.

Die Familien Grabher und Lingg in Lustenau haben ein gutes Beispiel innerhalb dieser Entwicklung realisiert. Geplant hat die Bauherrschaft selbst. Stephan Grabher ist Architekt, Eva Lingg-Grabher Architektin. Ihre Partner im Projekt waren enge Familienmitglieder. Die Eltern der Architektin und die Schwester des Architekten leben heute Tür an Tür. Ausgangspunkt war die Wohnungssuche der beiden. Gebaut wurde auf einem Grundstück neben dem Elternhaus Grabhers, erweitert durch einen Grundstückstausch. Im Zentrum der Planung stand der Wunsch nach individualisierten Entwürfen für drei Parteien in einem leistbaren Rahmen. Energiethemen wurden gemeinsam angegangen. Aufwände für eine Wärmepumpe und eine Photovoltaikanlage, die ungeteilte Ausnützung des vorhandenen Freiraumes, Planung und Errichtung trägt die Gemeinschaft. Auf einen Keller wurde verzichtet. Eine gemeinsam genutzte Garage bietet Abstellmöglichkeiten. Die drei Wohnungen mit 150, 93 und 105 m2 sind individuell ausgestattet, eingerichtet und tragen die erkennbare Handschrift der Bewohner(innen). Diese knüpfen damit an bewährte Formate wie das Mehrfamilienhaus bzw. Mehrgenerationenwohnhäuser an. Die Vorteile liegen auf der Hand: Nachbarschaftshilfe gelingt vor allem dann, wenn sie freiwillig geschehen kann. Die Abläufe innerhalb der Wohneinheiten bleiben selbstbestimmt. Kontakt ist möglich, muss aber nicht sein. In der Selbstbestimmung liegt der wesentliche Faktor dieser neuen Gemeinschaftswohnformen.

Für kostengünstiges und energieeffizientes Bauen empfehlen sich kompakte Bauformen. Die drei Einheiten reihen sich aneinander und sind jeweils zweistöckig ausgeführt. Die Wände sind aus Mauerwerk, Bodenplatte und Decken Beton, das Dach aus heimischer Weißtanne. Innen wurde Kalkputz aufgetragen und mit Kalkglätte überzogen. Die Fenster sind aus Holz bzw. Holz-Alu, auch hier gibt die Weißtanne den Ton an. Von außen zeigt sich das Gebäude als Reihenhaus. Ein markanter Durchgang, heute als Abstellfläche genützt, aber auch für eine größere Tafel denkbar, könnte zu einem späteren Zeitpunkt noch verbaut werden. Die Fassaden sind hinterlüftet. Auch hier dominiert die Weißtanne, bzw. auf den wetterexponierten Seiten dunkel lasierte und vertikal angeordnete Fichtenlatten, die nebenbei für einen eleganten Auftritt sorgen.

Daten & Fakten

Objekt Mehrfamilienhaus in Lustenau
Bauherrschaft Familien Eva Lingg-Grabher und Stephan Grabher, Grete und Albert Lingg, Christine Grabher
Planung Eva Lingg-Grabher und Stephan Grabher, Architekturwerkstatt Dworzak-Grabher, Lustenau, www.dworzak-grabher.at
Statik gbd ZT GmbH, Dornbirn
Bauphysik Ing. Bernhard Weithas GmbH, Hard
Geotechnik BGG Consult, Dr. Peter Waibel ZT GmbH, Hohenems
Bauleitung Stephan Grabher
Nutzfläche 350 m²; Wohnflächen der Häuser: 150 m², 93 m², 105 m²
Planung 12/2013-12/2015
Ausführung 2/2015-12/2015
Bauweise: Wände aus Mauerwerk, Bodenplatte und Decken in Stahlbeton, Dach in Weißtanne
Ausführung: Gründung: Nägele, Röthis; Baumeister: Mangold, Hörbranz; Dach und Fassade: Gebr. Keckeis, Lustenau; Fens-ter: i+R, Lauterach; Dachdecker: „Dachi“ Stefan Hämmerle, Lustenau; Spengler: Tectum, Hohenems; Schiebeläden: Martin Blank, Lustenau; Installateur: Karl-Heinz Strele, Dornbirn; Elektriker: Stroj, Lustenau; Estrich: Ebner, Lustenau; Verputz: Markus Steurer, Höchst; Schlosser: Neuko, Lustenau; Tischler: Lenz-Nenning, Dornbirn und Oskar Beer, Au; Ofen: Matthias Bösch, Lustenau; Fliesen: sTile, Dornbirn; Sonnenschutz: Markus Berthold, Rankweil; Holzböden: Ludovikus, Lustenau
Energiekennwert 27 kWh/m² im Jahr (Heizwärmebedarf)

 

Leben & Wohnen – Immobilienbeilage der VN

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
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