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UNO und Hamas stemmen sich gegen Evakuierungsaufruf Israels

Israels Militär hat alle Zivilisten aufgefordert, Gaza-Stadt zu verlassen.
Israels Militär hat alle Zivilisten aufgefordert, Gaza-Stadt zu verlassen. ©AFP; Reuters
Israels Militär hat alle Zivilisten aufgefordert, Gaza-Stadt zu verlassen. 

Sie sollten in den Süden des Palästinensergebiets gehen. In Gaza-Stadt werde es in den nächsten Tagen Militäroperationen geben. Das würde rund 1,1 Millionen Menschen und damit die Hälfte der Bevölkerung des Gazastreifens betreffen, schätzen die Vereinten Nationen. Die radikalislamische Hamas wies die Aufforderung Israels zurück: "Wir werden sterben und nicht gehen."

Palästinenser-Präsident warnte vor einer "zweiten Nakba"

Auch die UNO sträubt sich. Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas warnte vor einer "zweiten Nakba".

Das palästinensische Volk "weist die Drohung und die Aufforderung der Besatzungsanführer zurück", erklärte Hamas in einer Stellungnahme am Freitag. "Wir bleiben standhaft auf unserem Land, in unseren Häusern und unseren Städten. Es wird keine Vertreibung geben", hieß es weiter. Die Menschen in Gaza-Stadt und im Norden des Gazastreifens sollten ihre Häuser und Wohnungen nicht verlassen. Sie sollten zu Hause bleiben, sagte später ein Sprecher des Hamas-Innenministeriums auf einer Pressekonferenz. "Wir werden sterben und nicht gehen." Auch die Moscheen riefen die Menschen dazu auf, ihre Wohnungen nicht zu verlasse.

Der palästinensische Botschafter in Wien, Salah Abdel Shafi, ortete hinter dem Evakuierungsaufruf Israels "nichts anderes als eine ethnische Säuberung", wie er in einer Aussendung zitiert wurde. Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas forderte in einem Gespräch mit US-Außenminister Antony Blinken die Einrichtung von humanitären Korridoren in den Gazastreifen, um ein humanitäres Desaster zu verhindern. Das meldete die palästinensische Nachrichtenagentur WAFA. Er lehnte demnach die israelische Evakuierungsaufforderung als "angeordnete Vertreibung" ab.

Später warnte Abbas vor einer "zweiten Nakba". "Die Vertreibung unseres Volkes aus dem Gazastreifen " käme einer "zweiten Nakba" gleich. Mit dem Begriff "Nakba" (Katastrophe) bezog sich Abbas auf die Flucht von rund 760.000 Palästinensern nach Israels Staatsgründung im Jahr 1948. Abbas Fatah ist mit der Hamas verfeindet.

US-Außenminister Antony Blinken sprach Regierungskreisen zufolge mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu über eine Einrichtung sicherer Gebiete für Zivilisten im Gazastreifen. Bei dem Treffen am Donnerstag sei die Notwendigkeit erörtert worden, das Leben von Zivilisten im dicht besiedelten Gazastreifen zu schützen und einige sichere Gebiete einzurichten, in die Zivilisten umsiedeln könnten, um vor Israels legitimen Sicherheitseinsätzen geschützt zu sein, sagte ein Vertreter des US-Außenministeriums am Freitag. Die USA arbeiteten dabei auch mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz und den Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen zusammen.

Das UNO-Hilfswerk für Palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) erklärte seitens seines Generalkommissars Philippe Lazzarini: "Das Ausmaß und die Geschwindigkeit, mit der sich die humanitäre Krise entwickelt, sind erschreckend. Der Gazastreifen wird schnell zu einem Höllenloch und steht am Rande des Zusammenbruchs." "Die Vereinten Nationen halten es für unmöglich, dass ein solcher Schritt ohne verheerende humanitäre Folgen stattfinden kann", sagte UNO-Sprecher Rolando Gomez am Freitag in Genf. "Die Vereinten Nationen rufen nachdrücklich dazu auf, einen solchen Befehl aufzuheben, um zu vermeiden, dass sich eine ohnehin schon tragische Situation in eine Katastrophe verwandeln könnte", sagte er. Ein Sprecher der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sagte, das palästinensische Gesundheitsministerium habe seine Organisation informiert, "dass es unmöglich ist, schutzbedürftige Krankenhauspatienten aus dem Norden Gazas zu evakuieren". Auch die Kinderschutzorganisation Save the Children kritisierte den Evakuierungsaufruf der israelischen Armee. Die palästinensische Gesundheitsministerin Mai al-Kaila warnte: Gaza stehe vor einer humanitären und einer Gesundheitskatastrophe.

"Völlig unrealistisch, dass eine Million Menschen innerhalb von 24 Stunden umsiedeln können"

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sieht bei Israel ein unrealistisches Vorgehen. "Natürlich muss die Zivilbevölkerung vor bevorstehenden Militäreinsätzen gewarnt werden, aber es ist völlig unrealistisch, dass eine Million Menschen innerhalb von 24 Stunden umsiedeln können", sagt Borrell nach Gesprächen mit Chinas Außenminister Wang Yi in Peking. Auch die USA als engster Verbündeter Israels äußerten sich zurückhaltend dazu. Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, nannte es eine große Aufgabe. "Das sind sehr viele Menschen, die in einem sehr kurzen Zeitraum umgesiedelt werden müssen", sagte Kirby dem Sender MSNBC. "Wir verstehen, was sie tun wollen und warum sie dies tun - um zu versuchen, die Zivilbevölkerung von der Hamas zu isolieren, die ihr eigentliches Ziel ist."

Die libanesische Schiitenorganisation Hisbollah bekräftigte ihre Kampfbereitschaft. Vor Hunderten Anhängern sprach der stellvertretende Generalsekretär der Organisation, Naim Ghassem, der islamistischen Hamas am Freitag seine Unterstützung aus. "Wenn die Zeit zum Handeln gekommen ist, werden wir sie ergreifen", sagte Ghassem. "Wir befinden uns in einer Zeit der Siege und nicht in einer Zeit der Niederlagen." Die vom Iran unterstützte Hisbollah gilt als weitaus mächtiger als die Hamas. Ihr Einfluss reicht tief in den von Krisen gelähmten libanesischen Staat hinein. Die Organisation kontrolliert vor allem den Süden an der Grenze zu Israel.

Geforderte Evakuierung so sicher wie möglich machen

Vom israelischen Militär hieß es, Hamas-Terroristen versteckten sich in Gaza in Tunneln unter Häusern und in Gebäuden, in denen sich Zivilisten aufhielten. Beobachter gehen davon aus, dass eine Bodenoffensive Israels nach dem Großangriff der islamistischen Hamas im Gazastreifen bevorstehen könnte. Man wolle die geforderte Evakuierung so sicher wie möglich machen. "Wir werden die Attacken kontrollieren, damit sie sich sicher bewegen können", sagte der israelische Militärsprecher Daniel Hagari am Freitag. "Es ist eine Kriegszone", betonte er gleichzeitig. Es sei Israel klar, dass eine Evakuierung mehr als 24 Stunden dauern würde. Er nannte aber keinen klaren Zeitrahmen. Man habe den Einwohnern den Aufruf auf verschiedenen Kanälen übermittelt. Man werde auch alles unternehmen, um sensible Orte wie Krankenhäuser bei Luftangriffen nicht zu treffen, sagte Hagari.

Das UNRWA im Gazastreifen verlegte ihre Zentrale in den Süden. "UNRWA hat seine zentrale Einsatzzentrale und sein internationales Personal in den Süden verlegt, um seine humanitären Maßnahmen und die Unterstützung seiner Mitarbeiter und der palästinensischen Flüchtlinge in Gaza fortzusetzen", teilte die Organisation am Freitag auf X (Twitter) mit. Das Hilfswerk forderte "die israelischen Behörden dringend auf, alle Zivilisten in Unterkünften, einschließlich Schulen, zu schützen."

Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen rief alle Staaten auf, im Konflikt zwischen Israel und der Hamas auf die vollständige Einhaltung des Völkerrechts zu pochen. "Wir fordern einen globalen, unmissverständlichen Aufruf aller Mitgliedsstaaten der internationalen Gemeinschaft, vor allem jenen mit Einfluss, darauf zu bestehen, dass internationales humanitäres Völkerrecht respektiert wird", sagte eine Sprecherin des Büros.

(APA/AFP)

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