Der Historiker und Direktor des Remarque-Institutes in New York, Tony Judt, hat sich am Dienstag im Wiener Kreisky-Forum im Rahmen eines Vortrages kritisch mit der Identitätsfindung großer Teile der jüdischen Diaspora in den USA auseinander gesetzt.
Die Frage der Identität ist deshalb so schwierig, da der Großteil der amerikanischen Juden nicht religiös ist. Die meisten waren noch nie in einer Synagoge, auch auf die Sprache können sie sich nicht berufen, da die meisten weder Hebräisch noch Jiddisch beherrschen, so Judt.
Israel-Verteidigung und Auschwitz-Erinnerung
Es bliebe also wenig, womit säkulare Juden in den USA eine Identität aufbauen könnten. Deshalb besteht die Identitätsfindung laut Judt zum einen darin, Israel zu verteidigen, zum anderen an Auschwitz und den Holocaust zu erinnern.
Diese Verbindung ist ihm zufolge äußerst gefährlich: Es läuft darauf hinaus, dass die beiden Begriffe Israel und der Holocaust durcheinander gebracht und vermischt werden und sich die Betroffenen zu moralischen Urteilen aufschwingen würden, meinte er.
Israel erhebt den Anspruch, nicht nur im Namen aller Israelis, sondern im Namen aller Juden weltweit zu handeln, so Judt weiter. Deshalb falle es vielen Juden schwer, Israel zu kritisieren. Zudem sei Israel ein Staat der Juden, nicht ein Staat der israelischen Staatsbürger, was einerseits zum Ausschluss aller Nicht-Juden führe und andererseits alle Diaspora-Juden unweigerlich an Israel und seine Politik binde.
Existenz-Berechtigung unbestritten
Judt betonte, dass er nie die Daseinsberechtigung Israels angezweifelt habe, er sei aber der Meinung, dass Israel sich verändern werde.
Indem man jedem, der die israelische Politik kritisiert, Antisemitismus vorwerfe, entwerte und verharmlose man den Antisemitismus, verteidigte sich der Autor. Auschwitz dürfe kein Mittel dafür sein, um Kritik am israelischen Staat zu vermeiden, dies würde zu einem Verfall des moralischen Interesses der Öffentlichkeit am Holocaust führen.
Die Diskussion fand im Rahmen der Vortragsreihe Diaspora. Erkundigungen eines Lebensmodells des Kreisky-Forums statt. Tony Judt ist Jude und wurde in England geboren. Bekanntheit erlangte er durch seine umstrittenen Israel-kritischen Schriften und nachdem im Vorjahr im polnischen Konsulat in New York ein Vortrag von ihm nach Intervention der Anti-Defamation-League und des American Jewish Commitees kurzfristig abgesagt worden war.
Am Mittwoch erhält er in Wien den Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch 2006. Das nach dem deutschen Autor Erich Maria Remarque (Im Westen nichts Neues), dessen Werk unter den Nazis als entartet verbrannt wurde, benannte Institut an der New York University setzt sich nach eigenen Angaben für die Kommunikation zwischen Europa und den USA ein.
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