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Ukraine: Beschwerde bei Höchstgericht

Der ukrainische Regierungschef Viktor Janukowitsch, der offizielle Sieger der umstrittenen Präsidentschaftswahl, will die Stichwahl vom 21. November für ungültig erklären lassen.

Das gab das Gericht am Mittwoch bekannt. Beobachter glauben, dass Janukowitsch damit die politische Initiative ergreifen will. Dem offiziellen Auszählungsergebnis zufolge siegte Janukowitsch bei der Stichwahl.

Sein Wahlkampfteam habe der Zentralen Wahlkommission vorgeworfen, gegen die Wahlgesetze der Ukraine verstoßen zu haben, erklärte der Oberste Richter Anatolij Jarema. Janukowitschs Team habe das Gericht gebeten, deswegen eine Neuauszählung der Stimmen anzuordnen, da das Endergebnis vor allem im Westen des Landes, nicht der Realität entspreche. Ob das Oberste Gericht die Eingabe Janukowitschs annimmt, war zunächst nicht bekannt.

Der Westen der Ukraine ist eine Hochburg von Oppositionskandidat Viktor Juschtschenko. Die Opposition hatte den Obersten Gerichtshof bereits in der vergangenen Woche angerufen, damit er ihre Beschwerden gegen Manipulationen bei der Stichwahl prüft. Die Richter begannen am Montag damit.

Nach Ansicht von Politikern in Kiew hätte Janukowitsch weder bei einer Wiederholung der Stichwahl noch bei einer völlig neuen Präsidentenwahl eine Chance zu siegen. Unterdessen sprach der scheidende ukrainische Präsident Leonid Kutschma mit den internationalen Vermittlern aus der Europäischen Union (EU) und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Später sollten auch Janukowitsch und Oppositionsführer Viktor Juschtschenko an dem Gespräch teilnehmen.

Die Oberste Rada – das Parlament der Ukraine

Viele Jahre haben die Mächtigen der Ukraine am Parlament vorbeiregiert. In der Krise richten sich nun viele Hoffnungen auf die Oberste Rada (Oberster Rat) und ihre 450 Abgeordneten.

Nach der Verfassung von 1996 ist das aus einer Kammer bestehende Parlament vor allem für die Gesetzgebung zuständig. Es befindet auch über den Staatshaushalt. Der vom Präsidenten ernannte Regierungschef bedarf der Zustimmung der Mehrheit. Mit Zweidrittelmehrheit können die Abgeordneten sogar den Staatspräsidenten aus dem Amt entfernen, allerdings nur bei Hochverrat und schweren Verbrechen.

In der 2002 gewählten Rada ist der liberale Oppositionsblock „Unsere Ukraine“ von Viktor Juschtschenko die stärkste Kraft. Eine kleinere Oppositionsfraktion wird von der energischen Ex-Ministerin Julia Timoschenko geführt. Der scheidende Präsident Leonid Kutschma und sein Ministerpräsident Viktor Janukowitsch stützen sich vor allem auf die Partei der Regionen, ungebundene Abgeordnete und wechselnde Bündnisse.

Derzeitiger Präsident der für vier Jahre gewählten Rada mit ihren häufig wechselnden Mehrheiten ist Wladimir Litwin. Auf seinen Antrag und im Sinne der Opposition hatte das Parlament am Samstag die Stichwahl für das Präsidentenamt für ungültig erklärt. Im Vorfeld der Präsidentenwahl hatten politische Kräfte versucht, ein Verfassungsreferendum durchzusetzen. Dadurch sollten die Positionen von Parlament und Regierungschef gestärkt werden.


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Gleichzeitig schlug der von der Opposition eingebrachte Antrag Präsident Leonid Kutschma die Bildung einer parteiübergreifenden Volksregierung vor. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters stimmten 229 Abgeordnete – drei mehr als erforderlich – einer Absetzung Janukowitschs zu.

Tausende Anhänger von Oppositionsführer Viktor Juschtschenko demonstrierten vor dem Parlamentsgebäude, hunderte blockierten erneut den Zugang zum Regierungssitz in Kiew, der von den Demonstranten am Vortag vorübergehend freigegeben worden war. Ein erster Misstrauensantrag gegen Janukowitsch war am Dienstag gescheitert. Die Opposition hatte daraufhin die Verhandlungen mit der Regierung über die Beilegung der Krise um die umstrittene Präsidentschaftswahl vom 21. November abgebrochen.

Unterdessen trafen die Präsidenten Polens und Litauens, Aleksander Kwasniewski und Valdas Adamkus, in Kiew ein. Sie wollten gemeinsam mit dem EU-Außenbeauftragten Javier Solana und dem russischen Parlamentspräsidenten Boris Grislow zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage an Vermittlungsgesprächen über einen Ausweg aus der Krise teilnehmen. Kwasniewski wurde von seinem Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz begleitet. Er ist Sonderbeauftragter des Europarats, dessen Vorsitz Polen derzeit innehat.

Misstrauensvotum im ersten Anlauf gescheitert

Präsident Leonid Kutschma solle das Kabinett entlassen und eine „Regierung des nationalen Vertrauens“ einsetzen, forderte eine knappe Mehrheit von 229 der nominell 450 Abgeordneten. Nur wenige Minuten zuvor war das Misstrauensvotum im ersten Anlauf gescheitert. Kutschma ist nicht an den Beschluss des Parlaments gebunden.

Der ukrainische Präsident kündigte unterdessen an, dass es im Laufe des Tages in Kiew Gespräche am Runden Tisch über einen Ausweg aus der politischen Krise in der Ukraine geben werde. Noch gebe es „Hoffnung“, sagte Kutschma. An dem Treffen sollten neben ihm selbst auch Regierungschef Viktor Janukowitsch, Oppositionsführer Viktor Juschtschenko und ausländische Vermittler teilnehmen.

Erwartet wurden der EU-Außenbeauftragte Javier Solana, der Generalsekretär der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Jan Kubis, Polens Präsident Aleksander Kwasniewski, Litauens Staatschef Valdas Adamkus und der russische Parlamentspräsident Boris Grislow.

Gebietsparlament von Donezk will Autonomieabstimmung am 9. Jänner

Im Streit um die Präsidentenwahl in der Ukraine hat das Gebietsparlament von Donezk im Osten des Landes für 9. Jänner ein Autonomiereferendum angesetzt. Die Bevölkerung solle abstimmen, ob Donezk ein „eigenständiges Föderationsgebiet im Rahmen der ungeteilten Ukraine“ sein solle, bestimmte das regionale Parlament am Mittwoch.

Es gehe ausdrücklich nicht um eine Abspaltung des industriereichen Gebiets. „Wir werden falsch interpretiert, wenn man uns Separatismus vorwirft“, erklärten die Abgeordneten. Ursprünglich wollte Donezk die Volksabstimmung bereits am 5. Dezember durchführen. Nach ukrainischer Gesetzgebung müssen Referenden jedoch 30 Tage vor ihrer Abhaltung angekündigt werden.

Auch eine Sprecherin der Regionalregierung betonte, es gehe nicht um eine Abspaltung der Region. Sollten sich die Bürger von Donezk mehrheitlich für die Schaffung eines föderalen Staates aussprechen, werde die Regionalregierung das Parlament in der Hauptstadt Kiew um die nötigen Änderungen der Verfassung bitten. Dies sei „ein langer Prozess“, fügte die Sprecherin hinzu.

Die Region Donezk ist eine Hochburg des pro-russischen Regierungschefs Viktor Janukowitsch. Am Sonntagabend hatte das Regionalparlament noch mit Abspaltung gedroht und ein Referendum für kommenden Sonntag angekündigt, in dem die Bevölkerung über einen Autonomiestatus für die Region befragt werden sollte. Der ukrainische Präsident Leonid Kutschma und die Armee hatten die Abspaltungsabsichten in scharfer Form verurteilt.


Keine schnelle Lösung in Sicht

Nach dem Abbruch der Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition in der Ukraine ist eine schnelle Lösung des Streits um den Ausgang der Präsidentenwahl nicht in Sicht. Hochrangige westliche Politiker wollen am Mittwoch einen neuen Vermittlungsversuch zwischen Ministerpräsident Viktor Janukowitsch und Oppositionsführer Viktor Justschenko unternehmen.

Der EU-Beauftragte für Außenpolitik, Javier Solana, traf am Dienstagabend in Kiew ein. Auch der Generalsekretär der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Jan Kubis, sowie die Präsidenten Polens und Litauens, Aleksander Kwasniewski und Valdas Adamkus wollen sich erneut um eine Verhandlungslösung bemühen.

US-Präsident George W. Bush rief zu einer friedlichen Lösung des Konflikts um das Wahlergebnis in der Ukraine auf. In Ottawa (Kanada) sagte Bush am Dienstag, nötig sei eine rasche Lösung, bei der der Wille des ukrainischen Volkes zum Ausdruck komme. „Es ist sehr wichtig, dass keine Gewalt dort ausbricht“, sagte Bush, der auf der Pressekonferenz vom kanadischen Premierminister Paul Martin begleitet wurde. „Und es ist wichtig, dass der Wille des Volkes gehört wird.“

Der kanadische Regierungschef sagte, zum Wesen der Demokratie gehörten freie, offene und transparente Wahlen, und das Vertrauen der Wähler hierauf. „Wahlen in der Ukraine müssen frei von ausländischem Einfluss sein“, fügte Martin hinzu.

Auch der der russische Präsident Wladimir Putin zeigte sich nach deutschen Angaben in einem Telefonat mit Bundeskanzler Gerhard Schröder erstmals offen für eine Wiederholung der umstrittenen Abstimmung. Nach Darstellung des Kremls sprach sich Putin jedoch lediglich dafür aus, die Krise in der Ukraine im Rahmen der Verfassung ohne Druck von außen zu lösen.

Die Opposition um Juschtschenko brach am Dienstag die Gespräche mit dem Regierungslager über einen Ausweg aus der Krise ab. Der Oppositionspolitiker Alexander Sintschenko warf der Staatsmacht eine Verschleppungstaktik vor. Zuvor war die Opposition im Parlament mit einem Misstrauensantrag gegen Regierungschef Janukowitsch gescheitert. Das Oberste Gericht der Ukraine beriet weiter über die Beschwerden wegen Wahlfälschungen, ohne ein Urteil zu fällen.

Janukowitsch machte den Vorschlag, er als Präsident könnte Juschtschenko zum Regierungschef machen. Falls die Wahl wiederholt werde, sollten beide auf eine Kandidatur verzichten. Juschtschenko wies beide Vorschläge zurück. Er rief seine Anhänger auf, in ihrem Protest gegen die Wahlfälschungen nicht nachzulassen.

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