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Über Grenzen

Es muss nicht immer groß hergehen: Und doch beginnt mit jedem neuen Haus ein neuer Lebensabschnitt.
Es muss nicht immer groß hergehen: Und doch beginnt mit jedem neuen Haus ein neuer Lebensabschnitt. ©Darko Todorovic
Mellau - Kinder machen’s, manche Erwachsene ebenso: Das gewohnte Terrain verlassen, die Grenzen der Besiedlung suchen, in der Natur das „erste Haus“ bauen.
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Was Kinder-Natur ist – mit so einer Konstruktion sich in der Welt einen Platz schaffen, sich selbst vergewissern, Kräfte entwickeln – ist für Erwachsene, sozial gebunden, eher ungewöhnlich. Doch schwelt nicht die Idee so eines Ur-Hauses irgendwo in uns allen? Was immer der Anstoß sein mag, bei manchen schlagen aus dieser Glut Flammen und sie bauen. So einer war Henry David Thoreau, Pionier der nordamerikanischen Literatur und Philosophie. Vor 160 Jahren beschrieb er in „Walden oder Leben in den Wäldern“ diesen Schritt mit allem, was folgt, und wurde ein Klassiker.
„Endlich kam der Winter“, heißt es da, „gerade als ich mit dem Bau fertig war. Der Wind fing an, um das Haus zu heulen, als ob er früher dazu keine Erlaubnis gehabt hätte. Ich zog mich immer tiefer in meine Muschel zurück und suchte im Innern meines Hauses und meiner Brust ein helles Feuer zu unterhalten. Zu welch interessantem Ereignis wird das Abendessen für einen Menschen, der gerade im Schnee herumstieg, um das Brennmaterial zu erjagen. Sein Fleisch und Brot ist schmackhaft. Erschafft sich mit dem Feuer mitten im Winter eine Art Sommer. So geht er über den Instinkt hinaus und erspart ein wenig Zeit für die schönen Künste. Er sollte mit ebenso viel Fug und Recht sein Haus bauen wie der Vogel sein Nest. Selbst derjenige, der aufs glänzendste behaust ist, hat wenig mehr dessen er sich vor andern rühmen könnte.“

Menschen, der gerade im Schnee herumstieg, um das Brennmaterial zu erjagen. Sein Fleisch und Brot ist schmackhaft. Erschafft sich mit dem Feuer mitten im Winter eine Art Sommer. So geht er über den Instinkt hinaus und erspart ein wenig Zeit für die schönen Künste. Er sollte mit ebenso viel Fug und Recht sein Haus bauen wie der Vogel sein Nest. Selbst derjenige, der aufs glänzendste behaust ist, hat wenig mehr dessen er sich vor andern rühmen könnte.“

Gewiss nicht zufällig rückt Thoreau die Begegnung mit der Natur, dem Ich und dem Schönen so nah zusammen; das mag nicht jedermann liegen. Doch das Gespräch mit unserer Bauherrin über ihr Haus kommt ganz beiläufig immer wieder darauf zurück: Die eigene Ruhe, die eigene Freiheit, die eigene Natur, die eigene Art. Das war ihr wichtig, dem stand woanders immer etwas im Weg und dem ist sie mit diesem Haus näher gekommen. Das Haus: ein Begleiter – doch keineswegs ein Kinderspiel.

Das beginnt mit dem Bau. Das kleine Grundstück am Ortsrand von Mellau aus Familienbesitz war ein Glücksfall, wohl auch der Architekt in der Familie, der seinen Ehrgeiz in die intelligente Lösung der Bauherrnwünsche legte. Standards der Zunft waren da mitunter zurückzustellen. Doch der enge Rahmen eines kleinen Budgets blieb – höchste Konzentration
aufs Nötige und fast zwei Drittel Eigenarbeit waren zwingend. So entstand ein „Zwei-Zimmer-Appartement“ als Haus in Ständerbauweise, eingeschoßig auf eine Bodenplatte gesetzt.

Der große Wohn- und Lebensraum, zwei Schlafzimmer und die Nasszelle sind in einem raffinierten Spiel minimal versetzter Quadrate organisiert. Die vier Seiten des Gebäudes haben je eine große Öffnung, nach Umgebung mit Brüstung oder raumhoch. Erstrangig der private Austritt mit Blick ins Mellental nach Westen, im Osten dann der Zugang, Schlafräume nach Norden, Essplatz mit kurzem Flur nach Süden, wo die Nachbarbauten am nächsten sind. Die Wände sind so ausgebildet, dass sie tief liegende Fenster und dienende Bauteile integrieren – Küchenzeile, Einbauschrank, ein kleiner Schreibplatz. Ebenso eingebaut ist ein Sitzplatz im zentralen Kern der Nasszelle. Die liegt innen, zeigt sich nach außen jedoch mit dunklen Wänden aus Betonschaltafeln im Gegensatz zur sonst vorherrschenden Weißtanne. Der Raum bleibt frei für „kleine Möbel“. Kern und Zugang haben übliche Raumhöhe; Schlafzimmer und Wohnraum folgen dem flach geneigten Dach, was den Wohnraum, der von Wand zu Wand reicht, verblüffend großzügig macht.

Da lebt sie. Das große Fenster – im Sommer immer offen stehend – schafft Kontakt zur Natur, im Zentrum steht der schwarze Kern mit Feuer und Wasser, der geschliffene Zementboden gleicht dank Fußbodenheizung besonntem Fels und ist unkompliziert zu haben. Selbst winters barfuß, nimmt sie auf dem Holzdeck, in Wald und Feld, am Lauf der Natur teil, mit regelmäßigem Besuch eines Nachbarhundes und unregelmäßigem von Hirsch, Fuchs und anderen. Dabei schließt sie sich nicht ab: „Mit den Nachbarn bin ich viel zusammen, wichtig ist mir aber: ich bin allein, wenn ich will, mach‘ vorn die Türe zu, wenn mir danach ist.“

Kinderspiel war nicht nur der Bau keines – die viele Arbeit, die zwar Spaß macht „vor allem am Anfang, dann aber zum Schluss, beim letzten Brett.“ Man spürt, dass auch im fertigen Haus konzentriert gelebt wird, so sorgfältig wie die Dinge arrangiert sind, Möbel, Blumen – und Gebäck. Das hat sie hier entdeckt und ausgebaut, ihr Talent, Feines zu machen und damit selbstständig werden. Natur, Feuer, Kunst – sie sind doch zusammengerückt.

Daten & Fakten

Nutzfläche: 85 m2

Grundstücksgröße: 300 m2

Ausführung: 2008 bis 2009

Bauherrin: Gudrun Baakili

Architekt: Sven Matt, Mellau,
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Bauweise: Bodenplatte Stahlbeton, Außen- u. Innenwände als vorgefertigter Holzelementbau gedämmt

Fassade, Dach: Vertikaler Schirm aus Fichtenlatten, Eterniteindeckung dunkelgrau

Innenausbau: Wände Weißtannentäfer, Einbaumöbel Weißtanne/ Betonplan Sperrholz

Fußböden: Estrich geschliffen

Heizung: Anschluss an benachbarte Hackschnitzelheizung, Fußbodenheizung, zusätzlicher Schwedenofen

Fenster: Holz-Alu mit Zweifachverglasung
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Ausführung: Hoher Anteil Eigenleistung

Holzbau Rohbau: Zimmerei Renato Huber, Mellau

Fassade, Fensterlaibungen
: Zimmerei Oliver Beer, Reuthe

Dachdecker: Dachdecker Hermann Moll, Mellau

Fenster: Das Wälderfenster, Bizau

Tischlerarbeiten: Tischlerei Josef Greussing, Schnepfau

Heizung, Sanitär: AWA Installationen, Au

Elektrik: Albrecht Elektrotechnik, Mellau

Metallarbeiten: Figer Metall, Bezau

Energieberatung: Jürgen Haller, Mellau

(Leben & Wohnen, Florian Aicher)

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
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