Ihm wird nachgesagt, schnelle Neuwahlen anzustreben. Laut Umfragen würde ein neuer Urnengang an der Lage aber nicht viel ändern.
Nach zwölf Jahren erstmals Mehrheit eingebüßt
Bei der Wahl im Juni hatte die Regierungspartei AKP von Erdogan und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu nach mehr als zwölf Jahren der Alleinregierung ihre Mehrheit im Parlament eingebüßt. Bis zum 23. August haben die Politiker Zeit, eine Regierung auf die Beine zu stellen. Doch das gestaltet sich schwierig. Die Kurdenpartei HDP scheidet für Davutoglu als Partnerin von vorneherein aus – die AKP wirft der HDP vor, als Befehlsempfängerin der verbotenen kurdischen Rebellenorganisation PKK an der jüngsten Eskalation der Gewalt mit Anschlägen und Luftangriffen mit Schuld zu sein. Die Nationalistenpartei MHP will mit der AKP nicht koalieren.
Ex-Präsident Gül für Elefantenhochzeit
Bleibt die Variante einer großen Koalition aus AKP und der säkularen Oppositionspartei CHP, die von der Wirtschaft und auch von Politikern wie Ex-Präsident Abdullah Gül favorisiert wird. AKP-Mitbegründer Gül sprach sich für die Elefantenhochzeit aus, weil so eine sehr stabile Regierung gebildet werden könne. Dabei verwies er ausdrücklich auf das Beispiel Deutschland.
Rund 30 Stunden lang haben Delegationen von AKP und CHP in den vergangenen Wochen miteinander verhandelt. Dabei seien viele Übereinstimmungen, aber auch viele Differenzen festgehalten worden, sagte CHP-Unterhändler Haluk Koc. Doch das eigentliche Problem sieht die CHP nicht in Sachfragen, sondern im Präsidentenpalast. “Herr Davutoglu will wirklich eine Regierung bilden und die Probleme des Landes lösen”, sagte CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu. “Aber die Person im Präsidentenpalast erlaubt das nicht.”
Erdogan spricht oft von Scheitern der Gespräche
Offiziell unterstützt Erdogan, der in der AKP nach wie vor die Zügel in der Hand hält, zwar das Ziel einer stabilen Regierungskoalition. Aber er spricht in seinen öffentlichen Äußerungen verdächtig oft von einem Scheitern der Gespräche: “Wenn die Politiker das Problem nicht lösen können, dann wird das Volk es lösen”, sagte er mehrmals in den vergangenen Wochen. Sollte bis zum 23. August keine Regierung ausgehandelt sein, kann der Staatspräsident Neuwahlen ansetzen, die innerhalb von drei Monaten stattfinden müssen. Allgemein wird mit einem Wahltermin Ende November gerechnet.
Laut Presseberichten hofft Erdogan, dass die AKP bei einer Neuwahl die Parlamentsmehrheit wieder erobern könnte – und dass er dann doch noch sein Ziel eines Präsidialsystems verwirklichen kann. Kritiker sehen das jüngste Vorgehen Ankaras gegen die PKK und die Aufkündigung des Friedensprozesses mit den Kurdenrebellen als Versuch Erdogans, die HDP unter die für den Parlamentseinzug entscheidende Zehnprozent-Hürde zu drücken und gleichzeitig nationalistische Wähler für die AKP zu gewinnen. Die einzige Schuld seiner Partei liege darin, im Juni 13 Prozent erhalten zu haben, sagte HDP-Chef Selahattin Demirtas.
Davutoglu soll die AKP-Basis bereits auf Neuwahlen eingeschworen haben. Behlül Özkan, Politologe an der Istanbuler Marmara-Universität, geht davon aus, dass Erdogan und Davutoglu bis zu den Neuwahlen mit einer AKP-Minderheitsregierung weitermachen wollen. Demnach würde sich die AKP von der rechtsnationalen MHP im Parlament tolerieren lassen. “Die beiden Parteien arbeiten schon jetzt im Parlament zusammen”, sagte Özkan der Nachrichtenagentur AFP.
Zwei von drei Wählern wollen Regierung, keine Neuwahlen
Die Frage ist, ob Erdogans Plan aufgeht. Laut einer Umfrage wollen zwei von drei Wählern eine Regierung – und keine Neuwahlen. Mehrere Institute sagen voraus, dass die AKP bei einer Neuwahl erneut die absolute Mehrheit verfehlen würde. Dann müsste die Suche nach einer Koalition von vorne losgehen.
(APA)
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