So sehen es jedenfalls Kritiker der türkischen Regierung, nachdem in der Zeitschrift eines staatlichen Wissenschaftsrates eine Titelgeschichte über den großen Biologen kurzfristig gestrichen worden sein soll. Fromm-muslimische Gegner der Evolutionstheorie in der Türkei machen schon seit längerem Wind. Doch dass ihr Einfluss inzwischen so stark sein soll, dass sie populär-wissenschaftliche Veröffentlichungen stoppen können, sorgt für einen Skandal.
“Bilim ve Teknik” – Wissenschaft und Technik – zählt in normalen Zeiten nicht zu jenen Veröffentlichungen, die für große Schlagzeilen sorgen. Doch bei der März-Ausgabe der Zeitschrift des Wissenschaftlichen und Technischen Forschungsrates der Türkei (TÜBITAK) war das anders. Und zwar nicht wegen des Inhalts des Magazins, sondern wegen des gestrichenen Artikels.
Eigentlich sei eine große Geschichte über Darwin geplant gewesen, berichteten die Zeitungen, die sogar ein Foto des vorgesehenen Titels brachten. Doch stattdessen beschäftigte sich der mit einigen Tagen Verzögerung ausgelieferte März-Titel der Zeitschrift mit dem Problem des Klimawandels. Chefredakteurin Cigdem Atakuman wurde kurzerhand gefeuert.
Als Auslöser der “Darwin-Krise” gilt TÜBITAK-Vizechef Ömer Cebeci. Dieser habe im Verlauf seiner wissenschaftlichen Karriere unter anderem auch in Saudi-Arabien gearbeitet, meldete die Zeitung “Milliyet”, als ob dies allein als Beweis islamistischer Gesinnung ausreichte. Andere Zeitungen berichteten, die islamisch geprägte Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan habe in den vergangenen Jahren ihren Einfluss auf TÜBITAK gestärkt.
Fromme Gefolgsleute Erdogans hätten mit der Darwin-Affäre einmal mehr ihr wahres Gesicht gezeigt, lautet der Vorwurf. Die AKP steht bei der Opposition und einem Teil der Öffentlichkeit im Verdacht, das Land Schritt für Schritt islamisieren zu wollen. Erdogan weist dies zurück. Doch auch im Westen wachse das Unbehagen über das Gebaren der Erdogan-Regierung, schrieb “Milliyet”-Kolumnist Semih Idiz.
Schon in den vergangenen Monaten hatten islamistische Kritiker Darwins in der Türkei für Wirbel gesorgt. Adnan Oktar, ein muslimischer Darwin-Gegner und Autor, hatte im In- und Ausland einen “Atlas der Schöpfung” verteilen lassen, in dem er nachweisen will, dass die Evolutionstheorie ein Schmarren ist. Als der britische Wissenschaftler Richard Dawkins, der Autor des Bestsellers “Der Gotteswahn”, auf seiner Internetseite von dem “atemberaubenden Schwachsinn” in Oktars Werk sprach, setzte Oktar bei einem türkischen Gericht die Sperrung der Website durch, die bis heute in Kraft ist.
Doch Oktar ist eine schillernde Randfigur. Erdogans Regierung kann in der “Darwin-Krise” nicht daran gelegen sein, dass die Türkei als Land dasteht, in dem die Wissenschaft von islamistischen Eiferern geknebelt wird. Der zuständige Minister Mehmet Aydin zeigte sich jedenfalls entsetzt über die Zensur, und auch Parlamentspräsident Köksal Toptan kritisierte die TÜBITAK-Entscheidung.
Ganz so eindeutig liegen die Dinge in der “Darwin-Krise” aber möglicherweise nicht. TÜBITAK hat schon mehrere Bücher über Darwin und dessen Theorie veröffentlicht, zuletzt erst im November – warum sollte die Institution jetzt eine Zeitschriftengeschichte über ihn unterdrücken? Die TÜBITAK-Leitung erklärte, ursprünglich sei bei “Bilim ve Teknik” der Klimawandel-Titel vorgesehen gewesen. Wenige Tage später habe die Chefredaktion plötzlich die Darwin-Geschichte aus dem Hut gezaubert. Als Cebeci die eilig geschriebene Geschichte kritisiert habe, sei ihm gesagt worden, dies werde wieder rückgängig gemacht. Von Zensur könne keine Rede sein.
Ist die “Darwin-Krise” also vielleicht am Ende nicht das Werk radikaler Islamisten, sondern nur das Produkt eines banalen hausinternen Machtkampfes in einer obskuren staatlichen Wissenschaftszeitschrift? Die Antwort steht noch aus. Sicher ist aber schon jetzt, dass Kritiker der türkischen Regierung inzwischen so ziemlich alles zutrauen. (
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