"Transit" in Bregenz: Dieses Stück fährt in die Knochen

Auf der Seite ein Bistrotisch, in der Mitte eine riesige schwarze Halbkugel und darüber bzw. dahinter eine Projektionsfläche. Sie zeigt ein bewegtes Meer. Eine schwarze Gestalt mit bunt bemaltem Gesicht, die im Stücktext als Clown bezeichnet ist, klärt auf: Wir befinden uns in Frankreich im Jahr 1941, das Asylrecht wurde aufgehoben. Tausende versuchen der Verfolgung und Vernichtung durch die Nationalsozialisten zu entkommen, Marseille ist die Hafenstadt, in der die Möglichkeit zur Flucht gegeben scheint, sofern man an Ausreisepapiere, Einreise- und Transitvisa gelangt. Die deutsche Schriftstellerin Anna Seghers (1900-1983) hat in ihren 1944 im Exil in Mexiko erschienen Roman "Transit" auch das eigene Schicksal einbezogen. Im Jahr 2010 hat der Schweizer Autor Reto Finger eine Bühnenfassung erarbeitet, die in Essen uraufgeführt wurde.
Gräve: "Verunsicherung, mit der wir uns auseinandersetzen sollten"
Die schockierenden Themen unserer Zeit waren ausschlaggebend für die Wahl des Stücks, erklärte Stephanie Gräve im Gespräch mit der APA. "Wir sehen ein Wiedererstarken des Rechtsextremismus und haben Verantwortung. Der Roman erzählt von Menschen, die verzweifelt sind, er erzählt von einer völligen Verunsicherung, mit der wir uns auseinandersetzen sollten." Die Intendantin des Vorarlberger Landestheaters hat erstmals selbst die Inszenierung übernommen. Auch beim Bühnenbildentwurf hat sie mitgewirkt, und Ausstatterin Luisa Costales Pérez-Enciso bleibt bei den Kostümen in der Zeit des Romans. Selbst die Videos von Sarah Mistura sind nicht unbedingt aktualisierend, Hemden versinken im Wasser, und das Meer verfinstert sich. Jeder kann das deuten, während vorne Szene für Szene der gut gestrafften Fassung von Reto Finger schlüssig erzählt wird.
Der selbst aus einem Lager entkommene junge deutsche Mann Seidler wird in Frankreich mit der Not und Unsicherheit Flüchtender konfrontiert, mit einem Labyrinth an Behördengängen, mit Hoffnungen, die sich nicht erfüllen, mit Liebenden, mit Verlust, mit dem Wechsel der Identität, mit Ausweglosigkeit und Suizid. Stephanie Gräve tut gut daran, im zentralen Treffpunkt der Protagonisten, einem Kaffeehaus, jeweils auf Realismus inklusive Geräuschpegel zu setzen. Das ermöglicht ihr, das Geschehen im Wartezimmer der Behörden derart zu überhöhen, dass es mit Schauspielern, die selbst Sessel um Sessel platzieren, sowie einem überdrehten Konsul dem leisen Humor im Roman entspricht und nicht zur Karikatur verkommt. Die transitäre Existenz, der enge Zusammenhang von Transit und Tod, wird nicht zur Metapher aufgeblasen, der Tod, dieser Clown, ist Mitspieler, Erzähler, meist ist er klein wie die Figuren, mitunter erscheint er groß als Projektion.
Keine krassen Bilder
"Transit" fährt in die Knochen, Gräve verwendet dazu keine krassen Bilder. Sie hat Luzian Hirzel, Rolf Mautz, David Kopp, Isabella Campestrini, Nurettin Kalfa und Josepha Yen, die jede noch so kleine Szene zum intensiven Kammerspiel entwickeln und in den reinen Erzählpassagen trotz aller Tragik nie pathetisch werden. Oliver Rath hat Songs von Rockbands (Nomeansno, Pixies, etc.) arrangiert. Live gespielt dienen sie mit den beachtlichen Singstimmen von Luzian Hirzel und Isabella Campestrini einer dunkel-elegischen Atmosphäre. Dabei keine Scheu vor dem Attitüdenhaften zu haben - auch das kommt beim Publikum gut an.
(Von Christa Dietrich/APA)
(S E R V I C E -"Transit" von Anna Seghers, für die Bühne bearbeitet von Reto Finger am Vorarlberger Landestheater in Bregenz. Regie: Stephanie Gräve; Bühne: Luisa Costales Pérez-Enciso, Stephanie Gräve; Kostüme: Luisa Costales Pérez-Enciso; Musik: Oliver Rath, Marcello Girardelli, Martin Grabher; Video: Sarah Mistura; Licht: Tom Barcal. Mit Luzian Hirzel, Isabella Campestrini, Josepha Yen, Rolf Mautz, Nurettin Kalfa, David Kopp. Weitere Aufführungen am 7., 24. und 25. Oktober, 2. und 5. November sowie Schulaufführungen. )
(APA)
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