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Tori Amos plant "Stummfilm mit Liedern"

1991 spielte Tori Amos im Vor­pro­gramm der Moody Blues in Montreux. Veranstalter Claude Nobs ließ den Auftritt filmen, ein Jahr später kam Amos als neuer Star zum Jazz-Festival am Genfer See.

Die nun auf CD und DVD (Eagle) erschienenen Konzerte dokumentieren den Beginn einer außergewöhnlichen Karriere, die nun, wie die 45-Jährige erzählt, mit einem unabhängig produzierten Multimedia-Projekt vor einem neuen Kapitel steht.

Amos erinnert sich gerne an den ersten Montreux-Auftritt: “Ich wusste nicht, was auf mich zukommt, es gab keine Erwartung. Ich hatte nicht den Druck, den ich wohl im nächsten Jahr hatte. Weil die Medien (1991) nicht wussten, wer ich war, gab es auch nicht das Gefühl, dass sie vielleicht angreifen wollen. Es gibt eine wirklich romantische Beziehung, die ein junger Künstler mit der Öffentlichkeit und den Medien haben kann – aber das kann sich sehr schnell ändern. 1991 hatte ich also nicht den Druck, den ich spürte, nachdem mein Album (“Little Earthquakes”) den Durchbruch schaffte.”

Denn “damals war es schwieriger zu schummeln. Es gab nicht die Möglichkeit, die Stimme einfach durch Pro-Tools laufen zu lassen, damit sie immer den richtigen Ton trifft. Heute gibt es Leute, die nicht in der richtigen Tonlage singen und trotzdem live auftreten können. Es geht also nicht mehr darum, was man tatsächlich kann. Es geht darum, was sie manipulieren und womit sie durchkommen können. Damals gab es Musiker mit verschiedensten Körperformen, heute dominieren die ‘physisch attraktiven’, weil man das mit Technologie hinbekommt. Das hat also die Chancen potenziell großartiger Künstler verringert, weil es heute eine Menge Models und Schauspieler gibt, die glauben, Musiker zu sein.”

Begünstigt wird das davon, dass Popmusik völlig subjektiv bewertet wird. “In der Klassik ist das mehr technisch”, erklärt die klassisch ausgebildete Musikerin. “Wer das hört, hat in der Regel auch formale Kenntnisse. In der Popmusik hält sich dagegen jeder für einen Experten. Das ist wie mit Wein: Da halten sich auch viele für einen Kenner. Die meisten wissen aber nur, was sie mögen – und man kauft, was man mag. Das heißt aber nicht, dass in 20 Jahren noch irgendjemand über diesen Wein redet.”

Die diversen Superstar-Castingshows in aller Welt haben nun dazu geführt, dass Lieder für Solokünstler – “Pop Idol” für Bands gebe es nicht und sei auch kaum machbar – von Plattenfirmen nach rein kommerziellen Gesichtspunkten ausgewählt werden, sagt Amos. “Die Lieder sind Vehikel, und unter Umständen tauscht man die Sänger einfach aus.” Alles orientiere sich am aktuellen Hit: “So bekommt man nicht viele Paul Simons” – sondern “akustisches Fast Food”. Sänger und Sängerinnen müssten in der “Maschine” funktionieren, den sogenannten Hitmachern folgen. Solokünstler, die ihr eigenes Material schreiben und ihre eigene Stimme haben, seien nicht mehr gefragt. “Sie wollen eine Stimme, die nach ihrer Erwartung lukrativ sein wird. Bei Bands gibt es nun eine Renaissance der Individualität, Solokünstler haben es dagegen schwer, sich gegen die durchzusetzen, die von den ‘Star-Machern’ entwickelt werden.”

Mit ihrem Doppelalbum “American Doll Pussy” hat sich Amos im vergangenen Jahr von ihrem Major-Label SonyBMG verabschiedet. “Ich werde nicht mehr für ein anderes Label arbeiten. Ich habe entschieden, mein eigener Investor zu sein. Als Investor hält man die Trümpfe in der Hand, man behält die kreative Seite des Projekts unter Kontrolle. Ich zahle selbst, und deshalb wird es mit einer Plattenfirma nur Gespräche über Vertrieb und Vermarktung geben, nicht aber über den Inhalt der Arbeit. Es gibt keine Plattenfirma, die grünes Licht für ein Multimedia-Projekt mit 17 Filmen und 17 Liedern als Kurzgeschichten gibt.”

Diese “visuell ergänzten” Liedgeschichten könnten in einer Galerie in London oder Berlin als Installation präsentiert werden; sie können aber auch auf DVD und CD gebrannt werden und mit ganz unterschiedlichen Wahrnehmungen gehört und betrachtet werden. “Eine Art Stummfilm mit Liedern, abstrakt, mit einer Geschichte, aber nicht dem üblichen Handlungsstrang.” Sie solle “Parallelwelten, die zusammenarbeiten” schaffen. Dieses Projekt könnte im kommenden Jahr erscheinen – Vertrieb und andere Details seien aber noch nicht geklärt. Von Uwe Käding

Tori Amos – “Cornflake Girl”

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