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Tiroler Festspiele Erl: Oper als mentaler Drahtseilakt

Sara Blanch brillierte als Miss Lucia
Sara Blanch brillierte als Miss Lucia ©APA/TIROLER FESTSPIELE ERL
Die Oper "Lucia di Lammermoor" von Gaetano Donizetti hat Samstagabend ihre Premiere bei den Tiroler Festspielen Erl gefeiert. Unter der Regie von Louisa Proske und der musikalischen Leitung von Sesto Quatrini geriet die Erl-Annäherung an den Opernklassiker zu einem fulminanten, hochemotionalen mentalen Drahtseilakt, der die im Libretto angelegten Kippmomente zwischen Schönheit und Wahnsinn mit einem gelungenen, biografisch grundierten Kunstgriff herausarbeitete.

Der Wahnsinn lauert bei dem Donizetti-Werk "Lucia di Lammermoor" aber eigentlich ohnehin schon an jeder Ecke des Librettos von Salvadore Cammarano, das sich wieder an dem Roman "The Bride of Lammermoor" von Walter Scott anlehnt. Die Regie von Proske rannte damit in Erl also quasi offene Türen ein, kostete diese angelegten Übergänge zwischen Rationalität und Wahnsinn genüsslich aus und unterstrich die zum Teil halluzinatorisch anmutenden Irrsinnsaugenblicke mit einem üppigen Bühnenbild von Darko Petrovic sowie klugem, ausdifferenziertem Lichtdesign von Jiyoun Chang mehr als nur gekonnt.

Opernhandlung rund um ein "Irrenhaus"

Als hilfreiches Werkzeug dabei, um noch einmal ein paar Schaufeln Verrücktheit auf den Stoff draufzulegen, diente vor allem ein, auf den ersten Blick durchaus gewagter Zugriff auf das Werk, der ein biografisches Detail aus dem Leben von Donizetti manifest auf die Bühne brachte. Dieser wurde nämlich gegen Ende seines Lebens im Jahr 1846 gegen seinen Willen in ein französisches "Irrenhaus" eingeliefert. Und so wand sich auch gleich bei der Ouvertüre der Oper eine namenlose Patientin festgebunden auf einem Krankenbett, dessen Verortung in einer Nervenheilanstalt bereits zu Beginn nur allzu deutlich wurde.

Dieser Teil der Bühne sollte somit als konsequenter Kunstgriff Dreh- und Angelpunkt des Geschehens werden. Als Basis dafür diente die bewährte und dem Opernliebhaber wohlbekannte Geschichte von Miss Lucia, die mit dem betuchten Lord Arturo Bucklaw zwangsverheiratet werden soll, um den finanziellen Ruin des Familienoberhauptes des Lammermoor-Clans, Lord Enrico Ashton, abzuwenden. Nur: Lucia ist eigentlich in den Erzfeind von Enrico, Sir Edgardo di Ravenswood, verliebt. Ein gefälschter Brief bringt Lucia von dieser Liebe ab, schließlich heiratet sie doch Arturo.

Glänzendes Festspielorchester und virtuose "Lucia"

Dass diese Konstellation zwangsläufig ins Verderben führen muss, liegt in der Natur der Opernsache. Bei Donizetti endete sie auch in Erl höchst tragisch, durchaus blutig und mit der absoluten geistigen Umnachtung von Lucia, die zuvor ihren ungewollten und aufgezwungenen Ehemann um die Ecke brachte. Der Weg dorthin war gesäumt von wunderbaren Arien und der harmonisch reichhaltigen Musik von Donizetti, die vom Orchester der Tiroler Festspiele Erl und dem Chor der Tiroler Festspiele Erl unter der Leitung von Quatrini glänzend auf die Bühne gebracht wurden. Allen voran begeisterte Sara Blanch als Lucia: Sie brachte die Titelrolle stimmlich virtuos und schauspielerisch mit Mut zur höchsten Emotionalität zum Strahlen. Wenig nach stand ihr Kang Wang als Sir Edgardo und auch etwa Lodovico Filippo Ravizza agierte auf der absoluten Höhe der Sangeskunst.

Blanch konnte sich schließlich euphorischen Applaus und laute Bravo-Rufe abholen. Letztere flogen in etwas abgeschwächter Form auch Ravizza und Wang, der Regisseurin Proske sowie den restlichen - ebenfalls durch die Bank sehr überzeugenden Sängerinnen und Sängern - regelrecht zu. Heftigen Applaus gab es im ausverkauften Festspielhaus auch für das Orchester und den Chor sowie den musikalischen Leiter Quatrini.

(Von Markus Stegmayr/APA)

(S E R V I C E: "Lucia di Lammermoor" von Gaetano Donizetti, Libretto von Salvadore Cammarano. Regie: Louisa Proske, Musikalische Leitung: Sesto Quatrini. Bühne: Darko Petrovic. Kostüme: Kaye Voyce. Licht: Jiyoun Chang. Mit Lodovico Filippo Ravizza (Lord Enrico Ashton), Sara Blanch (Miss Lucia), Kang Wang (Sir Edgardo di Ravenswood), Francesco Domenico Doto (Lord Arturo Bucklaw), Adolfo Corrado (Raimondo Bidebent), Verena Kronbichler (Alisa) Aleksandre Khukhushvili (Normanno) Sonja Golubkowa (Ravenswood Girl), Orchester der Tiroler Festspiele Erl, Chor der Tiroler Festspiele Erl. Weitere Vorstellungen: 2. Jänner und 4. Jänner 2026 (18:00 Uhr). )

(APA)

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