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"Tiger" ist zurück: Tom Jones' "24 Hours"

"I'm alive" singt Tom Jones gleich zu Beginn seines neuen Albums - mit einem lauteren Ausrufezeichen kann man den Tiger nicht von der Leine lassen.

Denn wieder einmal gelingt es dem Sänger, dynamischer als das Original zu klingen, mehr Energie und Wucht in jede Zeile zu legen als die seinerzeit – 1969 – jugendlichen Tommy James And The Shondells. Damals war Jones 29, nun ist er 68 Jahre alt. Und in seinem siebenten Lebensjahrzehnt wollte er einfach wieder eine Platte im Sound der 60er Jahre machen. Zu verdanken haben es die Popfans in aller Welt zu einem guten Teil Amy Winehouse und ihrem New-Soul-Klassiker “Back To Black”, wie Jones im AP-Interview erzählt. Am kommenden Freitag (28. November) erscheint nun “24 Hours” (EMI).

“Ich wollte dieses Album schon eine ganze Weile machen, weil ich den gesanglichen Sound schätze, wie ich ihn in den 60ern bei Decca bekam”, erklärt er. “Wenn die Jahre aber so verstreichen, kommt nicht immer alles so, wie man es sich vorstellt. Die (Ton-) Mischung ist nicht mehr so, wie sie einmal war. Ich wollte es wieder neu aufleben lassen, aber zugleich auf moderne Art. Als dann Amy Winehouses Album herauskam, rief mich mein Sohn an und sagte: ‘Weißt du noch, wovon wir gesprochen haben? Nun, sie hat es getan.’ Das hat also bestätigt, was ich gedacht habe: Es hat mich nicht inspiriert, weil ich es ja schon selbst wollte. Aber sie hat damit praktisch bestätigt: Tom, du kannst es! Und es wird sich verkaufen! Die Leute wollen das hören!”

Jones sitzt schwarz gekleidet in der Kölner Hotelsuite, schlank, Haare und Kinnbart dunkel, leicht sonnengebräunt. In keiner Sekunde wirkt er alt und müde, sein aufbrausendes Temperament macht sich in vielen Ausrufesätzen Luft – der Mann wirkt im Gespräch so wie er singt: Ständig voller Energie, Ausdruck und Lautstärke variierend, unberechenbar. Genau das alles hat man beim von Hip-Hop-Guru Wyclef Jean produzierten, vor sechs Jahren erschienen Album “Mr. Tom Jones” vermisst: Da war der “Tiger” stimmlich an die Kette gelegt.

“Ich sollte gesanglich ordentlich und schön unterm Dach bleiben!” ruft er aus und es klingt, als wenn er heute noch beleidigt sei. “Und weißt du was? Sie haben es wieder versucht. Als ich bei (der Plattenfirma) S-Curve unterschrieb, war da ein Mädchen namens Betty Wright, selbst eine Sängerin. Jetzt ist sie aber eine Gesangsproduzentin bei S-Kurve, hat das dort erschienene Album von Joss Stone betreut. Sie hat Joss Stone alles vorgesungen, die hat zugehört und es dann sehr ähnlich gemacht. Als ich zur ersten Session kam, hat sie es mir auch vorgemacht und gesagt: ‘So geht das!’ Und ich sagte: ‘Nah… okay, wie du es gemacht hast, ist ganz nett. Aber ich muss mein eigenes Ding machen.’ Und sie: ‘Oh ja, du musst dein Tom-Jones-Ding machen! Mach es!”‘ Als ich es dann so gesungen habe, meinte sie: ‘Okay, du musst Tom Jones sein, aber das solltest du so phrasieren…’ Ich sagte: ‘Nah, sorry, ich kann das nicht.'”

Man kann sich leicht vorstellen, dass da richtig Feuer unterm Studiodach war. Jones setzte sich diesmal durch, bekam von S-Curve-Boss schließlich einen Freibrief, das Album so aufzunehmen, wie er es wollte. Von da an sei er aber wirklich auf sich gestellt gewesen, zumal er mit dem bis dato vorgeschlagenen Material sowieso nicht zufrieden war. “Da habe ich beschlossen, selbst zu schreiben und mit Songwritern zusammen zu arbeiten. Ich wurde fast dazu gezwungen, sie versuchten, mich etwas singen zu lassen, was ich nicht empfand.” So kam es zur Zusammenarbeit mit dem Dum’n’Bass-Duo Future Cut, Bono und The Edge von U2 schrieben ihm den Song “Sugar Daddy” auf den Leib, auf dem The Edge zudem Gitarre spielt. “I’m Alive” und eine dramatische Version von Bruce Springsteens “The Hitter” sind die einzigen Coverversionen auf “24 Hours”, auf dem Jones seiner Frau Linda mit “The Road” eine rührende und doch nicht kitschige Liebeserklärung macht: Die beiden sind seit 1957 verheiratet.

Die Dance-Beats von Future Beat gehen eine Symbiose mit Jones’ Stimme ein, für die er in einem Los Angeleser Studio das perfekte Mikrofon fand: Ein wieder aufgearbeitetes Telefunken aus den 60ern. “Ich liebe den Klang der Stimme sehr natürlich und das ist auf der Platte”, sagt Jones. Und singt in “Sugar Daddy” selbstbewusst, dass er männliche Intuition und sexuellen Ehrgeiz hat, auch wenn das ein “verzweifelter Zustand” sein kann. Und wenn sich am Pool die schönen Frauen räkeln, vermisst er den “göttlichen Rhythmus”: Erotik funktioniert bei ihm nur “In Style And Rhythm”.

Aber Jones macht nicht mehr bloß auf “Mr. Sexbomb”. “Seasons” und vor allem der Titelsong drücken wie wenige andere Songs unserer Zeit Alter und Altern aus – ehrlich, überhaupt nicht rührselig. Das Album beginnt mit dem Aufschrei “I’m alive” und endet mit dem Warten auf das Ende: “As I take my final breath, I don’t know what lies ahead.” Er habe noch eine weitere Minute, 24 Stunden zurückzulegen… “Jools Holland und ich haben uns einmal über Boogie-Woogie-Musik unterhalten, von der wir ein großer Fan sind. Er sagte, wir haben von diesen Leuten gelernt, die vor uns da waren. Aber von wem hatten die gelernt? Wir kamen zu dem Schluss, dass auch andere diese Musik gespielt haben, aber nie aufgenommen wurden. Wir kennen nur die Musiker, von denen es Schallplatten gibt. Ich bin aber sicher, dass es noch andere gab, so wie mir Leute sagen: ‘Dein Großvater hatte eine großartige Stimme!’ Das war eine alte Dame, und ich antwortete: ‘Wirklich? Wissen Sie, er lebte nicht mehr, als ich geboren wurde.’ Man weiß so etwas nicht, weil es nicht aufgezeichnet wurde. Und das ist auch eines der Dinge, die ich am Aufnehmen mag. Wenn ich gegangen bin, wird vielleicht jemand fragen: ‘Wie war dieser Tom Jones?’ Leg das auf und du weißt es! Das ist ein gutes Gefühl. Denn es gibt so viele Menschen, die tot sind und an die wir keine Erinnerung mehr haben.” Von Uwe Käding

Tom Jones – “24 Hours”

 

 

 

 

 

 

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