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"The Wonderful Story of Henry Sugar": Wes Anderson trifft Roald Dahl

Regisseur Wes Anderson verfilmt Kurzgeschichten von Roald Dahl für Netflix.
Regisseur Wes Anderson verfilmt Kurzgeschichten von Roald Dahl für Netflix. ©AP Photo/Andrew Burton, File/AFP (Sujet)
Der Regisseur Wes Anderson hat eine Künstlerehe mit Roald Dahl geschlossen, um vier Geschichten des Autors für Netflix zu verfilmen. Dabei handelt es sich um eine bezaubernde Hommage an den surrealen und schwarzen Humor des britischen Schriftstellers.

Ein Märchen über einen Mann, der ohne Augen sehen kann. Eine Horrorgeschichte über Kindheitstraumata. Eine Geschichte über einen Rattenfänger und eine über einen giftigen Engländer. Der süße, 41-minütige, erste Streich in Wes Andersons Tetralogie, die in den vergangenen vier Tagen auf Netflix erschienen ist, ist eine Adaption von Roald Dahls gleichnamiger Kurzgeschichte "The Wonderful Story of Henry Sugar" (auf Deutsch: "Ich sehe was, was du nicht siehst") aus dem Jahr 1977.

Wes Anderson und Roald Dahl bei Netflix

Dahl wird gespielt von Ralph Fiennes, der wie ein Märchenonkel beginnt, eine Geschichte zu erzählen: Henry Sugar (der stets adrette Benedict Cumberbatch) ist ein stinkreicher, gieriger Dandy, heißt es, der auf ein Manuskript mit einem magischen Geheimnis stieß. In dem Buch liest Henry den Bericht eines Arztes namens Dr. ZZ Chatterjee (Dev Patel) über einen Mann (Ben Kingsley), der sehen kann, ohne seine Augen zu benutzen. Henry ist von dieser Superkraft besessen, aber sobald er den Trick beherrscht, ist er - wie bei Dahl üblich - desillusioniert.

Wes Andersons liebe zu antiquarischen Dingen

Wes Andersons Liebe zu antiquarischen Dingen, Symmetrie und Retrooptik steht hier in ihrer vollen Blüte, genauso wie seine Überzeugung, dass echte Verzauberung ein gewisses Maß an augenzwinkernder Künstlichkeit erfordert. Je mehr wir die Nähte sehen können, desto großartiger, denn im Ende einer Illusion steckt auch immer ein stückweit Wohlbehagen. Seine Schauspieler spielen mehrere Rollen und arbeiten dabei wie eine Theatertruppe. Wenn Henry von einem Raum eines Hauses in einen anderen geht, bewegt sich das Gebäude mit ihm und richtet sich in einer Flut sich bewegender Wände neu aus. Einige dieser Wände werden von Bühnenarbeitern beiseitegeschoben. Und wenn Figuren über dem Boden schweben, wie es von Zeit zu Zeit der Fall ist, wird der Effekt durch etwas gesteuert, das man am besten selbst erlebt (ein paar Tricks sollten nicht verdorben werden).

"The Wonderful Story of Henry Sugar" als Superheldenfilm

Wenn "The Wonderful Story of Henry Sugar" eine Art Superheldenfilm ist, dann ist "The Swan" vielleicht Wes Andersons erster 18-minütiger Horrorfilm mit gruseligen, getönten Bildern, die aber natürlich immer noch die typisch Anderson'sche Süße besitzen. Rupert Friend spielt einen Mann, der sich an den Tag erinnert, als er als Kind von zwei älteren Schuljungen gemobbt wurde. Sie fesseln seine Hände und zwingen ihn, sich auf Bahngleise zu legen. Er duckt sich vor Angst, als ein Zug über ihn hinwegrast und überlebt, nur damit die Buben als nächstes mit einer Waffe an ihm herumstochern.

Andersons Kurzfilme bieten finsteren Blick auf das Menschsein

Unterm Strich sind diese Kurzfilme (am besten, man sieht sich alle auf einmal an) vielleicht Wes Andersons bisher finsterster Blick auf das Menschsein. "The Rat Catcher" handelt von zwei Männern (Richard Ayoade und Rupert Friend), die an ihrem Arbeitsplatz ein Rattenproblem haben. Ein Grimm'scher haariger Rattenmann (Ralph Fiennes) schaut vorbei, der mit seinen langen, verfärbten Nägeln und gelben Zähnen der Meinung ist, dass man selbst zur Ratte werden muss. Der vierte und letzte 17-Minüter, "Poison" genannt, handelt von einem Engländer (Benedict Cumberbatch), der von einer Schlange gebissen wird und einen indischen Arzt (Ben Kingsley) herbeiholt. Aber eigentlich geht es um ein Gift ganz anderer Art: Rassismus im von England besetzten Indien.

Andersons Interpretation von Roald Dahl ist immer akribisch inszeniert, und er tut dies nicht zum ersten Mal, wenn wir uns an "Der fantastische Mr. Fox" (2009) erinnern. Es ist die perfekte Künstlerehe zwischen der Liebe zum verspielten Fabelhaften des amerikanischen Filmemachers und den makaber-witzigen Erzählungen des britischen Kinderautors. Da Netflix im Jahr 2021 die Rechte am Gesamtwerk von Roald Dahl gekauft hat, kann man nur hoffen, dass es noch mehr davon geben wird.

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(APA/Red)

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