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"Tatort" appelliert an Seriengedächtnis - Gefühl der Geborgenheit

Die Kultserie "Tatort" gibt es schon seit Jahren, Forscher haben jetzt nach dem Erfolgsrezept gesucht.
Die Kultserie "Tatort" gibt es schon seit Jahren, Forscher haben jetzt nach dem Erfolgsrezept gesucht. ©http://www.youtube.com/watch?v=k0pV2faxne4
Immer wieder Sonntags: Die vertraute Titelmelodie, die eisblauen Augen im seit über 40 Jahren unveränderten Vorspann, das Fadenkreuz und endlich: "Tatort". Die quotenstarke Kultkrimireihe läuft schon fast 900 Folgen lang.
Das Tatort-Intro

Was ist daran eigentlich so toll? Das hat sich auch ein Wissenschafterteam um den Karlsruher Literaturprofessor Stefan Scherer gefragt. Er kam zu dem Ergebnis, dass die TV-Macher geschickt an das Seriengedächtnis der Zuschauer appellieren. Der “Tatort” bringt für sie ein Stück Geborgenheit ins Wohnzimmer.

Professor sieht 488 Folgen für Studie

Stefan Scherer, seit Jahrzehnten begeisterter “Tatort”-Gucker, knöpfte sich 488 Folgen vor – die nach eigenen Worten bisher umfassendste Studie über dieses Sendeformat. Finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) kümmerte er sich mit zwei Kollegen aus Göttingen drei Jahre lang um “Formen und Verfahren der Serialität in der ARD-Reihe ‘Tatort'”. Im September schlossen sie das Projekt ab, die Ergebnisse sollen in den nächsten Monaten veröffentlicht werden.

Acht Stunden pro Folge

“Mithilfe eines eigens entwickelten Analyserasters haben wir die Folgen durchsucht”, erklärt er. Beleuchtet wurden die Standorte der Teams, Ermittlerlogiken, Ton- und Bildästhetik, Neben- und Haupthandlung, Rückblenden, Kamerabewegungen und und und. Zeitaufwand pro Folge: Acht Stunden.

“Tatort” ist vernetzt

Die Wissenschafter wiesen nach, dass sich die “Tatort”-Folgen über die Sendergrenzen hinweg aufeinander beziehen, voneinander abschauen, sich miteinander vernetzen. “So tauchen zum Beispiel ‘Tatort’-Kommissare eines Senders bei Teams eines anderen Senders auf.” Aber es wird nicht nur Amtshilfe im Film geleistet. Auch Kameraeinstellungen ähneln sich, Ermittlerkonstellationen werden wiederholt; kinofilmartige Ästhetik zieht in den “Tatort” ein mit der Verpflichtung renommierter Regisseure wie Dominik Graf.

Teams werden nachgeahmt

Hin und wieder versucht auch ein Sender, das “Tatort”-Team eines anderen Senders nachzuahmen – so geschehen etwa mit den Ermittlern Stellbrink und Marx aus Saarbrücken, die mit “absurder und völlig überdreht grotesker Komik” auf die Quotenkönige Thiel und Boerne aus Münster verweisen. “Mit wenig Erfolg zwar, aber gerade solche Verweise prägen das ‘Tatort’-Seriengedächtnis des Zuschauers”, sagt Scherer.

Zuschauer fühlt sich geborgen

Der Zuschauer kuschelt sich auf dem vertrauten Sofa bereits gesehener Folgen ein und freut sich auf die nächste. Der “Tatort” verschränke das “Prinzip abgeschlossener Folgehandlungen mit Elementen der Fortsetzungsgeschichte”, heißt ein Ergebnis der Forscher. Obwohl als 90-Minuten-Werk in sich abgeschlossen, appelliere der “Tatort” an das Seriengedächtnis der Zuschauer, die jeden Sonntag das Format wiedererkennen und sich geborgen fühlen.

RAF war zu heikel

Das liegt auch an den Themen. “Der ‘Tatort’ bildet das gesamte Leben der BRD ab”, sagt Scherer. Einfach alles sei beleuchtet worden – “von der Intersexualität über Rechtsextremismus bis hin zum Afghanistan-Einsatz”. Nur um das Phänomen der Terrorfraktion RAF hätten sich die Sender herumgedrückt. “Das war wohl zu heikel.”

Die Ordnung der Dinge

Radikalität hat Scherer im “Tatort” nicht entdeckt. Zwar testete das Format immer wieder aus, was geht und was nicht geht, aber Fernsehkrimis dürfen nie gesellschaftlich radikal sein, sagt er. “Das fängt schon damit an, dass die Titelmelodie und die Anfangssequenz des ‘Tatort’ seit über 40 Jahren unverändert ist”, bestätigt auch “Tatort”-Experte Francois Werner, der seit 18 Jahren die Website “Tatort Fundus” betreibt. Die Ordnung der Dinge wird so gleich zu Beginn bestätigt.

Figuren entwickeln sich nicht weiter

Beruhigend am “Tatort” vielleicht auch das: Entgegen der ursprünglichen Vermutung Scherers entwickeln sich die Figuren im “Tatort” seiner Meinung nach nicht. Sie werden älter, die Geliebten oder Liebhaber wechseln, die Ehen plätschern dahin, die Kinder werden flügge. “Mehr ist nicht vorgesehen”, sagt Scherer. “Die Typen werden nach jeder Folge einfach wieder auf Null gestellt.” (APA)

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