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Srebrenica: Angeklagte in Den Haag

Alle vom UNO-Kriegsverbrechertribunal wegen des Srebrenica-Massakers angeklagten Personen werden sich demnächst in Den Haag befinden - bis auf den ehemaligen bosnisch-serbischen Oberbefehlshaber Ratko Mladic.

Wie die serbische Regierung am Samstag mitteilte, werde der serbische Offizier Vujadin Popovic (48), der ebenfalls vom Haager Tribunal wegen dem Srebrenica-Massaker angeklagt wurde, am Donnerstag freiwillig nach Den Haag reisen.

Die letzte vom Haager Gericht im Zusammenhang mit dem Srebrenica-Massaker erhobene Anklage wurde am Freitag veröffentlicht, nachdem sich der serbische Offizier Milorad Trbic (47) freiwillig dem Gericht stellte, berichteten Belgrader Medien. Über Trbic, während des Krieges in Bosnien (1992-1995) stellvertretender Sicherheitschef der Zvornik-Brigade, ist nur sehr wenig bekannt. Wie und auf wessen Initiative er sich dem Gericht in Den Haag stellte, ist nicht bekannt.

Mit der Auslieferung von Popovic werden sich jedenfalls beinahe alle vom Haager Tribunal wegen dem Srebrenica-Massaker Angeklagten im UNO-Gefängnis in Scheveningen befinden – gesucht wird nur mehr der damalige Oberbefehlshaber Ratko Mladic.

Nachdem die bosnisch-serbischen Dörfer rund um Srebrenica zu Beginn des bosnischen Bürgerkrieges zerstört, hunderte Zivilisten getötet und tausende vertrieben wurden, zogen bosnisch-serbische Einheiten einen Belagerungsring rund um die Stadt. Nach dem Einmarsch des Militärs am 11. Juli 1995 kam es zum Massaker: Etwa 7.800 bosnische Moslems wurden getötet, wie eine Untersuchungskommission im Vorjahr berichtete.

Laut dem in Sarajewo erscheinendem Blatt „Dnevni avaz“ soll sich Mladic derzeit in einem militärischen Objekt in Pancevo, etwa 20 km nordöstlich von Belgrad, verstecken. Wie die Zeitung unter Berufung auf Quellen des bosnischen Geheimdienstes berichtete, sei Mladic nach einem Aufenthalt in der Nähe der montenegrinischen Stadt Niksic nach Pancevo gekommen. Die EUFOR (EU-Stabilisierungstruppe in Bosnien-Herzegowina) wollte diesen Bericht nicht kommentieren, meldeten Belgrader Medien.

Srebrenica im Juli 1995 – Die furchtbare Rache der bosnische Serben

Srebrenica steht für das größte Verbrechen im Bosnien-Krieg (1992-1995). Truppen der bosnischen Serben unter dem Kommando von Oberbefehlshaber Ratko Mladic nahmen die moslemische Enklave im Osten Bosniens an der Grenze zu Serbien am 11. Juli 1995 ein. Was danach folgte, ging als das größte Massaker in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg in die Geschichtsbücher ein: Nach einem Bericht einer Untersuchungskommission, der auch von der bosnisch-serbischen Regierung angenommen wurde, wurden etwa 7.800 bosnische Moslems ermordet.

Betrachtet man die Ereignisse rund um Srebrenica in den Jahren zuvor, scheint es durchaus angebracht, von furchtbarer Rache der bosnischen Serben zu sprechen, ganz nach dem ungeschriebenen „Balkan-Gesetz“: „Tust du mir etwas, zahl ich es dir doppelt und dreifach heim“ – eine „Logik“, die schon während des Zweiten Weltkriegs zu bestialischen Gräueltaten im jugoslawischen Bürgerkrieg führte.

Bereits kurz nach Ausbruch des Krieges in Bosnien-Herzegowina im Frühjahr 1992 war die Region um Srebrenica umkämpft. Die moslemischen Kämpfer formierten sich unter dem Kommando von Naser Oric. Es folgten Angriffe auf Dutzende serbische Dörfer in der Region, die zerstört und geplündert wurden. Hunderte Serben wurden getötet, tausende in die Flucht getrieben.

Als eines der abscheulichsten Verbrechen gegen serbische Zivilisten gilt das Massaker von Kravice: Moslemische Freischärler unter Führung von Oric überfielen am 7. Jänner 1993, dem serbisch-orthodoxen Weihnachtstag, das Dorf und massakrierten auf bestialische Weise 46 Einwohner – ein Ereignis, dass furchtbare Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg weckte, als die mit Nazi-Deutschland kollaborierenden Ustascha hunderttausende Serben töteten.

Diese und andere Verbrechen an der serbischen Zivilbevölkerung waren lange ein kaum beleuchtetes Kapitel des Bürgerkrieges in Ex-Jugoslawien (1991-1995). Mittlerweile wird Oric, der im April 2003 von den internationalen Truppen in Tuzla festgenommen wurde, der Prozess vor dem UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gemacht. Pikanterie am Rande: Oric war bis unmittelbar vor Kriegsausbruch als Leibwächter des jugoslawischen Ex-Präsidenten Slobodan Milosevic tätig. Heute teilen sich die beiden quasi die Räumlichkeiten im UNO-Gefängnis in Scheveningen.

Im Frühjahr des Kriegsjahres 1993 änderte sich die militärisch-kriegerische Situation in und um Srebrenica. Einheiten der bosnischen Serben kesselten die Stadt ein und standen unmittelbar vor dem Einmarsch. Nur mit der Ausrufung der „Schutzzone“ durch die Vereinten Nationen im April 1993 und der Stationierung von UNO-Soldaten konnte dies – zunächst – noch verhindert werden.

Gegen Ende des Krieges war die Stadt von etwa 15.000 serbischen Soldaten umzingelt. In Srebrenica lebten zu dieser Zeit rund 50.000 Menschen, davon etwa 15.000 in kampffähigem Alter. Viele moslemische Kämpfer zogen jedoch mit Naser Oric unmittelbar vor der Einnahme der Stadt durch das bosnisch-serbische Militär ab – ob auf eigene Initiative oder auf „Anordnung von oben“, ist bis heute nicht klar. Die etwa 300 leicht bewaffneten niederländischen „Blauhelme“ leisteten keinen Widerstand. Vor ihren Augen wurden die kampffähigen Männer aussondiert. Was dann folgte…

Dafür, dass die bosnischen Serben in Srebrenica Rache nahmen, spricht auch die ganz persönliche Lebensgeschichte von Mladic: Im Zweiten Weltkrieg wurde die Familie des bosnischen Serben von faschistischen Ustascha-Einheiten nahezu ausgerottet. Einige Analytiker sprachen – diese Tragödie berücksichtigend – von einem „pathologischen Hass“, den Mladic gegenüber Moslems und Kroaten hegte.

Zudem wurde der General im Frühjahr 1994 – als der Krieg in Bosnien noch tobte – von einem schweren Schicksalsschlag getroffen: Seine Tochter Ana nahm sich das Leben. In Belgrad kursierten damals Gerüchte, dass die Medizinstudentin angesichts der Anschuldigungen gegen ihren Vater den Druck nicht mehr verkraftet habe. Die Hintergründe des Selbstmordes sind aber bis heute nicht geklärt.

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