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Sommercamp oder Kindesmissbrauch?

Wirbel um Reality-Serie in US-TV: 40 Acht- bis 15-Jährige blieben 40 Tage lang auf sich allein gestellt.

Leben im Container, Schönheitsoperation live oder verwöhnte Deutsche im Busch – wer gedacht hat, Reality-TV hätte inzwischen schon jede Lebenslage zu Fernsehwirklichkeit verarbeitet, wird in den USA eines anderen belehrt.

Auf der Jagd nach höheren Einschaltquoten hat der Fernsehgigant CBS jetzt die Kinder entdeckt. Für seine neue Reality-Serie „Kid Nation“ (etwa: Kinder-Staat) schickte der Sender 40 Kids 40 Tage lang in eine Geisterstadt im US-Bundesstaat New Mexico – ohne Strom und fließend Wasser, ohne Eltern und Lehrer, ganz auf sich allein gestellt.

Schon vor dem Start der Serie am 19. September sorgt die Sendung in Amerika für heftige Diskussionen. Mancher Kritiker fühlt sich an den Roman „Herr der Fliegen“ (1954) erinnert, in dem der englische Schriftsteller William Golding die Robinsonade einer Kindergruppe auf einer Südsee-Insel in einer grausamen Hetzjagd enden lässt.

„Ist die Ausbeutung von Kindern in „Kid Nation“ zulässig?“, fragt etwa die seriöse „Los Angeles Times“. Und in Internet-Blogs werden schwere Vorwürfe sowohl gegen die Macher wie auch gegen die Eltern erhoben. „Das ist Kindesmissbrauch und Ausnutzung von Minderjährigen“, schimpft ein Blogger namens Mark, und ein „Cranky Media Guy“ schreibt bissig: „Jetzt brauchen wir nicht mehr nach China zu gehen, um unsere Konsumgüter für ein paar Pennys pro Stunde von Kindern produzieren zu lassen.“

Der Sender weist die Kritik an der im April und Mai gedrehten Show zurück. Der ausführende Produzent Tom Forman, selbst Vater von zwei Kindern und bekannt durch die Emmy-prämierte Reality-Serie „Extreme Makeover: Home Edition“, betont nach Angaben der Zeitschrift „Television Week“: „Tatsächlich haben wir ein Sommerlager veranstaltet. Die Kinder sind Teilnehmer in einer Reality Show. Sie arbeiten nicht. Sie leben, und wir nehmen auf, was passiert.“

Das Leben dürfte für die meisten allerdings reichlich ungewohnt gewesen sein. In „Bonanza City“, einer verlassenen Minenstadt, die auch früher schon für Dreharbeiten genutzt wurde, organisierten die Kinder – zwischen acht und 15 Jahre alt – in Eigenregie ihren Gruppenalltag: Wasser pumpen und Kübel schleppen, Essen kochen und Wäsche waschen, Ziegen melken und Latrinen putzen. „Es war so viel anstrengender als es aussah“, erzählte der zehnjährige Zach später in einem Interview. „Ich wusste nicht einmal, ob ich durchhalten würde.“

Bei Wettbewerben in Wildwestmanier werden die verschiedenen Aufgaben verteilt. Es gibt Arbeiter, Kaufleute und eine „Upper Class“, die sich im Saloon alkoholfreies Würzbier kaufen kann. Ein vierköpfiger Kinder-Stadtrat wacht darüber, dass die Gemeinschaftsregeln eingehalten werden. „Ich habe gelernt, dass es immer jemanden Verantwortlichen geben muss mit der Macht, die Dinge zusammenzuhalten“, sagt der zehnjährige Taylor.

Der Zuschauer, so viel lässt der fünfminütige Trailer im Internet ahnen, wird dabei auch Zeuge der intimsten Gefühle der Kinder: Wut, Streit, Trauer, Tränen, Schmerz und Heimweh. Einmal sei er der ständigen Beobachtung müde geworden und einfach aufs Klo gegangen, berichtete Greg (15). „Als ich rauskam, waren die Kameras schon wieder da und warteten drauf, mich zu filmen.“ Für die Teilnahme bekamen die Kinder 5.000 Dollar (3.700 Euro). Zudem wurde am Ende jeder Episode ein Stern aus echtem Gold vergeben, Wert: 20.000 Dollar.

„Wer hat hier letztlich die Verantwortung?“, fragt der Kommunikationswissenschafter Matthew Smith von der Wittenberg Universität in Ohio, „der Sender, der mit dem 20.000-Dollar-Preis vor den Eltern hin- und herwedelt, oder die Eltern, die ihren Kindern erlaubt haben, sich in eine solche Situation zu begeben?“ Hier geht’s zur Kid Nation Website

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