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Sharon ringt mit dem Tod

Der israelische Ministerpräsident Ariel Sharon kämpft dieser Tage nach zwei Schlaganfällen um sein Leben. Vor wenigen Monaten hatten radikale Juden ihn in einer archaischen Zeremonie mit einem Todesfluch belegt.

Ein Zufall? Zum Nachdenken regt die Tatsache an, dass Sharons Vorgänger Yitzhak Rabin im November 1995 den Tod durch Kugeln eines jüdischen Extremisten fand, nachdem er mit dem selben Ritual verflucht worden war.

Sharon war zum Feindbild der ultraorthodoxen Juden geworden, als er im Sommer den Abzug der israelischen Armee aus dem Gaza-Streifen anordnete und die dortigen israelischen Siedlungen gewaltsam räumen ließ. Als der Abzug unmittelbar bevorstand, wussten einige radikale Juden keinen anderen Ausweg, als Sharon den Tod zu wünschen, um die von diesem angeblich betriebene „Zerstörung Israels und des jüdischen Volkes“ doch noch abzuwenden.

Die „Pulsa denura“ (Feuerpeitsche) genannte Zeremonie fand am 26. Juli auf einem alten Friedhof im nordisraelischen Rosh Pina statt. Nach einem rituellen Bad stießen die 20 Teilnehmer – allesamt verheiratete Männer mit Vollbart im Alter von mehr als 40 Jahren – den Fluch aus, wie der israelische Internetdienst ynet berichtet. In der biblischen Sprache Aramäisch riefen sie so genannte Engel der Zerstörung an, dem Verfluchten seine Sünden nicht zu vergeben, ihn zu töten und alle im Alten Testament genannten Flüche auf ihn kommen zu lassen. Innerhalb eines Jahres soll der solcherart Verwünschte sterben.

„Uns ist egal, wie er stirbt. Es kann auch ein Herzinfarkt sein“, sagte einer der Teilnehmer vor der Zeremonie. Die Anrufung Gottes wurde unter anderem mit den strengen Sicherheitsvorkehrungen für Sharon begründet, die jeglichen Attentatsversuch aussichtslos erscheinen lassen. „Daher bitten wir Gott, ihn zu töten.“ Die Teilnehmer der Zeremonie setzen damit übrigens ihr eigenes Leben aufs Spiel. „Wenn der Fluch jemanden trifft, der dies nicht verdient, kommt das wie ein Bumerang auf uns zurück“, sagte der Anführer der Gruppe, der extremistische Rabbiner Yossi Dayan, dem Internetdienst „WorldNetDaily“.

Dayan hatte das Ritual im Jahr 1995 gegen den damaligen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin angewandt. Die Drohung mit der „Pulsa denura“ ist in Israel nichts Ungewöhnliches, sie soll schon gegen zahlreiche Politiker und Intellektuelle ausgesprochen worden sein, die angeblich gegen die Interessen des Landes tätig gewesen seien. „Du hast es in der israelischen Politik erst geschafft, wenn du unter der Pulsa denura verflucht worden bist“, lautet eine Redewendung in Israel.

Der Todesfluch basiert auf einigen Stellen von Talmud und Zohar (klassisches Werk der jüdischen Mystik Kabbala), in denen von „pulsai dinura“ (Feuerpeitschen) die Rede ist. Sie werden als himmlische Bestrafung gegen eine Person beschrieben, die ihren religiösen Verpflichtungen nicht nachkommt. Einige Anhänger der Kabbala entwickelten daraus das Konzept des Anrufens eines Fluches gegen einen Sünder.

Jüdische Glaubensgelehrte weisen darauf hin, dass es in der Tora keinerlei Hinweise auf einen Todesfluch gebe. Die ultraorthodoxen Theologen Dov Shartz und Moshe Blau kommen in einer Studie nach Befragung von einflussreichen Kabbalisten zum Schluss, dass die Zeremonie lediglich eine besonders Furcht einflößende Form der Exkommunikation ist. Auch der Chicagoer Rabbi Ariel Bar Tzadok weist in einer Expertise darauf hin, dass kein Rabbi oder Kabbalist das Recht habe, jemanden mit einem Todesfluch zu belegen. Das Judentum toleriere Flüche und Magie keinesfalls.

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