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Schweizer stimmen über Verhältnis zur EU ab

Knapp vier Monate nach der Entscheidung für den Beitritt zum Schengen-Raum stimmen die Schweizer am kommenden Sonntag erneut über ihr Verhältnis zur EU ab. Umfragen lassen ein knappes „Ja“ erwarten.

Diesmal geht es im Nicht-EU-Land um die Ausdehnung des freien Personenverkehrs auf die zehn neuen EU-Staaten. „Heute Osteuropa – morgen die Türkei“ warnt das „Komitee für sichere Arbeitsplätze und solide Sozialwerke“ in ganzseitigen Zeitungsinseraten. Und am Berner Hauptbahnhof erhielten die Pendler diese Woche den „blauen Brief“ in die Hand gedrückt. „Leider müssen wir Ihnen per 25. September 2005 kündigen. Grund: Sie sind zu teuer“, steht auf dem Pamphlet, mit dem vor der „Ostzuwanderung“ gewarnt wird.

Die Gegner der erweiterten Personenfreizügigkeit rekrutieren sich hauptsächlich aus dem gleichen rechtsnationalen Lager, das am vergangenen 5. Juni vergeblich den Beitritt der Schweiz zu den Justiz- und Polizeiabkommen von Schengen und Dublin bekämpft hatte. Mit einem wichtigen Unterschied: Die Schweizerische Volkspartei (SVP) opponiert nicht geschlossen gegen die Ausdehnung der Freizügigkeit auf die neuen EU-Mitglieder in Osteuropa. Und ihr prominentester Exponent, Justizminister Christoph Blocher, ging zur befürwortenden Stellungnahme der Regierung (Bundesrat) nicht auf Distanz, sondern plädierte dafür, das Wagnis einzugehen.

Anders als bei der Schengen-Abstimmung haben sich diesmal aber auch Gruppierungen am linken Rand des politischen Spektrums den Gegnern angeschlossen. Sie betrachten den Schutz der Schweizer Arbeitnehmer vor Lohn- und Sozialdumping als ungenügend. Sozialdemokraten, Grüne und Gewerkschaften stehen dagegen hinter dem erweiterten Freizügigkeitsabkommen. Der Präsident des Gewerkschaftsbunds, Paul Rechsteiner, spricht sogar von der wichtigsten wirtschaftspolitischen Vorlage seit Jahren.

Grund für die Zustimmung der Arbeitnehmerverbände sind die Übergangsfristen und die Schutzmaßnahmen. Bereits das Freizügigkeitsabkommen mit den alten EU-Staaten wurde mit flankierenden Maßnahmen zum Schutz vor Missbräuchen versehen. Diese wurden im Falle der neuen EU-Länder ausgebaut. Unter anderem sollen bis zu 150 Inspektoren in den Kantonen gegen Dumpinglöhne vorgehen.

Die Schweiz handelte mit der EU zudem längere Übergangsfristen aus. Bis 2011 ist die Zuwanderung auf höchstens 3.000 Daueraufenthalter beschränkt, bis 2014 gilt eine Schutzklausel, und im Jahre 2009 können das Parlament und erneut das Volk über die Weiterführung des Freizügigkeitsabkommens entscheiden.

Mit einer millionenschweren Kampagne setzt sich die Wirtschaft für die Annahme der Vorlage ein. Sie befürchtet im Falle eines „Neins“ gravierende Nachteile auf dem EU-Binnenmarkt. „Jeder dritte Franken, jeder dritte Arbeitsplatz hängt am Handel mit der EU“, warnt das Wirtschaftskomitee. Und für den Präsidenten des Bankendachverbands, den Genfer Privatbankier Pierre Mirabaud, steht die Zukunft des Landes schlechthin auf dem Spiel.

Angeheizt wurde der Abstimmungskampf schon einen Tag nach der Zustimmung des Volks zum Schengen/Dublin-Beitritt. EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner brüskierte Bern am 6. Juni mit der Aussage, dass der Beitritt zu Schengen und Dublin nur möglich werde, wenn die Schweiz auch der erweiterten Personenfreizügigkeit zustimme. Seither hat Brüssel diese Position relativiert.

Sicher ist aber, dass im Falle eines Scheiterns das Paket der ersten bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU gefährdet ist. Denn diese sieben Abkommen – darunter auch jenes über den freien Personenverkehr – wurden seinerzeit auf Druck Brüssels mit einer so genannten Guillotine-Klausel versehen. Das heißt, die EU kann die übrigen Abkommen kündigen, wenn die Schweiz bei der Freizügigkeit aussteigt.

Das erste Vertragspaket war von den Stimmbürgern am 21. Mai 2000 noch mit 67,2 Prozent Ja gutgeheißen worden. Im Falle von Schengen/Dublin stimmten noch 54,6 Prozent zu. Die letzte Meinungsumfrage ergab im Falle der Freizügigkeit 50 Prozent Ja und 38 Prozent Nein. Knapp könnte es nur dann werden, wenn sich die zwölf Prozent Unentschlossenen ins Nein-Lager schlagen.

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