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Schweiz und EU

Die direkte Demokratie als "heilige Kuh" ist einer der Schweizer Knackpunkte, der für viele einen EU-Beitritt derzeit undenkbar macht. Laut SP-Chef Fehr macht das "Ja"-Lager derzeit rund 30 Prozent aus.

Als einzige im Bundesrat (Regierung) vertretene Partei tritt die SP (Sozialdemokraten) für die Aufnahme der Verhandlungen ein, klar dagegen ist die nationalkonservative Schweizerische Volkspartei (SVP). Sie setzen damit aber auch die bürgerlichen Parteien CVP (Christdemokraten) und Freisinnige (FDP) unter Druck und erschweren die politische Diskussion.

„Man muss das Thema wieder politikfähig machen“, fordert daher auch SP-Chef Hans Jürg Fehr. Noch vor einigen Jahren hatten sowohl CVP und FDP Beitrittsbeschlüsse gefasst. „Seitdem distanzieren sie sich davon, um nicht zu viel Terrain an die SVP zu verlieren. Das Thema ist wie weggerückt worden in eine Sphäre, wo man theoretisieren kann, wo es aber keine faktische politische Bedeutung hat.“

Laut Fehr macht das „Ja“-Lager derzeit rund 30 Prozent aus. Etwa ebenso groß sind die Gruppen der deklarierten Gegner und der Unentschlossenen. Wie das Thema „EU-Beitritt“ in der Schweiz aufs Tapet gebracht wird, machte Montag Abend eine Podiumsdiskussion beim „Europa Forum Luzern“ deutlich. „Wenn die Entscheide in Brüssel gefällt werden, ist kein Platz mehr für direkte Demokratie“, polterte SVP-Nationalrat Luzi Stamm und brachte die Mehrwertsteuer als abschreckendes Beispiel: „Im Moment, wo Sie beitreten, haben Sie 15 Prozent. Und keine Abstimmung.“

Ein Argument, dem SP-Chef Fehr widersprach. „Unsinn. Es wird natürlich Dinge geben, welche die EU regelt. Aber ein großer Teil dessen, was heute in Referenden entschieden wird, wird bleiben. Dafür handeln wir uns mit Brüssel ein Mitentscheidungsrecht aus, das die Verluste kompensiert.“ Zudem gebe es durch den „bilateralen Weg“ ohnehin schon einen „schleichenden Souveränitätsverlust.“

Die Position der SVP ist recht simpel. Als Wirtschaftsgemeinschaft ist die EU akzeptabel. Als politische Union aber nicht. Wenn sich die EU als politisches Gegengewicht zu den USA verstehe, müsse sie sich auch strategisch positionieren, so Stamm. „Wie würde die EU bei einem Nahost-Konflikt reagieren?“ Der Frieden ist für die SVP da durch kleinere Staaten („Für sie bietet sich die Schweiz als ’Export-Modell’ in Sachen direkter Demokratie an“) besser abgesichert als mit „neuen Machtblöcken“.

Die CVP, die nach der vergangenen Nationalratswahl einen Bundesratssitz an die SVP abgeben musste, laviert in der EU-Frage dahin. „Ein Beitritt ist kein strategisches Ziel, sondern eine Option“, meint Parteichefin Doris Leuthard. „Wenn Europa gelernt hat, näher bei den Bürgern zu sein, wäre ein Beitritt möglich.“ Für FDP-Chef Fulvio Pelli wiederum ist die Zeit noch nicht gekommen, „einen Entscheid zu treffen.“ Er tritt aber nach dem „Ja“ bei den Referenden über Schengen/Dublin und die Personenfreizügigkeit dafür ein, das auf Eis liegende Beitrittsgesuch des Bundesrates vorerst einmal zurückzuziehen.

Hans Jürg Fehr sieht die FDP-Haltung keinesfalls als Überraschung, weil der „Finanzplatz Schweiz“ und damit auch ein Großteil der FDP-Klientel auch mit den Bilateralen „bedient“ ist. Es werde der Schweiz aber nicht erspart bleiben, sich der Diskussion zu stellen. So habe die Schweiz seit dem „Nein zum EWR“ 1992 das kleinste Wirtschaftswachstum aller europäischen Länder, die in den vergangenen 15 Jahren einen Beitritt beschlossen haben. Auch die Arbeitslosigkeit liege mittlerweile bei nahe vier Prozent.

Als „faktische Zwänge“ gibt es auch noch 30 weitere Verträge, die geregelt werden müssen. „Es sind Zwänge da“, warnt der SP-Chef. Ein brennendes Thema dabei ist der Stromtransit oder die Teilnahme am Satellitennavigationssystem „Galileo“. Daher werde es Punkt für Punkt weitere Annäherungen geben. Bei eventuellen Beitrittsverhandlungen könnte die Schweiz aber beispielsweise darauf bestehen, den Franken beibehalten zu dürfen. Das wäre zweifellos ein „Schmiermittel“ für die Bevölkerung, glaubt Fehr.

Mit einem Verweis auf Großbritannien und dem Finanzplatz London als Konkurrenz, sollte dies kein größeres Problem darstellen, ist Fehr überzeugt. Noch dazu, wo die EU mit den Eidgenossen ohnehin „sehr pfleglich“ verfahre. „Die Schweiz hat als Finanzplatz Bedeutung. Es gibt offenbar auch noch einen Goodwill, der aus der Nachkriegszeit stammt. Denn man könnte schon härter mit uns umgehen.“ Dies gilt aber möglicherweise auch für innenpolitische Diskussionen. Allen gegenteiligen Forderungen zum Trotz wurde das Thema „EU-Beitritt“ im Vorfeld der jüngsten Referenden von der SP nicht thematisiert. Das hätte dem „Ja“ möglicherweise abträglich sein können.

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