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Saudi-Arabiens Megaprojekt droht zu kollabieren

Neom-Rückbau: Saudi-Arabien kappt Pläne für Megacity radikal
Neom-Rückbau: Saudi-Arabien kappt Pläne für Megacity radikal ©AFP
Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman wollte mit der futuristischen Megastadt "The Line" ein neues Kapitel urbaner Entwicklung aufschlagen.

Prestigeprojekt vor dem Aus

Nun steht das Prestigeprojekt vor dem Aus – gestoppt durch physikalische Grenzen, explodierende Kosten und fehlende Investoren.

Was 2021 als visionärer Plan angekündigt wurde, gerät zunehmend ins Stocken. "The Line" – eine 500 Meter hohe, 200 Meter breite und 170 Kilometer lange, verspiegelte Megastruktur inmitten der Wüste – sollte bis zu neun Millionen Menschen beherbergen und ein Symbol für den wirtschaftlichen und technologischen Aufbruch Saudi-Arabiens werden.

So, oder so ähnlich zumindest hätte "The Line" ursprünglich aussehen sollen. ©AFP

Doch laut einem umfassenden Bericht der Financial Times wurde aus der Zukunftsstadt ein technisches und finanzielles Fiasko. Interne Planungsdokumente, Interviews mit mehr als 20 ehemaligen Mitarbeitenden sowie Satellitenbilder zeichnen ein Bild des Scheiterns – oder zumindest einer dramatischen Schrumpfung der einstigen Megavision.

Mohammed bin Salman ©AFP

Schwerelose Träume – realitätsferne Planung

Eines der auffälligsten Elemente war das sogenannte "Hidden Marina" – ein künstlich geschaffener Tiefseehafen mitten in der Wüste, über dem ein 30-stöckiges Bürogebäude kopfüber von einem gigantischen Bogen hängen sollte. Laut der Financial Times war selbst das interne Ingenieursteam skeptisch: Man warnte vor Pendelbewegungen und strukturellem Versagen durch Wind und Erdbeben – Szenarien, die das Gebäude möglicherweise zum Einsturz bringen könnten.

Das "Hidden Marina" ©AFP

Neben diesem "schwebenden Kronleuchter" plante man ein Fußballstadion mit 45.000 Plätzen – auf 350 Metern Höhe. Ein Architekt erinnerte sich laut FT, dass selbst grundlegende Funktionen wie Toilettenspülungen zur Herausforderung wurden. Die Lösung? Laut Projektleitung sollten Hunderte Shuttlefahrzeuge Fäkalien auf speziellen Brücken abtransportieren.

Materialschlacht in der Wüste

Die Materialanforderungen waren enorm: Allein für die ersten 20 Module der Stadt hätte man jährlich mehr Zement benötigt, als ganz Frankreich produziert. Auch beim Stahl wären über 60 Prozent der globalen Jahresproduktion für grünen Baustahl beansprucht worden. Der Transport all dieser Ressourcen wäre über einen einzigen, weit entfernten Hafen erfolgt – ein logistischer Engpass.

Ein ehemaliger Baumanager sprach von Containern, die alle acht Sekunden am Bauplatz eintreffen müssten, um den Zeitplan zu halten – 24 Stunden am Tag.

Vom 1,6-Billionen-Dollar-Traum zur Kostenexplosion

Die ursprünglichen Baukosten wurden intern mit 1,6 Billionen US-Dollar beziffert – eine Summe, die später auf 4,5 Billionen anwuchs. Das entspricht in etwa dem gesamten Bruttoinlandsprodukt Deutschlands. Die massive Finanzierung sollte über ausländische Investoren gesichert werden – doch das Kapital blieb aus.

©AFP

Mit Stand Ende 2025 sind laut FT rund 50 Milliarden US-Dollar geflossen – sichtbar ist vor allem eine riesige Baustelle mit tiefen Gräben, vereinzelten Fundamenten und einer Marina, aus der 100 Millionen Kubikmeter Erdreich bewegt wurden. Ganze Dörfer wie Qayal wurden dafür dem Erdboden gleichgemacht, Mitglieder der Huwaitat-Stammesgruppe inhaftiert oder zum Tode verurteilt, nachdem sie gegen die Zwangsumsiedlung protestiert hatten.

Politischer Wille gegen physikalische Grenzen

Obwohl die physikalischen und ökologischen Probleme offensichtlich sind – darunter massive Beeinträchtigungen von Vogelzugrouten und das Risiko einer stagnierenden Marina ohne natürlichen Wasseraustausch – wurde Kritik laut FT intern kaum geduldet. Entscheidungsträger beschrieben eine Atmosphäre wie im Märchen "Des Kaisers neue Kleider": Niemand wagte es, dem Kronprinzen zu widersprechen.

©AFP

Ein interner Kassensturz unter dem Namen "Project Moon" sollte die eskalierenden Kosten untersuchen, verlief aber laut der Financial Times im Sande. Die entscheidenden Fragen – etwa zur Realisierbarkeit, zur Infrastruktur oder zum Zeitplan – blieben unbeantwortet oder wurden ignoriert.

©AFP

Rückbau der Vision

Ursprünglich sollten bis 2030 zwanzig Module realisiert werden. Inzwischen wurde dieses Ziel laut FT mehrfach reduziert – zunächst auf zwölf, dann auf sieben, schließlich auf drei Module. Damit fällt auch die wirtschaftliche Tragfähigkeit: Mindestens sieben Module wären notwendig gewesen, um eine kritische Masse an Bewohnern und Investoren zu erreichen.

Auch am internationalen Flughafen von Neom – geplant mit fünf Start- und Landebahnen – wurde die Arbeit eingestellt. Selbst der Tunnel durch das Hejaz-Gebirge, der einst die Hochgeschwindigkeitsverbindung zur Küste sichern sollte, steht nun leer.

Ein früherer Projektmanager fasste die Lage nüchtern zusammen: "Als Gedankenspiel war es großartig. Aber man sollte keine Gedankenspiele bauen."

(VOL.AT)

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