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Russlands Botschafter sieht Westen im Informationskrieg

Netschajew: "Rhetorik aus dem Kalten Krieg noch nicht bewältigt".
Netschajew: "Rhetorik aus dem Kalten Krieg noch nicht bewältigt". ©APA
Der russische Botschafter Sergej Netschajew sieht den sieht den Westen in einem "Informationskrieg" gegen Russland. Westliche Medien würden wesentliche Informationen und Wirklichkeiten im Konflikt um die Ukraine verzerrt darstellen oder den Menschen überhaupt vorenthalten, so Netschajew am Wochenende beim Mediengipfel in Lech am Arlberg.

Es sei “besorgniserregend, dass die Rhetorik aus dem Kalten Krieg noch nicht bewältigt wurde”. So werde etwa immer wieder die KGB-Vergangenheit von Russlands Präsident Wladimir Putin ins Spiel gebracht. Putin war laut Netschajew ein “gut ausgebildeter Staatsbediensteter”. Mit der aktuellen Ukraine-Krise habe das alles nichts zu tun. “Wir sind ein bisschen müde von den Leviten, die uns aus verschiedenen Staaten immer wieder gelesen werden. Wir müssen das, das, das, Demokratie, Menschenrechte …” Was in der Ukraine passiere, sei tragisch, aber letztlich eine “innenpolitische Krise – Russland steht in keinem Konflikt mit der Ukraine. Hätten die Europäer nicht den gesetzwidrigen Staatsstreich anerkannt, wäre es vielleicht nicht zu dieser tiefen Krise gekommen.”

“Dialog unumgänglich”

Ohne Dialog in der Ukraine sieht der russische Botschafter in Wien die Situation “ziemlich düster”. Die Konfliktparteien in der Ukraine, die zentrale Macht in Kiew und der Osten müssten an einen Tisch. “Es gibt bereits einige positive Schrittchen und Lichtschimmer am Ende des Tunnels. Wir brauchen Europa, um mit der Regierung in Kiew zu sprechen, und Russland ist bereit, die Kollegen im Osten zu diesem Dialog zu bewegen. Ein Dialog zwischen Kiew und Donbass ist unumgänglich.”

Darüber hinaus übte Netschajew einmal mehr Kritik an den Sanktionen gegen sein Land. “Wir werden die Sanktionen natürlich spüren, aber die Ziele, in Russland Unzufriedenheit zu schüren und einen Regimewechsel herbeizuführen – diese Freude bekommen unsere Freunde nicht. Die russische Bevölkerung sieht das als Aggression.”

SP-Parlamentarier Freund sieht “neues Russland”

SPÖ-EU-Parlamentarier Eugen Freund meinte in Lech, dass sich Europa auf “ein neues Russland einstellen müsse, ein Russland, dass sich leider eher Richtung Kalter Krieg zurückbewegt”. Auch Freund glaubt an die Chance, die Krise “im Dialog zwischen Kiew und dem Osten und zwischen Brüssel und Moskau” lösen zu können. Die Sanktionen zeigten laut Freund bereits Wirkung. Es gebe Experten, die meinen, dass die russische Wirtschaft im nächsten Jahr um fünf Prozent schrumpfen wird.

Der Politikwissenschafter und Russland-Experte Gerhard Mangott glaubt indes nicht an die Wirkung der EU-Sanktionen. “Ich bin Skeptiker. Es gibt vonseiten der russischen Führung bis heute keinerlei Änderung der russischen Politik in der Ukraine. Die russische Führung wird sich diesen Sanktionen nicht beugen. Es gibt einen nationalistischen Schulterschluss zwischen Bevölkerung und Führung.”

Neben dem Krisenherd im Osten Europas ging es beim Mediengipfel in Lech auch um die Frage “Wer regiert Europa”. Cerstin Gammelin, EU-Korrespondentin der “Süddeutschen Zeitung”, hält nach wie vor den EU-Rat der Staats- und Regierungschefs für das mächtigste Gremium in Brüssel. “Die wirklichen Entscheidungen fallen im Rat, danach kommt die Kommission, dann das Parlament.” Das EU-Parlament habe aber durch die jüngste Europawahl und das Aufstellen von Spitzenkandidaten an Macht dazu gewonnen. “Es hat sich ein bisschen was im Machtgefüge verschoben”, sagte Gammelin.

Lobbyisten als Thema

Für den Grünen EU-Abgeordneten Michel Reimon spielen auch die rund 20.000 Lobbyisten in Brüssel eine Rolle. “Mich hat überrascht, dass der Lobby-Druck auf EU-Parlamentarier noch vehementer ist, als ich vorher gedacht habe. Düstere Männer in Trenchcoats mit Geldkoffern gibt es aber nicht so oft. Was Lobbyisten haben, sind Ressourcen. Das hat nicht den Geheimagenten-Charme, den sich manche zusammenspinnen”, so Reimon. Der Lobby-Druck sei groß, weil die Interessen groß sind, meinte der Strategieberater Gregor Kreuzhuber, der einst dem Kabinett von EU-Kommissar Franz Fischler angehört hatte. “Ich glaube aber, dass Brüssel punkto Transparenz bei Lobbyismus viel weiter ist, als Hauptstädte wie Berlin oder Wien.”

Vor einer “politischen Renationalisierung” Europas warnten am Arlberg gleich mehrere Journalisten, darunter ORF-Korrespondent Raimund Löw. Die Situation in Frankreich mit Front National-Führerin Marine Le Pen habe europaweit Vorbildwirkung. “Le Pen ist eindeutig auf die Zerschlagung der EU aus ist. Das Programm von Marine Le Pen ist der Rückzug auf den Nationalstaat, die eigenen Grenzen, die eigene Währung.” Löw erwartet eine “tiefe politische Krise in mehreren Ländern gleichzeitig” – etwa in Großbritannien oder in Griechenland. “Das wird die EU in den kommenden Jahren massiv beschäftigen.”

(APA)

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