Staudamm in Cherson zerstört: Evakuierungen laufen

Die Ukraine warf Russland eine Sprengung des Dammes vor, die russische Seite sprach von Artilleriebschuss. Nach Angaben beider Seiten waren zehntausende Bewohner des Gebietes in Gefahr, Evakuierungen liefen an. Das Wasserkraftwerk sei völlig zerstört worden, bestätigten die Behörden beider Kriegsparteien.
Russischen Behördenangaben zufolge waren 22.000 Menschen von Überschwemmungen in dem von Russland besetzten Gebiet bedroht. Das meldet die Agentur RIA unter Berufung auf die von Russland installierte Verwaltung in den besetzten Teilen der ukrainischen Oblast Cherson. Die Menschen lebten in 14 Ortschaften im Süden der Oblast Cherson. Die ukrainische Seite sprach von 16.000 Menschen in der "kritischen Zone" am unter Kontrolle der Ukraine stehenden rechten Ufer des Flusses Dnjepr. Demnach seien 80 Ortschaften von Überschwemmungen bedroht.
Vermutlich nicht reparierbar
Das Kachowka-Wasserkraftwerk war nach Angaben der staatlichen ukrainischen Wasserkraftunternehmens Ukrhydroenerho nach einer "Explosion" im Maschinenhaus "vollkommen zerstört" worden. Der Bürgermeister von Nowa Kachowka, Wladimir Leontew, bestätigte, dass sich der Staudamm vermutlich nicht mehr reparieren lasse.
Wasserstand fünf Meter gestiegen
Er widersprach laut der russischen Nachrichtenagentur RIA Berichten über eine Sprengung des Staudamms durch russische Truppen. Leontew berichtete von Schäden durch ukrainischen Artilleriebeschuss. In Nowa Kachowka seien demnach bereits rund 300 Häuser evakuiert worden. Ein Teil der Stadt sei aus Sicherheitsgründen von der Stromversorgung abgeschnitten worden. Der Wasserstand rund um den zerstörten Kachowka-Staudamm ist RIA zufolge bereits um fünf Meter gestiegen. Mehrere flussabwärts gelegene Inseln seien inzwischen völlig überflutet, meldet RIA unter Berufung auf örtliche Behörden.
Diese Simulation von Dämmningsverket AB zeigt, wie sich die Wassermassen nach dem Dammbruch schlimmstenfalls über die Region Cherson ausbreiten könnten:
Notfall-Sitzung einberufen
Nach mutmaßlichen Explosionen an einem wichtigen Staudamm im von Russland besetzten Teil der Südukraine hat Präsident Wolodymyr Selenskyj eine Notfall-Sitzung des nationalen Sicherheitsrats einberufen. Das teilte der Sekretär des Rats, Olexij Danilow, am Dienstagmorgen auf Twitter mit.
Gefahr für AKW?
Das Reservoir Kachowka versorgt die von Russland 2014 annektierte Halbinsel Krim mit Wasser, wie auch das besetzte AKW Saporischschja. Für die Sicherheit des Atomkraftwerkes besteht nach Einschätzung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) vorerst keine direkte Gefahr durch die Zerstörung des Kachowka-Staudamms. Experten der IAEA beobachteten die Lage, twitterte die in Wien ansässige Behörde am Dienstag.
Die Zerstörung des Staudammes stellt hingegen nach Einschätzung der ukrainischen Atomenergiebehörde Enerhoatom eine Gefahr für das AKW Saporischschja dar. Die Lage in dem AKW sei aber gegenwärtig unter Kontrolle, teilt Enerhoatom auf Telegram mit. "Wasser aus dem Kachowka-Stausee ist notwendig, damit die Anlage Strom für die Turbinenkondensatoren und Sicherheitssysteme des Kernkraftwerks erhält", erklärt Enerhoatom. "Derzeit ist das Kühlbecken der Anlage voll: Um 08.00 Uhr beträgt der Wasserstand 16,6 Meter, was für den Bedarf der Anlage ausreicht."
Staudamm fast so groß wie Voralberg
Für den Nord-Krim-Kanal besteht laut russischer Nachrichtenagentur TASS keine unmittelbare Gefahr der Austrocknung. Die staatliche Agentur beruft sich auf örtliche Behörden. Der Kanal wird aus dem Kachowka-Stausee gespeist und verläuft durch den Süden der Oblast Cherson, die der Halbinsel gegenüber liegt.
Der 30 Meter hohe und 3,2 Kilometer lange Damm wurde 1956 als Teil des Wasserkraftwerks Kachowka errichtet. Der Stausee fasst rund 18 Milliarden Kubikmeter Wasser bei einer Fläche von knapp 2.200 Quadratkilometern. Zum Vergleich: Das Bundesland Vorarlberg hat eine Fläche von 2.600 Quadratkilometern. Weitläufige Überschwemmungen werden nun befürchtet. Laut Medienberichten wurde mit Evakuierungen im Gebiet begonnen. Das Wasser werde binnen fünf Stunden kritisches Niveau erreichen, schrieb der Militärgouverneur des Gebiets, Olexander Prokudin auf Telegram.
Widersprüchliche Meldung zu Ukraine-Offensive
Russland hatte zuvor die Vereitelung einer weiteren Großoffensive der ukrainischen Streitkräfte in der Region Donezk vermeldet.
Wie das russische Verteidigungsministerium am Montagabend mitteilte, wurden dabei u.a. acht Leopard-Kampfpanzer und drei französische Radpanzer zerstört. 1.500 ukrainische Soldaten seien getötet worden. Auch seien 109 gepanzerte Vehikel zerstört worden. Der Bericht konnte nicht unabhängig bestätigt werden, eine Stellungnahme vonseiten der Ukraine lag nicht vor.
Analyse über Lage in der Ukraine:
Zweifel an den Angaben kamen vom Chef der russischen Wagner-Söldner, Jewgeni Prigoschin. Die vermeintlichen Opferzahlen in den Reihen der Ukrainer sah er als nicht realistisch an. Dafür seien weitaus mehr Bodengewinne erforderlich. "Deshalb glaube ich, dass das einfach wilde und absurde Science-Fiction ist", sagte Prigoschin in einem Statement auf seinem Telegram-Kanal. Zähle man die Zahlen des Ministeriums zusammen, "haben wir den gesamten Planeten bereits fünfmal zerstört", fügte er sarkastisch hinzu. Prigoschin hat die russische Militärführung bereits mehrfach scharf kritisiert und ihr Unfähigkeit vorgeworfen.
(APA/Reuters/dpa)
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