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Robert Schneider im Interview

Schwarzach - Mit "Schlafes Bruder" landete der Vorarlberger Robert Schneider 1992 einen Sensationserfolg. Sein neuer Roman heißt "Die Offenbarung". Rezension

Mit „Die Offenbarung“, einem dieser Tage erscheinenden Roman um den unglaublichen Fund einer originalen Partitur von Johann Sebastian Bach, schließt er nun – drei Jahre nach seinem bisher letzten Buch „Kristus“ – stilistisch wie thematisch an sein Debüt an. Der APA beantwortete der 46-jährige Autor, der in den kommenden Wochen auf einer umfangreichen Lesetournee durch Deutschland auch nach Naumburg, den Schauplatz seines Buches, kommen wird, einige Fragen per E-Mail.

APA: Mit „Die Offenbarung“ scheinen Sie zu Ihren Anfängen als Autor zurückzukehren. Vom Orgelspiel, der Beschäftigung mit Musik und Genie bis hin zu Johann Sebastian Bach erinnert vieles an „Schlafes Bruder“. Wie bewusst sind diese Rückgriffe?

Robert Schneider: Musik war immer der Beweggrund meines Schreibens, doch glaube ich nicht, dass man zu den eigenen Anfängen zurückkehren kann. Es ist unmöglich, das Kind zu werden, das man einmal war. Das Buch erzählt vielmehr die Geschichte eines Mannes, der sich vom Leben betrogen fühlt. Alles, was der 45-jährige Musikforscher Jakob Kemper angefasst hat, ist ihm gründlich misslungen, privat wie beruflich. Er hadert mit sich und der Welt, aber sie nimmt keine Notiz von ihm. Auch in der Liebe ist er glücklos. Nun macht ausgerechnet er den Fund aller Funde. In einer verrotteten Orgel findet er ein verschollenes Manuskript von Bach. Das stürzt die Romanfigur in höchste Euphorie. Gleichzeitig erlebt Kemper traumatische Angstzustände, weil er meint, die offizielle Bachforschung hätte von seiner Entdeckung erfahren. Das ist der Ausgangspunkt der Geschichte, und am Ende lernt Kemper, sich mit seinem Leben zu versöhnen. Er lernt, sich zu mögen mit allem, was unfertig ist und ungelöst.

APA: Wieviel fachliche Detail-Recherche war für das Buch notwendig?

Schneider: Da war zunächst die Idee. Was, wenn es von Bach noch etwas Größeres gibt als die h-moll-Messe, aber keiner weiß davon? Dann hieß es, den Gedanken so plausibel wie möglich in Bachs Biografie einzubetten. Wo und wann könnte er sein gewaltiges Oratorium nach der Apokalypse des Johannes geschrieben haben? Es ist belegt, dass der alte Bach im Jahr 1746 nach Naumburg gereist ist, um die Orgel der Wenzelskirche zu inspizieren. Im Stadtarchiv von Naumburg existiert sogar noch eine saftige „Toback“- und Wein-Rechnung darüber. Im letzten Kapitel, wo Bach selbst auftritt, ändert sich plötzlich die Sprachfaktur des Romans, weil das Kapitel fast ausschließlich aus Briefzitaten Bachs, seiner Söhne und Zeitgenossen montiert ist. Das war Tüftelarbeit. Sie hat mir unglaublichen Spaß bereitet.

APA: War die Person Bachs der Ausgangspunkt – oder die theoretische Überlegung, ein unerwarteter neuer Fund könnte gleichsam ein Kapitel der Musik- oder der Kunstgeschichte umschreiben?

Schneider: Letzteres. Als Winckelmann und Lessing im Zusammenhang mit der Laokoon-Gruppe erfuhren, dass die griechischen Skulpturen teilweise bemalt waren, Glasaugen trugen und aufgeklebte Bärte, war es dahin mit dem klassischen Ideal, und der Geschmack war auf das Empfindlichste beleidigt. Damit will ich sagen, dass wir uns immer ein falsches Bild vom Anderen machen. So hat jede Zeit ihr eigenes Bach-, Mozart- oder Goethe-Bild, an dem sie natürlich scheitern muss. Unser heutiges Bach-Bild beruft sich auf die sogenannte historische Aufführungspraxis. Niemand weiß aber, wie Bachs Musik wirklich gespielt wurde, welche Tempi er genommen hat, usw. Ich habe die große Ehre, auf meiner Lesereise mit dem Organisten Jürgen Natter, einem phänomenalen Improvisator und Bachinterpreten aufzutreten. Er verfügt über eine wunderbare Mischung aus tiefer Quellenkenntnis und unbefangenem Musizieren. Darum glaube ich, geht es in der Kunst: Intuition und Wissen in perfekter Balance zu halten.

APA: Steht Ihnen der Komponist Bach auch selbst nahe, hat seine Musik Sie besonders beeindruckt oder beeinflusst?

Schneider: Bach ist für mich nicht so sehr ein musikalisches Phänomen, vielmehr ein denkerisches. Ich halte ihn tatsächlich für den größten Denker, den Deutschland hervorgebracht hat. Es ist einfach atemberaubend, wie er in der Lage war, aus einer schlichten Melodie, die eigentlich nichts hergibt, ein Dutzend kontrapunktische Kombinationen zu ersinnen, die noch dazu vollendet schöne Musik ergeben. Anders gesagt: Er hat das Paradoxon zur höchsten Form von Wirklichkeit erhoben, und er hat gezeigt, dass es sich mit dem Widerspruch sehr wohl denken, musizieren, leben lässt.

APA: Ihre Hauptfigur Jakob Kemper ist als Musikforscher ein Außenseiter. Auch Sie halten sich aus dem Literaturbetrieb ziemlich heraus, haben sich in den vergangen Jahren ziemlich zurückgezogen. Wieviel von Robert Schneider steckt in Jakob Kemper?

Schneider: Mich haben Außenseiter immer beschäftigt, und damit meine ich das innere Außenseitertum. Menschen, die sich wesensmäßig als nicht kompatibel zur Gesellschaft verhalten oder verhalten haben. Das kann Gutes zeugen oder Böses. Jedenfalls sind sie die Vorwürfe zu meinen Romanfiguren, von Elias Alder in „Schlafes Bruder“ bis zu Jan Beukels in „Kristus“. Auch Jakob Kemper in meinem neuen Buch ist einer, der immer und überall aneckt, weil er gar nicht anders kann. Er ist sich selbst ausgeliefert, und er hat das Schutzhalten nicht gelernt. Das trifft und berührt mich, weil es viel mit mir zu tun hat.

APA: „Ich will nicht berühmt sein!“, lassen Sie einmal Kemper sagen, der sich den Trubel vorstellt, den sein Fund auslösen wird, „Berühmt sein ist wie Fegefeuer.“ Wie sehr hat der Erfolg von „Schlafes Bruder“ Ihr Leben verändert? Haben Sie diesen Erfolg manchmal auch verflucht?

Schneider: Verflucht habe ich diesen Erfolg nie, denn er war Geschenk und Prüfung zugleich. Wie sehr er zur Prüfung wurde, habe ich bei meinem zweiten Buch „Die Luftgängerin“ erfahren. Dort und in den Jahren danach hat sich entschieden: Bist du wirklich bereit, Zeugnis von dir abzulegen, vor deine Bücher hinzutreten, auch wenn sie unisono abgelehnt werden? Damals war ich mehr als irritiert, aber ich habe gespürt, dass es nur einen Weg gibt, mit all den Klischees und Gerüchten zu meiner Person umzugehen, indem ich die Klischees geschehen lasse, mich nicht rechtfertige, sondern es aushalten lerne mit mir und so aufrichtig wie möglich, die Treue zu mir selbst suche. Also musste ich schweigen, um Schriftsteller zu bleiben.

APA: Wie hat man sich die finanzielle Seite des damaligen Erfolgs, der ja damals nicht nur Verkäufe und Übersetzungen, sondern auch Oper, Ballett und Film umfasste, vorzustellen? Hätten Sie sich damit praktisch zur Ruhe setzen können?

Schneider: Mit dreißig Jahren denkt niemand an Ruhestand. Nicht einmal ein Sportler denkt daran, auch wenn die körperliche Leistungsfähigkeit den Zenit schon überschritten hat. Was die finanzielle Seite des Erfolgs von „Schlafes Bruder“ angeht, hätte ich allzu gern den Gerüchten um aberwitzige Garantiesummen geglaubt. Ich habe gut verdient, keine Frage. Aber der Palast, in dem ich angeblich wohne, ist das renovierte Bauernhaus meiner Eltern, und die Luxuslimousine ist ein alter Audi A3.

APA: Wie ist heute Ihr Verhältnis zu Kritik und Lesern? Erhalten Sie von dort Anregungen für Ihr Schreiben, mit denen Sie etwas anfangen können – oder muss man auch als Autor rein auf die innere Stimme hören?

Schneider: Der griechische Begriff kritiké meint die Kunst der Beurteilung. Ich brauche Menschen um mich, die literarischen Sachverstand haben. Das ist unabdingbar für mein Schreiben. Ich hatte immer das Glück, mit großartigen Lektoren arbeiten zu dürfen, wie jetzt zum Beispiel mit Frau Dr. Angela Drescher, der Lektorin von Christa Wolf. Natürlich muss man seine eigene Stimme, seinen Ton verteidigen, und oftmals gibt es divergierende Auffassungen. Aber letztlich zählen die Argumente, und da trifft Frau Dr. Drescher fast immer ins Schwarze.

APA: Wie schon in „Schlafes Bruder“ gelingt es auch in „Die Offenbarung“ der Musik, ganz erstaunliche Dinge in Hörern auszulösen. Kann die Literatur dasselbe schaffen?

Schneider: Natürlich kann die Literatur dasselbe schaffen! Sie kann noch immer berühren, und sie wird es immer tun, obwohl alle Leidenschaften und menschlichen Konflikte längst erzählt sind. Das Wunderbare ist: Die Konflikte wiederholen sich, so lange es Menschen gibt. Ich saß unlängst im Theater und habe bei „Romeo und Julia“ ein altes Ehepaar in meiner Sitzreihe weinen gesehen. Verdammt, dachte ich mir, dieser Shakespeare!

APA: Auch, wenn Ihr neues Buch fast in der Gegenwart spielt, liest es sich sehr „old fashioned“ – von Aufbau und Stil gar nicht wie Literatur des 21. Jahrhunderts. Wie bewusst stellen Sie sich dabei gegen andere Tendenzen der Gegenwartsliteratur?

Schneider: Das kann ich selbst, glaube ich, gar nicht beurteilen. Ich staune nur manchmal darüber, wie viel Anerkennung, aber auch wie viel Wut, Zorn und Ablehnung meinen Büchern zuteil wird, denn es scheint in meinem speziellen Fall keinen Mittelweg zu geben. Dass ich meine Sprache über musikalische Parameter entwickle, führt oft zu abstrusen Missverständnissen. Dass meine Sozialisation als Schriftsteller vom alten Österreich herrührt, von Stifter, Musil, Canetti, Zweig und Joseph Roth, das habe ich immer offen bekannt. Mich hat der ungeheure Sprach- und Bildreichtum, das Musikantische dieser Dichter immer fasziniert.

APA: Österreichische Autoren scheinen derzeit im ganzen deutschsprachigen Raum erfolgreich zu sein, zumindest zwei von ihnen – Arno Geiger und Michael Köhlmeier – sind ebenfalls Vorarlberger. Wie sehr verfolgen Sie diese Dinge, wie sehr halten Sie zu Ihren Kollegen Kontakt?

Schneider: Schriftsteller sind Einzelkämpfer, müssen es auch immer bleiben. Als Arno Geiger den deutschen Buchpreis erhalten hat, habe ich mich von Herzen für ihn gefreut und ihm das auch sofort gesagt. Und Michael Köhlmeier hätte es nicht minder verdient, für seinen neuen Roman heuer den Buchpreis zu bekommen. Das wäre eine längst fällige Würdigung seines Lebenswerks.

S E R V I C E – Robert Schneider: „Die Offenbarung“, Aufbau Verlag, 20,60 Euro, 286 S., ISBN 978-3-351-03212-8

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