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Regierung will Industriestrategie Anfang 2026 vorstellen

Wirtschaftsforscher: Einzelmaßnahmen reichen nicht aus
Wirtschaftsforscher: Einzelmaßnahmen reichen nicht aus ©APA/THEMENBILD
Die im Regierungsprogramm bis Ende 2025 anvisierte Industriestrategie soll Anfang kommenden Jahres präsentiert werden. Wifo-Chef Gabriel Felbermayr plädiert für "eine europäische Dimension". "Man kann eine Industriestrategie nicht national definieren", sagte Felbermayr am Dienstag bei einer Fachtagung der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) und des Wifo. Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) verwies bei der Tagung "auf enorme wirtschaftspolitische Umbrüche".

Angesichts des jahrelangen Industrieabschwungs inklusive Stellenabbau warten Branchenvertreter mit Spannung auf die industriepolitische Strategie der Regierung. Wettbewerbspolitik mit "Regeln und Rahmenbedingungen" sei "kein Gegensatz zur Industriepolitik", sagte Hattmannsdorfer. Es gehe unter anderem darum, "dass Marktmacht nicht missbraucht wird und mehr Angebot zu niedrigen Preisen führt".

Wifo-Chef: Industriestrategie nicht zu eng fassen

Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts erklärte, dass bei vielen Ökonomen "eine Skepsis gegenüber interventionistischer Industriepolitik" vorherrsche. Es gebe jetzt aber "eine ganz andere geopolitische Realität", weil China sowie die USA wirtschaftliche Abhängigkeiten gegen andere Länder verwenden. Nun gehe es für Europa und Österreich um "das strategische Managen von Abhängigkeiten, weil wir erpresst werden können".

Felbermayr empfiehlt, die Industriestrategie nicht zu eng zu fassen und die Standortpolitik im Fokus zu haben. Wichtige Themen für die Strategie seien unter anderem die Energiepreise, Bürokratielasten, Lohnnebenkosten und der CO2-Grenzausgleich. Der Spitzenökonom plädierte erneut für eine Vertiefung des europäischen Binnenmarktes. Viel industriepolitisches Potenzial sieht der Wifo-Direktor bei der öffentlichen Beschaffung in Höhe von jährlich 70 Mrd. Euro in Österreich. Ohne gleich "Buy Austrian" einzuführen, könne man das eingesetzte Steuerzahlergeld bei der Beschaffung innovationswirksamer machen und mehr an volkswirtschaftlichen Interessen orientieren.

BWB-Chefin: "Fairer Wettbewerb kein Selbstzweck"

Auch die Bundeswettbewerbsbehörde spürt in ihrer täglichen Arbeit mit Unternehmen "das Zeitalter der Transformation". "Fairer Wettbewerb" sei "kein Selbstzweck" und wichtig für "Innovation und Wohlstand", so BWB-Direktorin Natalie Harsdorf. Die meisten Beschwerden zu potenziellem Marktmachtmissbrauch würden von den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) kommen. Der deutsche Wettbewerbsrechtler Justus Haucap warnte davor, bei der Industriestrategie auf einzelne Industrie zu setzen. "Man setzt leicht auf das falsche Pferd. Der Staat hat immer wieder Probleme, die Gewinner der Zukunft zu finden." Start-ups und KMUs würden von staatlicher Seite bei der Industriepolitik wenig berücksichtigt, weil größere Unternehmen lautstark ihre Interessen artikulieren können. Haucap empfahl, bei der Industriestrategie wettbewerbliche Aspekte mitzudenken. "Wettbewerb ist unangenehm und treibt die Innovation."

Medial kolportiert wurde eine Präsentation der Industriestrategie 2035 bei der Regierungsklausur im Jänner. Für die Strategie seien zahlreiche Vorschläge von Unternehmen, Arbeitnehmervertretern, Sozialpartnern, Standortagenturen der Bundesländer und aus der Wissenschaft eingemeldet worden, hieß es vom Wirtschaftsministerium zur APA. "Derzeit läuft die Phase der tatsächlichen Ausformulierung der Strategie sowie die Abstimmung noch offener Punkte zwischen den Koalitionspartnern und den Sozialpartnern", erklärte das Infrastrukturministerium. Laut den beiden Ministerien finden bis zur Fertigstellung der Strategie mehrere Arbeits- und Abstimmungstermine pro Woche statt. Über inhaltliche Details ist noch wenig bekannt.

Sozialpartner in Industriestrategie-Erstellung eingebunden

Bei der Fachtagung gaben Vertreter von AK, WKÖ und ÖGB einen Einblick in ihre inhaltliche Positionierung bei der Industriestrategie. Die Sozialpartner sind eng in die Erstellung der Strategie eingebunden. Die ÖGB-Bundesgeschäftsführerin, Helene Schuberth, warnte vor "einer starken Verengung auf die preisliche Wettbewerbsfähigkeit" bei der industriepolitischen Strategie. Aus Gewerkschaftssicht müsse die Regierung auf technologische Souveränität, Forcierung von Schlüsseltechnologien, strategische Auftragsvergabe im öffentlichen Sektor und eine Qualifizierungsoffensive setzen. "Zentraler Punkt sind die Energiepreise, es muss noch sehr viel folgen", forderte die ÖGB-Vertreterin.

Für die Leiterin der WKÖ-Abteilung für Wirtschaftspolitik, Claudia Huber, muss die Industriestrategie Antworten auf die Verschlechterung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit, steigende Lohnstückkosten, hohe Energiepreise und das Thema Bürokratie finden. Die WKÖ-Vertreterin verwies auf geopolitische Wettbewerbsverzerrungen und EU-Klimaziele als Herausforderungen für Industriebetriebe in Österreich. Für die Industriestrategie müsse man "temporäre industriepolitische Eingriffe" und "sektorale Ansätze" andenken. Man wolle aber "nicht alte Strukturen erhalten", sagte Huber. Außerdem müsse Schlüsseltechnologien in Österreich stärken.

Arbeiterkammer-Bereichsleiter Tobias Schweitzer verwies auf die beschränkten finanziellen Mittel für die Industriestrategie aufgrund der Budgetkonsolidierung der Regierung. Man müsse "die beschränkten Mittel ganz gezielt" einsetzen, etwa für die Qualifizierung von Beschäftigten. Als positives Beispiel verwies Schweitzer auf die wettbewerbsfähige Bahnindustrie in Österreich. Die positive Entwicklung der Branche müsse man in den kommenden Jahren weiter absichern.

Industriestrategie steht im Regierungsprogramm

Das Infrastrukturministerium nannte auf APA-Anfrage "Anfang Jänner" als Zeitpunkt der Strategie-Präsentation, das Wirtschaftsministerium sprach von "Anfang 2026". Die seit März 2025 im Amt befindliche ÖVP/SPÖ/NEOS-Regierung hat in ihrem Regierungsprogramm unter dem Punkt "Industriestrategie - langfristig" zahlreiche Schlagworte gesammelt. Thematisiert wurden im Regierungsübereinkommen unter anderem "günstige Energie" für mehr Made in Austria, eine Fachkräfte- und Qualifizierungsstrategie, Schlüsseltechnologien und ein Transformationsfonds. Auch die ÖBAG als Verwalterin der staatlichen Beteiligungen wurde als "industriepolitischer Backbone" erwähnt.

Federführend um die Industriestrategie kümmern sich in der Regierung Wirtschaftsminister Hattmannsdorfer, Infrastrukturminister Peter Hanke (SPÖ) und Staatssekretär Josef Schellhorn (NEOS). "Es braucht einen umfassenden Maßnahmenplan zur Steigerung unserer Wettbewerbsfähigkeit, angefangen bei den Energiekosten bis hin zur Entbürokratisierung", so Wirtschaftsminister Hattmannsdorfer. "Mir ist wichtig, dass davon auch die Menschen profitieren - durch hochwertige Arbeitsplätze und die Sicherung unseres Wohlstandes", sagte Infrastrukturminister Hanke. "Um den Industriestandort Österreich zukunftsfähig zu machen, brauchen wir zusätzlich auch weniger Bürokratie und mehr Praxisnähe, daher stellen wir am 3. Dezember auch weiterführend unser erstes großes Entbürokratisierungspaket vor", erklärte Schellhorn.

Eco Austria: Einzelmaßnahmen reichen nicht aus

Die WKÖ-Fraktion Freiheitliche Wirtschaft (FW) drängte vergangene Woche auf eine baldige Vorlage der Industriestrategie. "Die Industrie braucht Taten statt Überschriften", forderte FW-Vertreter Eduard Fischer.

Die Chefin des industrienahen Wirtschaftsforschungsinstituts Eco Austria, Monika Köppl-Turyna, warnte bei der geplanten industriepolitischen Strategie vor einem Einzelmaßnahmen-Paket. Über Jahrzehnte aufgebaute Baustellen könne man "nicht mehr mit einzelnen Maßnahmen bekämpfen", sagte Köppl-Turyna zur APA. Als Vorbild verwies die Ökonomin auf die skandinavischen Staaten, die langfristige Strategien umsetzen. "Langfristige Planung muss sich aber auch im Budget niederschlagen", so die Eco Austria-Chefin.

Köppl-Turyna empfiehlt der Regierung eine ressortübergreifende Strategie, die Steuer-, Arbeitsmarkt-, Energie-, Innovations- und Bildungspolitik "systematisch miteinander verzahnt". Einzelmaßnahmen oder sektorale Initiativen würden nicht ausreichen, um den Standort zu stärken. Für die Umsetzung der Strategie brauche es eindeutige Zuständigkeiten, verbindliche Meilensteine und eine übergeordnete Steuerung.

(APA)

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