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Raubkunst-Fund: Verräterische Nachtzugfahrt führte zu Meisterwerken

Cornelius Gurlitt hatte bei Zugfahrt von Zürich nach München 9.000 Euro bei sich.
Cornelius Gurlitt hatte bei Zugfahrt von Zürich nach München 9.000 Euro bei sich. ©dpa
Eine verräterische Fahrt mit dem Nachtzug, eine über Jahrzehnte gepflegte perfekte Tarnung, ein geheimnisvoller Hauptakteur und ein Schatz von unschätzbarem Wert: Der Kunstfund von München zeigt immer mehr Facetten eines spannenden Krimis. Am Dienstag veröffentlichten die Ermittler neue Details.
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Der Augsburger Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz will nicht den Namen des Mannes aussprechen, der jetzt in aller Munde ist: Cornelius Gurlitt, der Sohn des von den Nazis zum Verkauf sogenannter entarteter Kunst – also von Werken etwa des Surrealismus oder Expressionismus – bemächtigten Hildebrand Gurlitt. Gurlitt scheint von seinem Vater die 121 gerahmten und 1.285 ungerahmten Bilder bekommen zu haben, die bei ihm in Schwabing hinter einem Vorhang gefunden wurden. Dazu eine noch unbekannte Zahl weiterer Bilder, die er über Jahrzehnte zum Bestreiten seines Lebensunterhalts zu Bargeld machte – Aufzeichnungen dieser Verkäufe fanden die Ermittler bisher nicht.

Bei Lindau kontrolliert

Und doch gaben sie nun ein paar Details preis: Demnach begann alles am 22. September 2010 bei einer nächtlichen Fahrt Gurlitts mit dem Schnellzug von Zürich nach München. Zwischen Lindau und Kempten kontrollierten Zollbeamte gegen 21 Uhr zufällig den 79-Jährigen und fanden 9.000 Euro. Erst ab 10.000 Euro müssen hohe Bargeldsummen angemeldet werden. Doch der Betrag machte die Zollbeamten stutzig – manchmal unterbieten laut Zoll-Direktor Siegfried Klöble Täter gezielt die Bargeldgrenze.

Es vergingen noch fast eineinhalb Jahre, bis die Ermittler einen Durchsuchungsbeschluss erwirken konnten. Am 28. Februar 2012 durchsuchten sie Gurlitts Schwabinger Wohnung. Die war aus Sicht des Zolls perfekt gesichert – nämlich gar nicht. “Die Geheimhaltung ist die beste Sicherung”, sagte Klöble.

Was die Ermittler in der Wohnung fanden und was Spezialisten in ein neues Versteck der Behörden transportieren ließen, brachte der Kunsthistorikerin Meike Hoffmann ein “unheimliches Glücksgefühl” ein. Sie darf als Expertin für Nazi-Raubkunst die Bilder sichten und machte schon drei Entdeckungen, die wie eine Sensation wirken. Bisher unbekannte Bilder von Otto Dix, Marc Chagall und Henri Matisse befinden sich in der Gurlitt-Sammlung. Sie sehe keinen Anlass, an der Echtheit zu zweifeln, sagte Hoffmann.

Fall bleibt rätselhaft und skurril

Doch dass der geheimnisvolle Herr Gurlitt noch unbekannte Meisterwerke und auch viele nicht aus der “entarteten” Kunst stammende Bilder hortete, führt mitten in die vielen Probleme der Ermittler: Kann die Bilder womöglich sein Vater, der auch ein bekannter Sammler war, rechtmäßig gekauft haben, und befanden sie sich also rechtmäßig im Erbe des Sohnes? Die Rechtslage muss an sich für jedes Bild geklärt werden. Doch die Staatsanwaltschaft hofft darauf, einen Weg zu finden, die Beweislast umzudrehen: Dann müsste Gurlitt beweisen, dass es seine Bilder sind.

Einen dringenden Tatverdacht wegen Steuerhinterziehung und Unterschlagung sehen die Ermittler derzeit nicht. Nemetz weiß noch nicht mal, wo sich der scheinbar bei Salzburg mit dem Hauptwohnsitz gemeldete Kunsthändler-Sohn aufhält. Doch Gurlitt ist nicht nur wie vom Erdboden verschluckt. Er hat sich noch nicht einmal einen Anwalt genommen. “Aktiv unternimmt er derzeit nichts, um die Bilder zurückzubekommen,” sagte Nemetz. Der Fall bleibt rätselhaft und skurril – wieviele Monate oder gar Jahre er die Staatsanwaltschaft noch beschäftigen wird, wollte Nemetz nicht schätzen.

(APA)

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