"Ratgeber für den intelligenten Homosexuellen" im Volkstheater

Speziell vor der Pause wurde vor allem versucht, in hohem Sprechtempo möglichst rasch Text abzuarbeiten. Was den gegenteiligen Effekt des Bühnenbilds, für das Wolf Gutjahr viel Sperrholz verbaut hat, erzielte: Türmen sich auf der Drehbühne meterhohe Regale, in denen die wenigen Bücher vor allem Leerräume und Durchblicke lassen, lässt die Textmasse keinerlei Luft zum Atmen, Denken oder Fühlen. Erst nach der Pause findet die Aufführung im Volkstheater allmählich zu einem Rhythmus und damit zu einer möglichen Empathie.
Denn immerhin geht es um nichts weniger als um Leben oder Tod. Im Mittelpunkt des in einem Haus in Brooklyn spielenden Stücks steht der pensionierte kommunistische Gewerkschafter und Hafenarbeiter Gus. Das Haus steht als Sinnbild für den Aufstieg, den die vor Generationen aus Italien eingewanderte Arbeiterfamilie geschafft hat. Nun will der von Alzheimer, Überdruss und/oder Langeweile geplagte proletarische Patriarch Schluss machen – mit dem Leben (einen vereitelten Selbstmordversuch hat er bereits hinter sich) und mit dem mühsam erworbenen Statussymbol. Er will das Haus verkaufen, das Erbe unter seinen Kindern aufteilen und sich dann umbringen. Der einberufene Familienrat ist zur Abstimmung aufgerufen. Groteskerweise will Gus nur über seinen Tod abstimmen lassen – den Hausverkauf hat er im Geheimen bereits durchgezogen.
Tony Kushners Stück ist keine leichte Kost
Erich Schleyer steht als müder Arbeiter-Krieger, der seinen Marx auswendig kann und nun in der Pension lieber Horaz übersetzt, an der Spitze eines soliden Ensembles, in dem Homo- und Heterosexualität ebenso bunt zusammengewürfelt sind wie sexuelle Beziehungen oder politische Überzeugungen. Claudia Sabitzer, die als Tochter Maria Teresa (genannt Empty) am meisten dem Vater nachgerät, kämpft bei diesem bizarren Wahlkampf um jede “Nein”-Stimme. Die Söhne (Hans Piesbergen als schwuler, seinen Mann mit einem Strichjungen betrügenden Lehrer, Roman Schmelzer als etwas simpel gestrickter Bauunternehmer) wirken dagegen zunehmend genervt und haben eindeutig mit ihren eigenen Problemen genug zu tun.
Inge Maux spielt Gus’ abgeklärte Schwester, deren Lebensweg sie von den Karmeliterinnen zu den Maoisten geführt hat, Robert Prinzler einen zynisch-interessierten Stricher, Ronald Kuste einen biederen Theologen und Martina Stilp eine schwangere Lesbierin. Nina Horváth als All-American-Girl, Patrick O. Beck als Immobilienmakler und Emptys Ex-Mann sowie Nanette Waidmann als fröhlich plappernder Todesengel bemühen sich sehr darum, einander scriptgerecht ins Wort zu fallen und dennoch mehr als Chaos entstehen zu lassen. Diese Bemühungen haben nur Teilerfolge.
Wiener Publikum wenig begeistert
Erst gegen Ende, wenn das wiederholte Anspielen von Woodie Guthries altem Gewerkschafts-Song “Union Maid” ein wenig von der mitschwingenden amerikanischen Sozial- und Zeitgeschichte ahnen lässt, oder Vater und Tochter, alleingelassen vom Rest der Familie, zum letzten, verzweifelten Wortgefecht antreten, wird spürbar, was in diesem ausufernden “Ratgeber” alles zu finden gewesen wäre. Höflicher Applaus. (APA)
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