Putin-Kritiker Schlögel erhielt in Frankfurt Friedenspreis

"Die Bürger und Bürgerinnen der Ukraine lehren uns, dass das, was geschieht, nicht Ukraine-Konflikt heißt, sondern Krieg. Sie helfen uns zu verstehen, mit wem wir es zu tun haben: mit einem Regime, das die Ukraine als unabhängigen Staat vernichten will und das Europa hasst", sagte der 77-Jährige. "Sie zeigen uns, dass dem Aggressor entgegenzukommen nur dessen Appetit auf noch mehr steigert und dass Appeasement nicht zum Frieden führt, sondern den Weg in den Krieg ebnet."
"Ohne freie Ukraine kein Frieden in Europa"
Der Friedenspreis ist mit 25.000 Euro dotiert. Die Auszeichnung wird seit 1950 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels vergeben, der Berufsorganisation der Verlage und Buchhandlungen. Der Preis wurde vor mehr als 700 Gästen zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse übergeben.
Schlögel habe als einer der Ersten vor der aggressiven Expansionspolitik Putins gewarnt, heißt es in der Urkunde, die die scheidende Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs, dem 77-Jährigen am Sonntag überreichte. "Seine Mahnung an uns: Ohne eine freie Ukraine kann es keinen Frieden in Europa geben."
"Eine neue Weltunordnung"
Er gehöre einer Generation an, "die unwahrscheinliches Glück gehabt hat, und die nun sich unerhört schwertut, Abschied zu nehmen und sich auf den Krieg in Europa und alles, was damit zusammenhängt, einzustellen", sagte Schlögel. Er habe sich nicht vorstellen können, dass Russland noch einmal zurückfallen würde "in Zeiten, die in Vielem den Praktiken des Stalinismus gleichen".
Nun herrsche eine "neue Weltunordnung". Putin habe "das Tor zu einer neuen Vorkriegszeit" aufgestoßen. Er sei eine "Gestalt des Bösen", ein "Meister der Eskalationsdominanz". Die Angst sei seine wichtigste Waffe "und in der Bewirtschaftung der Angst besteht sein wahres Talent". Wunschdenken und Gutgläubigkeit müssten enden. "Es gab viele Russlandversteher, aber zu wenige, die etwas von Russland verstanden", kritisierte Schlögel. Russland führe diesen Krieg nicht nur mit militärischen Mitteln, "sondern als Krieg um die Köpfe mit Stimmungen, mit Ängsten, mit Ressentiments oder als verlockendes Angebot, zu "business as usual" zurückzukehren".
"Danke, dass Sie sich immer wieder zu Wort melden"
In ihrer Laudatio schilderte die ukrainisch-deutsche Schriftstellerin Katja Petrowskaja, wie sie Schlögel 2022, wenige Tage nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, auf einer Demo in Berlin traf, eingehüllt in eine ukrainische Flagge. "Ihre öffentliche Verzweiflung hat uns damals sehr geholfen, wie auch Ihre Fähigkeit, sich aufzurichten und weiterzumachen, trotz allem. Wir wussten: Wir sind nicht allein. Danke, dass Sie sich immer wieder zu Wort melden."
Sein Blick gen Osten sei geprägt von Sehnsucht, Neugier und "ja, dieses Wort darf ich sagen - Liebe". Grundlage seiner Arbeit sei die Offenheit: "Es geht darum, niemals ohne genaue Anschauung zu urteilen, sei es über einen Menschen oder einen Ort." Sein Verdienst sei es, "über Staatsgrenzen hinwegzuschauen, festgefahrene Vorurteile aufzulösen, sich dem Unwissen entgegenzustellen".
Vom Bauernhof im Allgäu nach Russland
Schlögel wird 1948 in Hawangen im Allgäu in eine Bauernfamilie hineingeboren. Im Klosterinternat lernt er Russisch, reist schon als Jugendlicher nach Russland und Tschechien, erlebt vor Ort den Prager Frühling. Er studiert osteuropäische Geschichte, heiratet eine russische Schriftstellerin.
Lebenslang pendelt er zwischen Ost und West, lässt den Westen hinter den Eisernen Vorhang blicken. Sein erstes Buch 1984 heißt "Moskau lesen". Eine Universitätskarriere will er lange nicht. Nach dem Mauerfall lehrt er erst in Konstanz und dann in Frankfurt/Oder.
Vorurteile korrigieren und Neugier wecken
In seinem Werk verbinde er empirische Geschichtsschreibung mit persönlichen Erfahrungen, heißt es in der Urkunde zum Friedenspreis. "Mit seiner Erzählweise, die Beobachten, Empfinden und Verstehen verbindet, korrigiert er Vorurteile und weckt Neugier."
Seine Art der Geschichtsschreibung speise sich nicht aus Archiven, sagte Schmidt-Friderichs, "er braucht die Geschichten, die Gerüche und Geschmäcker, Land und Leute, die Anschauung". Heute sei ihm das verwehrt: "Karl Schlögel, der Russland wie kaum ein anderer kennt und für den Russland Heimat geworden ist, kann nicht mehr dorthin reisen, ohne seine Festnahme zu riskieren."
(APA/dpa)
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