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Pro-europäische Widersacher zum Premier

Volksgruppenchef Denktas hat offenbar auf Druck der Regierung in Ankara den Führer der Pro-EU-Opposition, Mehmet Ali Talat, zum Regierungschef „Türkischen Republik Nordzypern“ ernannt.

Talat, Chef der Republikanisch-Türkischen Partei (CTP), erklärte unmittelbar nach seiner Betrauung mit der Kabinettsbildung in Lefkosa, dem türkischen Sektor von Nikosia: „Unser vorrangiges Ziel ist der 1. Mai“ (Datum des EU-Beitritts Zyperns).

Die Parlamentswahl im türkischen Inselteil hatte am 14. Dezember zu einem Patt zwischen Befürwortern und Gegnern der Wiedervereinigung mit jeweils 25 Abgeordnetenmandaten geführt. Doch hatten die Befürworter die meisten Stimmen erhalten. Völkerrechtlich tritt ganz Zypern am 1. Mai der Europäischen Union bei, doch wird das politische und rechtliche Regelwerk der EU, sofern es bis dahin nicht zu einer Einigung kommt, im türkischen Norden nicht gelten. Die Türkei, die nach ihrer Invasion 1974 im Norden Zyperns bis zu 40.000 Soldaten stationiert und mehr als 100.000 Festland-Türken angesiedelt hat, wäre dann quasi Besatzungsmacht in einem EU-Mitgliedsland.

Politische Beobachter schätzen die Aussichten Talats auf eine erfolgreiche Regierungsbildung allerdings als gering ein. Sollte sie bis Anfang Februar nicht gelungen sein, muss neu gewählt werden. Die CTP und ihre Bündnispartner unterstützen den von Denktas strikt abgelehnten Wiedervereinigungsplan von UNO-Generalsekretär Annan, der einen Bundesstaat mit ungeteilter Souveränität aus zwei gleichberechtigten Gebietseinheiten für griechische und türkische Zyprioten vorsieht. Denktas will nur eine „Konföderation“ von „zwei Staaten“ akzeptieren. Er bezeichnete die Annahme des Annan-Plans durch die türkisch-zypriotische Seite als programmierten „Selbstmord“.

Talat hat erklärt, eine Koalition sei mit jeder Partei möglich, vorausgesetzt, sie unterstütze den UNO-Plan. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hatte sich zuletzt für neue griechisch-türkische Volksgruppen-Verhandlungen auf der Basis des UNO-Planes ausgesprochen und Denktas zu einer Haltungsänderung geraten.

Die EU hatte die Führung in Ankara gewarnt, dass die anhaltende Teilung der Insel ein ernsthaftes Hindernis für die türkischen Beitrittsbemühungen wäre. Denktas hatte seinerseits die EU beschuldigt, die Beitrittswünsche der Türkei „auszunutzen“, um Ankara einen Zypern-Kompromiss aufzuzwingen. Der türkische Wirtschaftsminister Ali Babacan hatte am Sonntag die Entschlossenheit Ankaras bekräftigt, eine Zypern-Lösung zu erreichen. „Wir werden dabei einen politischen Willen zeigen, der noch nie so stark gewesen ist“, hatte Babacan erklärt und damit den Druck auf Denktas weiter erhöht.

Um Sanktionen des Europarates zu vermeiden und ihren angestrebten EU-Beitritt nicht zu kompromittieren, hatte die Türkei Entschädigungsgelder in der Höhe von 1,12 Millionen Euro an eine aus Nordzypern vertriebene griechische Zypriotin bezahlt. Damit akzeptierte Ankara indirekt den Wortlaut eines vor 13 Jahren gefällten Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, wonach auf Nordzypern allein die türkische Armee das Sagen hat.

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