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Pressestimmen zum Hirtenbrief des Papstes

Internationale Pressekommentare befassen sich am Montag mit dem am Wochenende veröffentlichten Hirtenbrief von Papst Benedikt XVI. zum Thema Missbrauch und möglichen Konsequenzen.
Papst unterzeichnete Brief
Papst bat wegen Missbrauchsfällen in Irland um Verzeihung
Auszüge aus dem Pastoralbrief Benedikts XVI.
"Wir sind Kirche" geht Papstbrief nicht weit genug
Der Londoner “Independent” schreibt:
“Über Sex in der Öffentlichkeit zu reden, ist heute kein Tabu mehr, auch nicht über Sexualverbrechen. Für die katholische Kirche ist es deshalb schwieriger geworden, über die Missbrauchskandale einen Schleier des Schweigens zu legen. Gleichzeitig bröckelt die Ehrfurcht vor der Kirche und den Priestern, nicht nur wegen der Skandale, sondern auch wegen der zunehmenden Entmystifizierung, die mit der modernen Gesellschaft einhergeht. Irland ist mit Polen noch das einzige Land Europas, in dem die katholische Kirche eine institutionelle Macht darstellt. (…)

Die Gläubigen in beiden Ländern waren der priesterlichen Fehlbarkeit gegenüber sehr tolerant. Ignoranz spielte dabei sicherlich auch eine gewisse Rolle. Doch stellt sich nun die Frage, wie lange sich Irland noch als römisch-katholisch definieren will oder ob es nicht auch den Weg gehen wird, den Frankreich, Italien und Spanien eingeschlagen haben, wo die Kirche nur noch ein Aspekt des nationalen Lebens ist?”

“Gazeta Wyborcza” (Warschau):
“Der Anteil der pädophilen Priester ist wohl nicht größer als in anderen Gesellschaftsgruppen. Die Kirche kann sich aber nicht in moralischer Hinsicht an die Welt anpassen, sie muss ein Vorbild sein. Das gilt besonders für die Geistlichen – die beruflichen Morallehrer. Der Hirtenbrief des Papstes ist ein Beweis dafür, dass sein Autor das versteht. Die stolze römisch-katholische Kirche hat sich an die Brust geschlagen. Der Papst gab den Bischöfen in einzelnen Ländern ein Beispiel. Der Hirtenbrief hat zwar Irland zum Thema, doch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, sagte sofort, auch seine Kirche sollte sich die Angelegenheit zu Herzen nehmen. Es bleibt zu hoffen, dass auch das katholische Polen ähnlich reagieren wird.”

“Berliner Zeitung”:
“Der Vatikan vertraute zu Luthers Zeiten auf seine alten, langsamen Machtstrukturen und verkannte den Wandel der Gesellschaft, durch den die Reformation erst möglich wurde. Die katholische Kirche unter Benedikt XVI. glaubt heute wieder, die Zeit und die Macht zu haben, mit langfristigen Korrekturmaßnahmen auf ihre Krise reagieren zu können. Es spricht nicht viel dafür. Die Dynamik, die der Missbrauchsskandal angenommen hat, bedarf in schneller gewordenen Zeiten auch schnellerer Reaktionen. Vor allem aber braucht die katholische Kirche ein Überprüfen ihrer grundlegenden Strukturen. Sie braucht es jetzt, um neuerliche Missbrauchsfälle zu verhindern. Und um ihr eigenes Überleben zu sichern.”

“Frankfurter Rundschau”:
“Eine Institution wie die katholische Kirche steht heute vor der Entscheidung: Entweder sie öffnet sich konsequent einer Welt voller Versuchungen. Dann müsste sie ihre Verfasstheit radikal überprüfen und sich jeden Anspruchs auf geschützte Räume eigener Rechtsprechung enthalten – auf die Gefahr hin, eine Organisation zu werden wie viele andere auch, zum Beispiel Wohlfahrtsverbände. Oder aber sie beschränkt sich darauf, die spirituellen Bedürfnisse erwachsener Menschen zu bedienen, die ihr freiwillig folgen. Kinder zu unterrichten, gehörte dann nicht mehr zu ihren Aufgaben, und Ansprüche auf Steuergeld wären passe. Beides zugleich geht nicht: sich eine eigene Welt zu schaffen und zugleich mitzumischen im wirklichen, dem gesellschaftlichen Leben. Zu diesem Thema, an dem die Zukunft seiner Kirche hängt, hat Benedikt XVI. nicht etwa wenig beigetragen, sondern: nichts.”

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