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Politische Krise in Serbien-Montenegro

Die seit drei Wochen anhaltende Militär-Finanzaffäre in Serbien-Montenegro hat sich nun in eine tiefe politische Krise verwandelt, die den Zerfall des seit langem funktionsunfähigen Staatenbundes beschleunigen dürfte.

Die regierende montenegrinische Demokratische Sozialistenpartei (DPS) hat am Sonntag erneut mit dem Abzug von montenegrinischem Verwaltungspersonal aus Belgrad gedroht. Diese Möglichkeit wurde zum ersten Mal am Freitagabend angekündigt, nachdem der serbische Finanzminister Mladjan Dinkic den Staatschef Svetozar Marovic (DPS-Spitzenfunktionär) und den scheidenden Verteidigungsminister Prvoslav Davinic als Verantwortliche für die Militäraffäre bezeichnete.

Die serbische Regierung hat auf die Äußerungen Dinkic’ nicht reagiert. Nun sei die serbische Regierung am Zug, erklärte am Sonntag der DPS-Sprecher Predrag Sekulic. „Wenn sich die serbische Regierung und ihr Ministerpräsident Vojislav Kostunica von Finanzminister Dinkic distanzieren, wird das montenegrinische Verwaltungspersonal in Belgrad bleiben“, verlautete aus der Partei des montenegrinischen Ministerpräsidenten Milo Djukanovic. Andernfalls würden alle Montenegriner mit Ausnahme von Parlamentsabgeordneten Belgrad verlassen.

Verteidigungsminister Davinic hat indes eine vorläufige Aussetzung des strittigen Abkommens über den Erwerb von Militärausrüstung im Wert von 300 Mio. Euro empfohlen. Dinkic zufolge wurden mit dem heimischen Militärlieferanten Preise vereinbart, die wesentlich über dem üblichen Marktniveau liegen. Davinic, der selbst seinen Rücktritt einreichte, weist die Vorwürfe zurück.

Der serbische Regierungschef Vojislav Kostunica hat bisher mit keinem Wort auf die Vorwürfe reagiert, die Dinkic auf Kosten von Marovic vorgetragen hat. Grund dafür dürften unterschiedliche Meinungen der Regierungskoalition zum Staatenbund sein. Während sich die Demokratische Partei Serbiens (DSS) von Kostunica für die Wahrung des Staatenbundes einsetzt, ist die kleine Expertenpartei G17-plus, zu der sowohl Vizeministerpräsident Miroljub Labus als auch Dinkic gehören, für eine Trennung Serbiens von Montenegro.

Zum ersten Mal in der Geschichte werde das Schicksal Serbiens von anderen, konkret vom kleinen Montenegro, entschieden, ließ Labus am Freitag im Hinblick auf das Referendum wissen, bei dem sich die Montenegriner Anfang nächsten Jahres zur Unabhängigkeit des 600.000-Einwohner-Landes äußern sollen. In den Reihen der G17-plus wurde der Staatenbund von Anfang an als schwere Last empfunden.

Die DSS-Spitze befürchtet allerdings, dass sich die Auflösung des Staatenbundes negativ auf die Lösung der Kosovo-Frage auswirkt. Belgrad widersetzt sich der Unabhängigkeit der Provinz, die seit Juni 1999 von einer UNO-Mission (UNMIK) verwaltet wird, formell allerdings zum Staatenbund gehört. Die kosovo-albanische Mehrheit fordert andererseits vehement die Unabhängigkeit.

„All das, was passiert ist, hat dem Staatenbund einen unmessbaren Schaden zugefügt“, stellte der serbisch-montenegrinische Menschenrechts- und Minderheitenminister Rasim Ljajic am Sonntag fest.

Während einzelne Beobachter im drohenden Abzug des montenegrinischen Verwaltungspersonals aus Belgrad das „slowenische Syndrom“ aus den frühen 90er Jahren sehen, ist in Kreisen politischer Analytiker sowohl in Belgrad als auch in Podgorica zu hören, dass der Staatenbund erneut dringende Hilfe seines „Schöpfers“, des EU-Außenpolitikbeauftragten Javier Solana, braucht. Den Ankündigungen nach soll Solana Belgrad demnächst besuchen. Seine Visite steht mit den bevorstehenden Verhandlungen mit der EU über ein Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen in Verbindung.

Binnen weniger Monate, im Februar 2006, wird die vereinbarte dreijährige Mindest-Lebenszeit des Staatenbundes ablaufen. Danach soll es in Montenegro zu einem Unabhängigkeitsreferendum kommen. Laut dem Gründungsvertrag wird die Mitgliedsrepublik, die sich für die Unabhängigkeit entscheidet, international nicht als Nachfolgestaat des Staatenbundes gelten. Die Situation dürfte sich allerdings verändern, sollte es aus anderen Gründen schon vorher zum Zerfall des Staates kommen.

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