Ovationen für Uraufführung von "Speed (kills content)"
Es ist bemerkenswert, dass die Aufführungsästhetik dieses Ensembles, die erwartungsgemäß einige Konstanten in der angewendeten Collagetechnik, der Bewegungschoreografie und beim Einsatz der Live-Musik enthält, niemals ausgeleiert wirkt. Auch die Themen, die das Textteam beim Zuhören und in Gesprächen mit den Menschen aufgreift, nämlich die Retro-Politik, die Teuerung, das Konfrontiertsein mit einer Vielfalt von Krisen, zählen zum Repertoire. Die Umsetzung, die oft mit der Überwindung des bürgerlichen Sprachduktus einhergeht, ist jedoch stets neu und unmittelbar zu erfahren.
Tempo und Temperatur sind hoch in "Speed (kills content)", auch nach einem gerade absolvierten, sicher kräfteraubenden Gastspiel mit der 2024 in Österreich uraufgeführten, konkret politisch konnotierten Produktion "All about me" im AMT Theatre in New York zeigt das Aktionstheater keinerlei Ermüdungserscheinungen. Die euphorischen Reaktionen des Publikums, die anschließenden Diskussionen über die gegenwärtige Misere in den USA sowie eine weitere Einladung, von der Ensembleleiter Martin Gruber im Gespräch mit der APA berichtete, dürften das Ensemble beflügelt haben.
Ungemein scharfsinnig
Beim Aktionstheater muss man auf Zack sein, nicht nur die Aufmerksamkeit des Publikums, auch dessen Ressentiments werden überprüft, und zwar ungemein scharfsinnig. Wozu dürfte die kleine Sequenz aus den "Weihnachtseinkäufen" im "Anatol"-Zyklus von Arthur Schnitzler wohl sonst dienen als zur Entlarvung von Dünkel. Soll sich keiner über die Bildungsferne der Protagonisten in "Speed (kills content)" entrüsten, wenn die Verachtung von Schnitzlers Figur Gabriela nicht zu seinem Wissensschatz zählt. Die Art, wie Thomas Kolle und Benjamin Vanyek diese kurze Szene anspielen, ist in ihrer Konsequenz so überlegt und treffend wie Isabella Jeschkes Wohnungssuche, bei der sie sich bis zur Schmerzgrenze entblößt, sie ist so ergreifend wie der Kampf um überlebensnotwendige Rabattmarken von Zeynep Alan und so unverschämt witzig und doppelbödig wie die Strategie von Kirstin Schwab, die sich als Comicfigur Sailor Moon in eine bessere Welt träumt.
Mit der unterschwellig transportierten Angst, sich angesichts der Geschwindigkeit der täglich hereinbrechenden Ereignisse selbst zu verlieren, ist die Arbeit des Aktionstheaters noch nicht getan, denn dann kommt Tamara Stern. Mit starker Chansonstimme und in einem transparenten Outfit, das als Statement für Selbstbestimmung jeglichen Voyeurismus pointiert hinterfragt, geht die Schauspielerin ans Eingemachte, wenn sie Eingriffe in die Großhirnrinde als probates Mittel zum Erlangen von Glücksgefühlen erwähnt.
Nichts hat sich abgenutzt
"Laisse tomber les filles" von France Gall intonieren die Musiker Andreas Dauböck, Pete Simpson und Jean Philipp Oliver Viol daraufhin. Im Hintergrund werden die von der Videokünstlerin Resa Lut schemenhaft projizierten Gestalten immer deutlicher als Akteure erkennbar. Sie zeigen Haut, Verletzlichkeit, Verzweiflung, aber auch Selbstbewusstsein. Die Interpretation, sich der Konsequenzen eigener Handlungen bewusst zu sein und dies auch von den anderen zu fordern, liegt nahe. Das Thema ist bekannt, doch nichts davon hat sich abgenutzt, schon gar nicht die Art der Darbietung, die das Uraufführungspublikum in Dornbirn mit Standing Ovations bedachte und die ab Mitte Jänner in Wien der Überprüfung harrt.
(Von Christa Dietrich/APA)
(S E R V I C E -"Speed (kills content)" von Martin Gruber und Ensemble. Regie: Martin Gruber; Bühne und Kostüme: Valerie Lutz; Video: Resa Lut; Dramaturgie: Martin Ojster; Musik: Andreas Dauböck, Pete Simpson und Jean Philipp Oliver Viol. Mit Zeynep Alan, Isabella Jeschke, Thomas Kolle, Kirstin Schwab, Tamara Stern und Benjamin Vanyek. Weitere Aufführungen am 4., 5. und 6. Dezember am Spielboden in Dornbirn sowie ab 11. Jänner im Theater am Werk in Wien: )
(APA)
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