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Oscars als Gegenpol zu Bush

Academy-Mitglieder ignorierten fast durchwegs große Studioproduktionen und setzten auf unabhängige Filme mit gesellschaftspolitischen Themen.

Ein Herr im Publikum wollte lediglich wissen, ob Präsident George Bush denn schon den neuen Film “Brokeback Mountain” gesehen habe. „Ich habe davon gehört…“, stammelte der Präsident. Aber gesehen? Nein. „Und das ist alles, was ich dazu sagen will.“

„Brokeback Mountain“ ist kein Western, wie ihn Bush mag. Es geht um die schwule Liebe zweier Cowboys. Die unabhängige Produktion mit kleinem Budget ist in diesem Jahr mit acht Nominierungen der große Oscar-Favorit. Die religiöse Rechte steht unter Schock. Der konservative Produzent Michael Class hat bereits einen neuen Filmpreis gestiftet, der den Oscars künftig Konkurrenz machen soll: Ein Preis für „Filme mit patriotischem Gefühl und Respekt für die Familie, für amerikanische Werte“.

„Brokeback Mountain“ ist nicht der einzige nominierte Film, den Class am liebsten aus den Kinos verbannen würde. An „Syriana“ missfällt ihm, dass die USA dort der Mitverantwortung für den Terrorismus beschuldigt werden. Steven Spielbergs „München“, ein Film über die Spirale der Gewalt nach den Terroranschlägen bei den Olympischen Spielen, hinterfragt nach Ansicht von Class zu Unrecht die Vergeltungsaktionen der Israelis.

Dazu kommen „L.A. Crash“ über amerikanischen Rassismus und die positive Darstellung eines Transsexuellen in „Transamerica“. Alles Filme, die „aus moralischer Sicht konfus“ sind, wie Class meint. Seine Favoriten dagegen, Geschichten mit einer klaren Trennung zwischen Gut und Böse wie „Narnia“ und „Harry Potter“, gingen fast leer aus.

Hollywood hat sich verändert. Es ist gerade einmal zwei Jahre her, da wurde der Blockbuster „Der Herr der Ringe – Die Rückkehr des Königs“ mit elf Oscars überschüttet. Nach dem 11. September waren Schlachtenfilme groß in Mode. Der Erfolg von Mel Gibsons Blut triefender „Passion Christi“ (2004) ließ die religiöse Rechte auf einen dauerhaften Stimmungsumschwung hoffen. Die „New York Times“ schrieb besorgt: „Der Mythos eines geschlossen liberalen Hollywood ist tot.“

Doch in diesem Jahr haben die 5800 Mitglieder der Academy of Motion Picture Arts and Sciences die großen Studioproduktionen fast durchgängig ignoriert und auf unabhängige Filme mit gesellschaftspolitischen Themen gesetzt. „Dies ist das Jahr der kleinen Filme, weil sie Grautöne haben, weil sie Fragen stellen anstatt Antworten zu geben“, erläutert Ang Lee, der Regisseur von „Brokeback Mountain“.

Bezeichnend ist die Entwicklung von George Clooney: Aus dem glatten Hollywoodstar ist ein politischer Filmemacher geworden, der nun gleich drei Mal nominiert worden ist. In seinem Film „Good Night, and Good Luck“ über die Kommunistenhetze im Amerika der 50er Jahre soll der Zuschauer die heutige Stimmung unter Bush wiedererkennen: „Ich habe ihn gemacht, weil ich empört drüber war, was im Fernsehjournalismus vor sich ging“, sagt Clooney. „Alle, selbst die „New York Times“, sollten härtere Fragen stellen.“

Mit dem NS-Widerstandsdrama „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ ist zum dritten Mal in vier Jahren ein deutscher Film nominiert, und auch das passt ins Bild: „Die Leute hier beziehen das ganz schnell auf sich“, sagte die Hauptdarstellerin Julia Jentsch (27) der dpa nach den ersten Vorführungen in den USA. Regisseur Marc Rothemund (38) fiel auf: „Das ist das erste Land, wo so viele Leute gleich auf mich zukommen und sagen: „Ich hoffe, dass das viele junge Amerikaner sehen werden.“ Das hat mit Sicherheit auch mit der derzeitigen politischen Situation hier zu tun, wo ein religiöser Präsident unter falschem Vorwand in den Krieg gezogen ist.“

Allerdings darf man sich nicht täuschen: An der Masse der amerikanischen Kinobesucher geht das alles vorbei. Nur zehn fremdsprachige Filme haben im vergangenen Jahr an den US-Kinokassen mehr als eine Million Dollar umgesetzt – und das waren überwiegend asiatische Kung-Fu-Filme.

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