Olympia: Russland als sportlicher Zwerg

Für Teamsportarten gilt dieser Bann fast flächendeckend, für Individualsportler greift eine umstrittene Neutralitätsregel. Auch bei den Sommerspielen in Paris.
Eingeschränkte Teilnahme an den Sommerspielen in Paris
Ob sie letztlich aus freien Stücken oder erzwungenermaßen ihren Olympia-Traum aufgaben, wird man wohl nie erfahren. Nach offiziellen Angaben werden nur 16 Sportlerinnen und Sportler aus Russland und 17 aus Belarus an den Sommerspielen teilnehmen. Sie treten bei den Bewerben ab 26. Juli unter neutraler Flagge und ohne Hymne an, zur Eröffnungszeremonie an der Seine sind sie nicht zugelassen. Ihre Leistungen werden nicht im Medaillenspiegel berücksichtigt. Politiker und Top-Sportfunktionäre erhalten keinen Zugang zu den Wettkampfstätten.
Rückblick: Tokio 2021
Bei den Sommerspielen von Tokio 2021 hatten noch 335 russische Sportler 71 Medaillen gewonnen. Es hätten auch dieses Mal in Frankreich mehr Aktive sein können. Nach langen Debatten um ihre Teilnahme am größten Sportereignis der Welt hatte das Internationale Olympische Komitee (IOC) 36 Startplätze unter Auflagen gewährt. Mehrere russische Sportverbände nahmen diese Einladung nicht an. Dazu gehören Sportarten wie Judo, Ringen, Schießen und Turnen, in denen Russland üblicherweise dominiert. Sie beklagten demütigende Bedingungen.
Strenge Auflagen für russische Athleten
Für eine Zulassung dürfen die Athleten keine Verbindung zur Armee und den Sicherheitsorganen haben und nicht aktiv ihre Unterstützung für den Krieg in der Ukraine gezeigt haben. Als zusätzliche Auflage forderte das IOC ein schriftliches Bekenntnis zur Olympia-Charta und damit zur sogenannten Friedensmission der olympischen Bewegung.
Einzelfall: Abdulraschid Sadulajew
Abdulraschid Sadulajew, der zweifache Olympiasieger im Ringen, hatte das von einer IOC-Kommission überwachte Auswahlverfahren nicht bestanden. Er soll an einer Großkundgebung in Moskau teilgenommen haben, auf der Wladimir Putin die Invasion der Ukraine verteidigt hat. Der russische Ringerverband nannte die Entscheidung "unsportlich", sie ziele darauf ab, den Teamgedanken zu untergraben. Russland hält die Auflagen im Allgemeinen für "unrechtmäßig, unfair und inakzeptabel", wie Stanislaw Posdnjakow, der Chef des Russischen Olympischen Komitees (ROC), sagte.
"Die Bedingungen, die dort gestellt wurden - ohne Flagge, ohne Hymne - waren unpatriotisch", schrieb die Ringerin Veronika Tschumikowa der Nachrichtenagentur Reuters in einer WhatsApp-Nachricht. Die Absage ihrer Teilnahme sei ihre eigene Entscheidung gewesen. Auch Tennis-Spieler Andrej Rublew und Radfahrer Alexander Wlasow gehörten zu den 20 Sportlern, die in Paris so nicht wettkämpfen wollen. Von jenen, die teilnehmen, stellen die Tennisspieler um Wimbledon-Halbfinalist Daniil Medwedew mit sieben Athleten die größte Fraktion.
Reaktionen aus Österreich
ÖOC-Präsident Karl Stoss bezeichnete die Absagen russischer Sportler im APA-Interview als "sehr trauriges Signal". "Da sieht man, welche Auswirkungen es hat, wenn die Politik eine zu große Rolle spielt, wenn die Politik darüber bestimmt, wer zu Olympischen Spielen fährt und wer nicht."
Laut russischen Angaben haben die Sportler eine Kompensation erhalten. An 245 Athletinnen und Athleten seien 200 Millionen Rubel (rund 1,92 Mio. Euro) ausgezahlt worden, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur RIA. Das Geld hätten jene bekommen, die nicht an internationalen Wettbewerben teilnehmen konnten, um sich zu qualifizieren - und jene, die keinen neutralen Status für die Teilnahme an den Spielen erhielten.
Verfehlte Hoffnung auf Olympischen Frieden
Die Hoffnung auf einen Olympischen Frieden - eine Idee der Olympischen Bewegung, in der es um Waffenstillstand unmittelbar vor, während und nach den Spielen geht - wird sich aller Voraussicht nach nicht erfüllen. Zu groß scheint das gegenseitige Misstrauen zwischen Kiew und Moskau. Putin ignorierte diese Idee mehrfach, vielmehr führte der russische Staatspräsident seine politischen Winkelzüge gerade dann durch, als die Weltöffentlichkeit vermeintlich auf das sportliche Mega-Event fokussiert war.
Am 24. Februar 2022 - wenige Tage nach Ende der Olympischen Winterspiele in China - befahl Putin den Einmarsch in die Ukraine. 2014 startete Russland nur Tage nach dem Ende der Winterspiele im eigenen Land die völkerrechtswidrige Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim. Und 2008 rollten just am Tag der Eröffnung der Sommerspiele von Peking russische Panzer in die völkerrechtlich zu Georgien gehörende Region Südossetien ein.
Teilnahme der Ukraine
Ungeachtet des Krieges wird die Ukraine an die 100 Sportlerinnen und Sportler nach Paris entsenden. "Es ist schon ein Sieg, dass wir unter den Bedingungen der Invasion teilnehmen können", sagte Wadym Gutzajt, der Präsident des ukrainischen Olympischen Komitees. Sportminister Matwij Bidnyj rief seine Landsleute dazu auf, "kühlen Kopf" zu bewahren, und sich von erwarteten Provokationen der russischen Kontrahenten nicht beeindrucken zu lassen.
(APA)
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