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Historiker Dr. Michael Kasper beleuchtet ein dunkles Kapitel der Montafoner Geschichte.
Historiker Dr. Michael Kasper beleuchtet ein dunkles Kapitel der Montafoner Geschichte.

NS-Zeit im Tal: Das Montafon unterm Hakenkreuz

Joachim Mangard (VOL.AT) joachim.mangard@russmedia.com
In seinem neuen Buch beleuchtet Historiker und Museumsleiter Dr. Michael Kasper dieses dunkle Kapitel der Geschichte aus Sicht des südlichsten Tals Vorarlbergs.
Wo sich in Vorarlberg noch faschistische Symbole zeigen

Am 12. März 1938 schloss sich Österreich an Hitler-Deutschland an, 85 Jahre danach erscheint mit dem vom Heimatschutzverein Montafon herausgegeben Werk "Das Montafon unter dem Hakenkreuz" ein Buch, das sich mit einer der erschütterndsten Perioden der lokalen Geschichte aus der Perspektive der Talschaft beschäftigt.

Umfangreiche Aufarbeitung
des NS-Regimes im Montafon

Äußerst umfangreich und detailliert schildert Dr. Michael Kasper auf fast 500 Seiten die Auswirkungen des NS-Regimes im Montafon. Zahlreiche Zeitzeugen kommen zu Wort, der Leiter der Montafoner Museen sammelte unzählige Dokumente und erhielt Einblick in private Sammlungen.

Dr. Michael Kasper uns seine neue Publikation "Das Montafon unterm Hakenkreuz". ©handout/Kasper

Dramatische Fluchtgeschichten
und Zwangsarbeit in der Talschaft

Ein besonderes Spezifikum stelle die Lage an der Grenze zur Schweiz dar, die es mit sich brachte, dass sich am Hauptkamm von Rätikon und Silvretta zahlreiche dramatische und oft auch tragisch endende Fluchtgeschichten ereignet hätten.

Zwangsarbeiter im Tal, hier Kriegsgefangene beim Aushub auf der Baustelle Latschau, 1941. ©handout/Kasper

"Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der regionalen NS-Geschichte ist der Umstand, dass durch den massiven Ausbau der Energiewirtschaft ab 1938, sowie mit zunehmender Dauer des Krieges auch in der Landwirtschaft, eine große Zahl an Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in der Talschaft eingesetzt wurden und hier teils nachhaltige Spuren hinterließen", informiert der 43-jährige Historiker in der Einleitung der umfangreichen Publikation.

NS-Kundgebung im Ortskern von Schruns und ein menschlich formiertes Hakenkreuz. ©handout/Kasper

Detaillierte Ausarbeitung der Partei-Organisation im Tal

Im Zuge der Aufarbeitung beschäftigt sich Kasper im Buch auch mit der Organisationsstruktur des Regimes im Tal. "Ebenso wird der Frage nachgegangen, ob sich die Parteigenossen und Mitglieder anderer NS-Parteiorganisationen vornehmlich aus der heimischen Bevölkerung rekrutierten, oder – wie mitunter kolportiert – in erster Linie von auswärts stammten", führt der Autor weiter aus.

Abholung zur Verpflichtungsfeier in Vandans, 1944. ©handout/Kasper

Dabei werden auch Aspekte beleuchtet, die den Alltag der Bevölkerung beleuchten, insbesondere die Auswirkungen für Familien, die Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen in Schule und Hitlerjugend, die Rolle der Frauen oder zahlreiche Schicksalsgeschichten von Männern im Kriegseinsatz.

Kreuzsteckungen beim Batlogg-Denkmal in Schruns. ©handout/Kasper

Widerstandsbewegung im Montafon und Opfer der NS-Euthanasie

Zum ersten Mal widmet sich der Leiter der Montafoner Museen auch einem Thema, das bisher wenig oder kaum Beachtung fand. So zeichnet der Historiker ein erschütterndes Bild von Verfolgten und Opfern der NS-Euthanasie: "Das Schicksal von unterschiedlichsten Gruppen von Verfolgten, etwa den Opfern der NS-Euthanasie, soll erstmals dargelegt und nachgezeichnet werden. Gegnerinnen und Gegner des Regimes und Widerständige aus den verschiedensten Milieus sollen ebenso vor den Vorhang gerückt und benannt werden wie jene, die aus unterschiedlichsten Gründen mit dem NS-Regime in Konflikt kamen."

©handout/Kasper

Früh aufkeimender Antisemitismus in der christlich-sozialen Politik

Dass der Judenhass auch im Montafon bereits früh auf fruchtbaren Boden stieß, belegt eine im Buch abgedruckte Rede des damaligen Gaschurner Pfarrers Hartmann im Jahre 1896:

"Der Antisemitismus sei voll berechtigt als eigentlicher Kampf gegen das Judenvolk. Es sei das ein Verteidigungskrieg der christlichen Völker gegen die zwei großen Laster des Judenvolkes: Christenhaß und Wuchergeist. Das Judenvolk sei mit dem Messiasmorde eine Zuchtruthe des Christenvolkes, deren Macht immer wachse mit der Abnahme der Treue des Christenvolkes gegen seinen Christus. […] Gegen die maßlose Tyrannei der Judenherrschaft erheben sich nun die Völker zum Kampf, voran das meistbedrückte Österreich. Darum schaut die ganze Welt mit Interesse nach Wien auf Dr. Lueger, auf diesen von Gott erweckten Helden im Kampf wider das christushasserische Mammons-Volk Neu-Israel."

Aufmarsch anlässlich des "Umbruchs" in Gortipohl und St. Gallenkirch im März 1938. ©handout/Kasper

Das Hakenkreuz im Montafon: NSDAP fasst im Montafon Fuß

Ab 1931 konnte die NSDAP mit der Gründung einer Bludenzer Ortsgruppe durch den in Schruns geborenen Eisenbahner Anton Hutter und weiteren vier Schrunser Mitgliedern in der Talschaft Fuß fassen. Wenig später folgten immer mehr Beitritte in die Partei, bei der 1932 stattfindenden Landtagswahl konnte die Partei bereits 13 Prozent in Schruns erreichen. Im Buch schildert Kasper detailliert die steigende Anzahl an Mitgliedern in sämtlichen Montafonern Gemeinden.

Eine Postkarte aus Schruns. ©handout/Kasper

Nazis, die Kühen Hakenkreuze
aus dem Fell schneiden

Und auch die damit einhergehenden Ressentiments gegenüber "Andersdenkender" finden traurigen Eingang in die Geschichtsbücher:

"Im Schrunser Schwimmbad wurden Ende Juli an verschiedenen Stellen Hakenkreuze und die Aufschrift 'Heil Hitler' aufgemalt. Auf der Baustraße von Partenen nach Vermunt wurden in der ersten Augusthälfte 17 Hakenkreuze aufgemalt, ebenso auf Felsblöcken an der Straße nach Gargellen. Am 27. August wurde 'auf dem gegen Schruns zugewendeten Berghange der Kapellalpe' abends ein großes Hakenkreuz abgebrannt. Unter dem Pseudonym ''s Talerwible' erschien im September 1933 ein Bericht im Vorarlberger Volksboten: 'O is Tal kommende s.te Hetzer, bi Tag und noch meh i der Nacht, und denn konn sie i ezelne Hüser zemma. […] Dem Afüahrer hei ma halt versprocha, wenn d'Hitler a d'Regiarig k.mendi, wird er Vorstehr oder noch meh, […]." In Schruns schnitten junge Nazis 'einem von den Nazi verhaßten Bauern am Hinterteil einer Kuh ein Hakenkreuz aus den Haaren, so daß dieser Bauer zu seinem Ärger lange Zeit das Hakenkreuz täglich mehrmals ansehen muß".

Das Cover der umfangreichen Publikation. ©handout/Kasper

Aufarbeitung und Erinnerung an Widerständige und Verfolgte

"Nach dem Ende des NS-Regimes lebten auch im Montafon Opfer, Mitläufer und Täter neben- und miteinander in enger Nachbarschaft. Gemeinsam teilten sie über Jahrzehnte das Schweigen und eine Aufarbeitung konnte unter diesen Umständen kaum bis gar nicht stattfinden", resümiert Kasper in seinem umfangreichen Werk. Umso wichtiger sei es deswegen, die Erinnerung an jene Widerständigen und Verfolgten, die Opfer dieser menschenverachtenden Ideologie geworden seien, aufrecht zu erhalten.

Männer vor einem mit einem großen Hakenkreuz "geschmückten" Haus in St. Gallenkirch. ©handout/Kasper

Der Historiker räumt in dem Werk deswegen genau diesen Menschen, die sich von Anfang an gegen das Regime gestellt haben, eine besondere Rolle ein: "Es handelt sich um zahlreiche Akte von Humanität, Zivilcourage und gewaltfreiem Widerstand in den Ortschaften des Tales sowie um Schicksale von vorbildhaften Menschen, die bisher im regionalen Gedächtnis nahezu ausgelöscht waren. Dabei waren Hilfsbereitschaft und Widersetzlichkeit bestimmt häufiger, als im Rahmen der Forschungen zu dieser Veröffentlichung erfasst und dokumentiert werden konnte."

Polnische Zwangsarbeiter in Rodund. ©handout/Kasper

Das Buch "Das Montafon unterm Hakenkreuz" ist im Universitätsverlag Wagner erschienen und ab sofort erhältlich.

(VOL.AT)

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